Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Wenn Szene-Kellner ihre Gäste bevormunden

Die Servicekräfte in hippen Restaurants können nicht gut zuhören, sind aber immer nah am Ohr des Gastes. Es gibt schließlich eine Menge zu erklären.

Von Marten Rolff

Wer heutzutage im Restaurant anruft, um einen Tisch zu reservieren, findet sich schnell in einer Art Anbahnungsgespräch wieder. Zumindest, wenn es sich um einen der gefragteren Läden in den großstädtischen Szenevierteln handelt.

"Guten Tag, hätten Sie wohl für morgen noch einen Tisch für zwei Personen?"

(Frauenstimme, Campari-Timbre) "Uuund, willst du mir sagen, wer du bist?"

"Der Tisch wäre auf Marten Rolff."

(kinky) "Schön Marten, und möchtest du vielleicht unser Überraschungsmenü im Salon ,Madame X' bestellen?"

Äh, ja, klingt doch gut."

(gebieterisch) "Ja Marten, und wieso sagst du das dann nicht gleich? Aber geht klar, bis morgen dann."

Im Restaurant, so viel bleibt fürs Erste festzuhalten, liegt die Demut immer häufiger auf Seiten des Gastes.

Die Restaurantszene ist in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen. Ob Kerala-Küche oder Paleo, High-End-Burger, Asian Streetfood oder veganes Sternemenü - das Angebot ist zumindest in den größeren Städten kaum noch überschaubar und die Konzepte werden immer ausgefeilter.

Der Nachteil daran: Je hipper und ausdifferenzierter die Gastronomie wird, desto häufiger kriegt man es mit ihm zu tun: dem modernen Szene-Kellner. Der versteht sich längst nicht mehr als Servicekraft, die Teller hin und her trägt, sondern vor allem als Food-Animateur. Als Botschafter seines Restaurants kann er vielleicht nicht allzu gut zuhören, ist aber dafür erstaunlich nah dran am Ohr des Gastes. Schließlich ist die Foodwelt irre komplex geworden und der aktuelle Laden des Kellners irre weit vorne, es gibt also eine Menge zu erklären.

Den Unterschied zwischen Fever-Tree-Indian-Tonic und Fever-Tree-Mediterranean-Tonic zum Beispiel, die endlose Craft Beer-Karte, das provokante Potenzial von rohem Rinderherz, den großen Vorteil von handgeangeltem Saibling oder das neue Erntesystem im hauseigenen Gemüsegarten. Das alles ist natürlich sehr interessant, aber auf die Dauer eben auch ziemlich ermüdend. Der Gast, so hat man bisweilen das Gefühl, droht bei manchem Restaurant-Konzept heute aus dem Fokus zu rutschen und wird nur noch für den Applaus gebraucht.

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