Gastronomie:Ein Drei-Sterne-Koch, der nicht mehr in seine Küche darf

Sterne-Koch Harald Wohlfahrt

Die Hotelleitung untersagte ihm den Zugang zu seinem Restaurant: Spitzenkoch Harald Wohlfahrt. Seitdem rätselt die Gourmetwelt über die Gründe.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Nach 40 Jahren in der "Schwarzwaldstube" gilt Harald Wohlfahrt als lebende Legende. Doch jetzt soll er nur noch repräsentieren.

Von Marten Rolff

Ein Küchenchef steht kurz vor dem Ruhestand und will sich vom Herd zurückziehen. Auf den letzten Metern überwirft er sich mit seinen Arbeitgebern. So weit, so alltäglich. Es gibt Tausende Köche, die Branche ist rau, der Druck groß, das Geld knapp. Da kommt es öfter zum Zerwürfnis. Doch dieser Koch ist Harald Wohlfahrt aus Baiersbronn im Schwarzwald. Und der Streit, der derzeit um ihn schwelt und an diesem Dienstag vor dem Arbeitsgericht in Pforzheim entschieden wurde, kommt im internationalen Gourmetzirkus einer Staatsaffäre gleich.

Denn Wohlfahrt, 61, gilt als lebende Legende, als eine Art kulinarisches Denkmal Deutschlands. Seit 40 Jahren steht er in der "Schwarzwaldstube" am Herd. Es ist das höchstdekorierte Restaurant des Landes. Seit einem Vierteljahrhundert hält der Chef drei Michelinsterne. Noch so ein Rekord. Moden und Trends kamen und gingen, Wohlfahrt aber blieb. Seine Küche ist die Kaderschmiede der Nation. Spitzenköche, die von ihm ausgebildet wurden, haben zusammengerechnet knapp 80 Sterne erkocht. Das Schwarzwalddorf Baiersbronn ist Pilgerziel für Gourmets aus der ganzen Welt. Mit Gästen aus Japan, Brasilien oder Kalifornien.

Der Küchenchef klagt auf weitere Beschäftigung

Die Schwarzwaldstube gehört zum Hotel "Traube Tonbach". Und das gute Verhältnis zwischen Spitzenkoch und Eigentümerfamilie galt als eine Säule des Erfolgs. Wohlfahrt mehrte den kulinarischen Ruhm des Hauses, die Familie Finkbeiner schuf den bestmöglichen Rahmen für die Arbeit des Großmeisters, so hieß es. Märchenhafte Bedingungen im märchenhaften Schwarzwaldtal - das zumindest war die erwünschte Außenwirkung. Vor knapp zwei Wochen hat Harald Wohlfahrt das Märchen öffentlich beendet. Beim Arbeitsgericht Pforzheim beantragte er eine einstweilige Verfügung gegen das Hotel Traube Tonbach. Laut Mitteilung des Gerichts will er als Küchenchef weiterbeschäftigt werden. Seither rätselt man nicht nur in der Branche, was genau vorgefallen sein muss.

Bereits im Mai hatte Wohlfahrt die Leitung des Restaurants offiziell an seinen langjährigen Stellvertreter Torsten Michel übergeben. Er selbst wurde Anfang Juli zum "Kulinarischen Direktor" ernannt, der sich Sonderprojekten widmet und als Markenbotschafter des Hauses auftritt. Im Hotel Traube Tonbach verstand man diese Position durchaus als Beförderung, auch die Gründung einer Art Kochakademie war offenbar im Gespräch.

Über seine Anwälte ließ Wohlfahrt jedoch erklären, die Position sei nie gemeinsam definiert worden, die Bedingungen seines Rückzuges unklar geblieben. Dem Spitzenkoch wurde von der Hotelleitung der Zutritt zum Restaurant untersagt. Dies sei notwendig gewesen, weil Wohlfahrt sich dort weiter als Küchenchef aufgespielt habe, sagten die Anwälte der Finkbeiners dem Südwestrundfunk. Weitergehend wollen sich beide Parteien nicht äußern. Kollegen und Weggefährten zeigten sich bestürzt. "Unendlich traurig", "Drama" oder "Tragödie" lauten die Einschätzungen. Wohlfahrt selbst presst das Wort "höchstbedauerlich" in den Telefonhörer. Dann verweist er auf seine Anwälte.

Es geht um die Deutungshoheit über sein Lebenswerk. Ist hier eine Legende aus dem hochverdienten Amt geredet worden? Oder hat diese Legende auf den letzten Metern den abgesprochenen Kurs gewechselt, weil sie merkte, dass sie doch nicht loslassen kann? Das Paradoxe an diesen Fragen ist: In beiden Fällen würden sich die Beteiligten selbst schaden. Aber das ist die Frontlinie. Viele würden zu Wohlfahrt halten, prophezeit ein Kollege, auch, weil der in der Öffentlichkeit stehe. Andere halten den Koch für "selbstherrlich", das Hotel sei "auf Knien gerutscht", um es ihm recht zu machen.

Eine Spitzengastronomie zu übergeben, ist ein Balanceakt

In jedem Fall ist die Thronfolge in den besten Häusern der Spitzengastronomie ein Balanceakt der Unmöglichkeiten. Ein Nachfolger soll sich erst durch Talent und Ego als Kronprinz empfehlen. Dann muss er genug Geduld und Demut aufbringen, um sich über Jahre dem Stil seines Mentors unterzuordnen. Geht dieser, muss der Nachfolger dann aus dem Stand einen eigenen Stil zeigen. So eigenständig, dass er sich vom Vorgänger emanzipiert, jedoch nicht mit der Tradition des Hauses bricht.

Im Fall Wohlfahrt hatte man die Nachfolge besonders lange vorbereitet. Seit 2005 kocht Torsten Michel für die Schwarzwaldstube. Früh war er von seinem Chef zum Nachfolger auserkoren worden. Seit zwei Jahren, so hatte es im Frühjahr aus dem Hotel geheißen, habe man sorgfältig an der Übergabe der Leitung gearbeitet. Im April 2016 wurde Michel dann zum Küchenchef ernannt. Es sollte die beste Lösung mit der besten Außenwirkung werden. Der Streit hat das nun zunichte gemacht.

Wird man sich am Ende doch noch einigen können? Für die Antwort darauf lässt Harald Wohlfahrt sich am Telefon ein paar Sekunden Zeit. Sie klingt weniger nach Plan als nach verzweifeltem Mantra: "Ich hoffe, ich hoffe, ich hoffe."

Diese Hoffnung ist nun doch erfüllt worden, obwohl Wohlfahrt selbst nicht vor Gericht erschien. Hotelleitung und Spitzenkoch hätten sich geeinigt, heißt es am Dienstagnachmittag knapp in einer Mitteilung des Arbeitsgerichtes Pforzheim. Wohlfahrt werde nicht in die "Schwarzwaldstube" zurückkehren. Die Einigung sei "einvernehmlich", sagt der Anwalt des Hotels anschließend. Über die Details schweigen beide Seiten.

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