Gartenbau:Wenn die Fassade als Garten herhalten muss

Lesezeit: 6 min

In Megastädten wie Singapur gedeiht die Natur an ungewöhnlichen Orten. Der Botaniker Veera Sekaran bereitet ihr den Weg - zur Not auch mit der Hilfe von Computern.

Von Arne Perras

Farnborough Road, Nummer 289, das Grundstück liegt versteckt in einer Seitenstraße, gleich hinter dem Flughafen im Osten Singapurs. Wer wissen will, wo all die schönen Ideen geboren werden, muss hier beginnen. Willkommen bei "Greenology", der etwas anderen Gärtnerei.

Ein schlanker Mann mit kurz geschorenem grauem Haar und lebendigen dunklen Augen kommt an diesem Morgen über den Hof gelaufen. Veera Sekaran, der Gründer von Greenology. Er lädt zum Gespräch an einen Holztisch. Und wer sich umsieht, bekommt schon eine Ahnung von den Welten, die Veera entwirft.

Rundherum sprießt das Grün auf großen und kleinen Wänden. Farne, Moose, Kletterpflanzen, Epiphyten. Mit ihren satten Farben und weichen verschlungenen Formen strahlen sie große Ruhe aus. Die Augen wandern hierhin und dorthin, wie über eine großflächige Collage, auf der man immer neue Details entdeckt. Das ist die ausgeklügelte Gartenkunst eines Botanikers, der redet wie ein Philosoph.

Sicherheit
:Von wegen Hamsterkäufe: Dieser Mann hat einen Privatbunker im Garten

Von dem neuen Zivilschutzkonzept der Bundesregierung hält Albert Schmid aus dem Landkreis Erding nichts. Er hat schon vor 37 Jahren vorgesorgt - und einen Bunker für 100 Menschen gebaut.

Von Mirjam Uhrich

Natur soll zurück in die Städte

In der Welt, die Veera beschreibt, ist alles mit allem verwoben. Menschen, Tiere, Pflanzen. Jeder Versuch, sie auseinanderzureißen, ist in seinen Augen zum Scheitern verurteilt. Weil es der Mensch nicht wirklich aushält ohne das Leben der anderen. Und schon gar nicht ohne sprießendes Grün.

600 tropische Pflanzenarten ließen sich nutzen für die Vertikale, sagt Veera. Und vielleicht werden es noch mehr. Die Urwälder der Region sind inzwischen stark geschrumpft. Aber noch finden sich genügend Arten, die man als Fachmann vermehren und verpflanzen kann. Veera hat sich viel vorgenommen: Wo immer er eine Chance sieht, möchte er Natur zurück in die Städte tragen.

Der Singapurer schafft lebende Wände, er baut vertikale Gärten für gestresste Menschen in den Metropolen. Das sollen keine grünen Etiketten sein. Veera will keine aufgeklebte Natur, die nur der Imagepflege dient. Der 54-Jährige spricht von der Vision "urbaner Ökosysteme". In ihnen spielen Pflanzen und Tiere eine wichtige Rolle, aber dafür muss man sie erst einmal zurückholen und auch gedeihen lassen. Seine Arbeit zeigt, was alles geht, um die Schluchten der Großstädte zu begrünen.

Asiens Megastädte sind alle dicht besiedelt und rasch gewachsen. Für viele ist die Skyline dieser Städte ein Sinnbild für Aufschwung und Wohlstand. Überall ragen Türme aus Stahl, Beton und Glas in den Himmel, in den Fassaden spiegelt sich der Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Aber man kann die Bauwerke auch anders deuten: Als Mahnmale einer Welt, die sich gnadenlos zubetoniert. Menschen, die in solchen Städten leben, fragen sich immer häufiger, was ihre Umwelt eigentlich noch lebenswert macht. Fehlt hier nicht etwas Entscheidendes, um sich wohlzufühlen?

Auch Singapur ist stolz auf seine Glitzertürme, es hat reichlich davon. Dennoch versucht gerade diese Metropole ihren eigenen, etwas anderen Weg zu gehen. Sie möchte eine "Stadt im Garten" sein. Und Veera, der Gründer von Greenology, weiß, wie man so was anpackt. Der Botaniker betrachtet seine Heimat als "wunderbares Labor", was vielleicht auch daran liegt, dass die singapurische Regierung bei Bauprojekten strenge Auflagen setzt. Ohne Grünanlagen kann kaum noch etwas hochgezogen werden. Doch angesichts der Enge ist Kreativität gefragt. Einer wie Veera kommt da gerade recht.

Wenn die Menschen in die Höhe ziehen, dann muss das Grün eben mit, sagt er. "Sky Gardening" heißt das, Gärten, die in luftigen Höhen schweben. Oder eben lebende Wände, die sich über die Fassaden ziehen. Sie bilden starke Kontraste zu den kantigen Flächen aus Glas und Stein. Auf den Betrachter wirken sie wie Inseln, auf denen sich die Augen ausruhen können.

"Natur ist ja nichts Statisches", sagt der Botaniker. "Ihr besonderes Merkmal liegt gerade in der Fähigkeit des Rebooting. Sie kann sich immer wieder neu starten." Nach Naturkatastrophen könne man das gut besichtigen. Warum also soll das Grün nicht auch zurückfinden in die großen Städte? Zumal es Leute wie Veera gibt, die den Pflanzen den Weg bereiten können.

Biologen, Ingenieure, Designer. Ein Team von 40 Mitarbeitern beschäftigt Veera. Manche stammen auch aus ganz anderen Berufen. Für den Gründer ist es wichtig, mit welcher Einstellung sie zu ihm kommen. Dafür habe er einen guten Blick entwickelt, sagt er. "Meine Bewerbungsgespräche dauern meistens nur fünf Minuten." Dann weiß er schon, wer für diesen Job passt und wer nicht.

"Früher war Grün in Metropolen oft nur ein Feigenblatt. Aber nun wächst doch ein Bewusstsein, dass es um Existenzielles geht", glaubt Veera. "Es geht um die Seele unserer Städte. Wie wollen wir sie gestalten? Und was brauchen Menschen, um sich zu Hause und geborgen zu fühlen?"

Natürlich gibt es in Städten sehr viele Bedürfnisse, und alle erfordern Platz. "Einfach viele Bäume zwischen Häuser pflanzen, das wird künftig nicht mehr funktionieren." Zu eng stehen die Gebäude, zu hoch ragen sie hinaus, weil der Platz in den Ballungsräumen so kostbar geworden ist.

"Deshalb ist Technologie gefragt", sagt Veera. Sie spielt eine wichtige Rolle, wenn er seine steilen Gärten baut, die außen an Hauswänden nach oben klettern, die sich auf Terrassen in luftiger Höhe ausbreiten oder auch im Innern von Gebäuden wachsen. Dafür braucht er passende Substrate, auf dem die Pflanzen sitzen, er tüftelt an der Bewässerung und der Zufuhr von Nährstoffen. Denn alles muss ja leicht aus der Ferne und möglichst per Computer zu steuern sein.

Veeras Kunst der Gärten zeigt: Technik und Natur lassen sich gut zusammenführen. Was Pflanzen an Licht brauchen, wie sie bewässert und gedüngt werden sollten, all das sind Fragen, die sich exakt erforschen lassen. Und nur so gelingt es, Wände in der Stadt auch nachhaltig zu begrünen. "Wir entwickeln Systeme, in denen man Pflanzen nicht ständig austauschen muss, weil sie nach kurzer Zeit eingehen. Wir wollen etwas schaffen, was bleibt und gedeiht." Wegwerfware bei Pflanzen findet Veera sehr fragwürdig. "Schließlich haben wir es mit Lebewesen zu tun."

"Wir wollen, dass die Besitzer ihre Gärten und Wände selbst pflegen können", sagt Veera

Lebende Wände am Fabrikgebäude? Veera macht es möglich, gerade war er bei der Einweihung eines Projekts in der Tagore Lane, der Besitzer des Industriegebäudes ist stolz auf das innovative Kleid, es muss ja nicht immer trist und grau sein.

Wer mit Veera unterwegs ist, spürt eine große Begeisterung, die ihn treibt. Und sie steckt an. Ganz nebenbei lernt man auch noch Nützliches. Wie Pflanzen das Mikroklima verbessern. Warum lebende Wände kühlende Effekte erzeugen. Wie Pflanzen Luft reinigen und Lärm dämmen. Man könnte jetzt auch noch Veeras "Urban Farming" erkunden. Gemüse in der Vertikalen. Fische im Container. Mit so etwas experimentiert der Biologe auch. Aber das ist schon eine eigene Geschichte.

Veeras Liebe zu den Pflanzen reifte früh. Aber es war nicht leicht für ihn als Kind. Er stammt aus armen Verhältnissen, sein Großvater kam einst aus Indien nach Singapur und diente als Gärtner für die koloniale Truppe der Briten. Sein Vater arbeitete nach der Unabhängigkeit als Straßenkehrer, die Kinder hatten Angst vor ihm, wenn er getrunken hatte.

Die zehnköpfige Familie teilte sich in den Sechzigerjahren ein einziges kleines Zimmer. Als der Vater starb, war Veera war gerade mal fünf Jahre alt. Und mit dem Geld wurde es fortan noch schwieriger. Niemals trug der Junge eigene Schuhe, er erbte sie von seinen Brüdern. Und immer waren sie viel zu groß. Niemals hatte er eigene Bücher, selbst Stifte waren damals rar.

Aber in der Schule merkten die Lehrer doch, was alles in ihm steckte. Veera schuftete später in Steinbrüchen und auf Schiffen, um sich etwas zu verdienen. Mit der Hilfe eines Freundes gelang es ihm schließlich, sein Biologiestudium zu finanzieren. Danach ging es aufwärts.

Veera arbeitete als Berater im Ausland, er besetzte leitende Positionen im Singapurer Zoo und in der Nationalparkbehörde, bevor er sich selbständig machte. Veera ist Botaniker durch und durch, und noch heute kann er mühelos die lateinischen Namen von 3000 Pflanzen benennen.

Erziehung der jüngeren Generation durch Naturerlebnis

Aber nicht alle brauchen diese Expertise: "Wir wollen, dass die Besitzer ihre Gärten und Wände selbst pflegen können", sagt Veera. Denn damit wachse auch ein Gefühl der Verantwortung. Veera spricht nun von den lebenden Wänden, die sie in Wohnanlagen und privaten Häusern bauen, immer mehr Menschen wünschten sich so etwas für ihr Heim.

Diese kleinen Kunstwerke lassen sich mit dem richtigen Licht und geeigneten Lampen sehr gut einrichten. Und gerade für junge Leute bietet das Gelegenheit, sich um "etwas Lebendes" zu kümmern, wie Veera sagt. Viele, die nun in Mega-Citys groß werden, sind mit solchen Aufgaben gar nicht mehr vertraut. Manche hatten noch nie Kontakt mit natürlichen Gewächsen, sie haben noch nie gesehen, wie eine Pflanze keimt.

Die heilsamen Effekte der Gärtnerei sind für Veera offenkundig: Gerade war ein Topanwalt aus der City bei ihm und hat mit nahezu kindlicher Freude erzählt, wie er jeden Abend seine Pflänzchen schneidet und zupft. Eine bessere Anti-Stress-Therapie hätte er gar nicht finden können, versicherte ihm der Jurist.

Gemeinschaftsgärten für Jung und Alt

In seinen Garten an der Farnborough Road kommen manchmal Familien, deren Angehörige an Demenz leiden. Die Patienten topfen dann mit Freiwilligen Pflanzen ein, sie helfen mit, wo es geht. Sie tasten, riechen, schmecken. Das tut ihren Sinnen gut, und es werden immer mehr, die sich auf dem Gelände von Veera erholen.

Dass das Gärtnern die Gemeinschaft fördert, hat Veera schon sehr früh beobachtet. Und auch der Staat hat diesen Nutzen längst erkannt. Deshalb fördert die Nationalparkbehörde sogenannte "Gemeindegärten", in denen junge und alte Leute zusammenfinden und gemeinsam graben, pflanzen, ernten. Mit solchen Arbeiten lassen sich auch Brücken zwischen einzelnen Ethnien bauen, die in Singapur auf engem Raum zusammenleben. Chinesen, Malaien, Inder, Europäer.

"Gemeinsam in der Erde wühlen!", sagt Veera. "Man glaubt gar nicht, wie sehr das die Leute verbindet."

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Urban-Gardening
:Unter dem Pflaster der Garten

Das Frankfurter Ostend galt lange als Arme-Leute-Gegend. Doch mit dem Bau der Europäischen Zentralbank veränderte sich dort vieles - auch mit dem "Frankfurter Garten".

Von Ingrid Weidner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: