Gartengestaltung:An der Wurzel gepackt

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Zwischen den geretteten Bäumen finden sich alte Kalksteinwände und Kunstobjekte, hier das "Alpaka" von Jürgen Drescher. (Foto: Jürgen Drescher/VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Enea Landscape Architecture)

Wenn ein alter Baum im Weg steht, wird er gefällt. Oder aber Landschaftsarchitekt Enzo Enea gräbt ihn aus. Eine Begegnung am Zürichsee

Von Julia Rothhaas

150 Jahre lang durfte der japanische Acer palmatum seine fein gefächerten, spitz zulaufenden Blätter vor dem Zürcher Kongresshaus in den Wind halten und sich zwölf Meter in den Himmel strecken, dann sollte der Fächerahorn weg, Umbauarbeiten. Auch die Rosskastanie wollte nach über hundert Jahren niemand mehr haben, obwohl sie so lange den Mittelpunkt des Dorfes Schänis im Kanton St. Gallen markiert hatte. Die Spuren der Klammern, mit denen die Menschen dort einst ihre Plakate und Faltblätter anbrachten, sind heute noch auf der dunklen Rinde zu sehen. 2009 war eine breitere Straße geplant, der Baum sollte abgeholzt werden.

Heute stehen die beiden Hochbetagten am Ufer des Zürichsees, so wie die Blumen-Esche aus dem Jahr 1935 oder die Wald-Kiefer, die Mitte der 1940er-Jahre groß zu werden begann. In Rapperswil haben über 50 Bäume ein neues Zuhause gefunden, deren Abholzung längst besiegelt war: der Eisenholzbaum von 1895, der Graue Strauch-Wacholder von 1943, der rote Schlitz-Ahorn von 1881, der Zier-Apfel, die Tulpen-Magnolie, die Kultur-Pflaume. Sie dürfen auf einem 75 000 Quadratmeter großen Gelände weiterwachsen, dort hat Landschaftsarchitekt Enzo Enea ein eigenes Baum-Museum für sie errichtet, neben seiner Baumschule, dem Haupthaus des Unternehmens und einem imposantem Showroom.

"Bäume stehen nie dort, wo man sie braucht."

"Bäume stehen nie dort, wo man sie gerade braucht", sagt Enzo Enea Ende Juli bei einem Spaziergang über das Gelände. "Aber Zeit kann man so wie Gesundheit eben nicht kaufen." Deswegen hat er sich auf alte Bäume spezialisiert, die einem Umbau, Anbau, Neubau weichen müssen und eine neue Heimat brauchen. Asyl gibt es oft in exklusiven Lagen: Vor das Bulgari-Hotel in Peking pflanzt man kein karges Bäumchen, in der Hoffnung, es möge schnell wachsen, damit es zum opulenten Design des Gebäudes passt. "Ein Baum ist erst mit 80 oder 100 Jahren spannend und bekommt Charakter", sagt der Mann mit der graumelierten Welle auf dem Kopf. Deshalb stehen vor dem 2017 eröffneten Luxushotel heute 300 Jahre alte Kiefern, die zuvor in den Wäldern mehrere Zugstunden von der chinesischen Hauptstadt entfernt wuchsen; ihre Rinden waren bereits für die Waldarbeiter markiert. Sie warteten auf die Säge, bis eines Tages Enzo Enea vor ihnen stand und sie ausgraben ließ.

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Nur aus reiner Liebe zur Natur legt der 57-Jährige aber keine Wurzel frei. Enea ist einer der bekanntesten Landschaftsarchitekten weltweit, mit Büros in Miami, New York, Zürich, der mit Top-Architekturbüros zusammenarbeitet wie David Chipperfield, Rem Koolhaas, Tadao Andō oder Sir Norman Foster. Zu seinen Kunden gehören Prinz Charles und Tina Turner und Firmen wie Apple, Rolex, die FIFA. Also diejenigen, die mehr als genug Geld haben dürften für ein paar Bäume. Aber eben keine Zeit, ihnen beim Wachsen zuzugucken.

In diesem von Enea angelegten Privatgarten in Feusisberg in der Schweiz lässt es sich gut aushalten. (Foto: Enea Landscape Architecture)

Einen alten Baum verpflanzt man nicht, heißt es. Es dennoch zu tun ist eine große Kunst. Eigentlich müsste man den kompletten Radius aller Äste auf den Boden spiegeln und die Wurzeln dann auf dieser gesamten Fläche vorsichtig ausgraben. Das wird allerdings zu schwer, so ein Koloss lässt sich nicht transportieren. Deswegen graben Eneas Baumspezialisten sämtliche Wurzeln per Hand aus, waschen die Erde ab und legen so die Basis frei. "Dann gibt es einen speziellen Wurzelschnitt, an dem wir seit zwanzig Jahren bis heute feilen, damit der Baum relativ schnell Wasser ziehen kann, keinen Schaden erleidet und uns das Ausgraben nicht so übelnimmt." Wie genau er das macht, mag der Schweizer nicht verraten, Betriebsgeheimnis. Dennoch lässt sich nicht jeder Baum versetzen, trotz spezieller Techniken. Tiefwurzler wie Walnussbäume sind nur schwer aus der Erde zu bekommen, sie graben sich bis zu zehn Meter in den Boden hinein.

Die Anzahl an geretteten Bäumen reicht aber nicht für seine zahlreichen Kunden, die sich einen alten Ahorn wünschen. Deswegen fährt sein Team zu Baumschulen in ganz Europa, um die Exemplare zu finden, die zu den jeweiligen Projekten passen. Auch er selbst sei häufig unterwegs. Dank seines fotografischen Gedächtnisses könne er sich Bäume gut merken, sagt er selbstbewusst. Um den richtigen Baum für den jeweiligen Ort zu finden, werden zunächst der Boden des neu anzulegenden Grundstücks, die Durchschnittstemperaturen, Wind, Schatten, Sonnenstunden analysiert, erst dann kümmert sich Enea darum, dass der gesamte Garten gut aussieht. Dabei setzt er weniger auf romantische Wildnis, die übers Jahr verteilt die Farben wechseln darf wie ein Teenager sein Outfit, sondern vielmehr auf klare Linien, perfekte Sichtachsen, abgetrennte Rasenflächen, präzise getrimmte Bäume und Sträucher. Alles muss zusammenpassen, da findet sich auch das Rotbeige der Schilfwedel in den Gartenstühlen wieder.

Auf Maui bekam Enea seinen ersten Job.

Wenn Enzo Enea durch sein Baummuseum läuft, blitzt manchmal kurz der kleine Junge in ihm auf, der auf diesem Grundstück groß wurde. Er spricht dann begeistert von seinen Lieblingen, den japanischen Ahornbäumen, die er seit 30 Jahren sammelt, oder zeigt auf die Sumpfzypressen, die enorm viel Wasser brauchen und ihm so helfen, auf seinem sumpfigen Seegrundstück überhaupt unterschiedliche Bäume pflanzen zu können. "Die ziehen jeden Tag 800 bis 1000 Liter Wasser, pro Baum!", sagt er stolz wie ein Vater, der seinem Kind beim Klavierspielen zusieht.

Eneas Vater stellte auf dem Gelände in Rapperswil gehauene Töpfe her, Treppen und Fenstersimse. Auch der Sohn lernte ein Handwerk und wurde Formenbauer, um Negative herstellen zu können für Zahnmedizin oder Uhrenmacher. Doch trotz Affinität zur Technik wollte er mehr Natur in seinem Job haben, schließlich habe er sich schon in Opas Garten in der Emilia-Romagna in die Pfirsichbäume mit ihren saftigen Früchten verliebt. Also belegte Enea Kurse in Landschaftsarchitektur im Chelsea Physic Garden in London und ging danach nach Maui. Eigentlich wollte er surfen, stattdessen bekam er dort seinen ersten Auftrag: einen tropischen Garten.

Der 57-Jährige Schweizer lehnt Kundenwünsche auch mal ab, wenn die Vorstellung nicht zum Gelände passt. (Foto: Enea Landscape Architecture)

Zurück in der Schweiz wollte der Vater wissen, ob er nicht seinen Steinmetzbetrieb übernehme. Gute Idee, fand der Sohn, und setzt seitdem allerdings auf Luxusgärten statt Fenstersimse. Über die Jahrzehnte verfeinert er dabei seinen Leitsatz "Natur und Architektur mit dem Geist des Ortes vereinen" und zeigt die Ergebnisse in Genf, Abu Dhabi, Bogotá. Dennoch erfüllt Enea nicht jeden Kundenwunsch. "Ich baue am Zürichsee keinen japanischen Garten mit einer roten Brücke, das passt einfach nicht." Außerdem soll ein Baum nicht zu weite Wege zurücklegen müssen. Vor jedem Kundengespräch marschiert Enea daher in die botanischen Gärten vor Ort, um sich zu informieren, was wo wächst. Egal ob in Peking, in Miami oder in München, wo er gerade gemeinsam mit David Chipperfield das "Karl" baut, ein großer Bürokomplex nahe des Hauptbahnhofs, in dem Apple seinen neuen Standort plant.

Grenzen zieht er, wenn mit alten Bäumen nur Profit gemacht werden soll. Zum Beispiel, wenn alte Oliven den Bauern für wenig Geld abgekauft und gewinnbringend neben einen schicken Pool gesetzt werden sollen. Auch möchte er keinen Baum an einen Ort bringen, an dem er gewiss nach wenigen Jahren eingeht. Da lässt er schon mal den Bauschutt aus dem Boden heben und mit frischer Erde auffüllen, bevor er ihn pflanzt, damit der Baum überhaupt eine Chance hat. Sein Team schickt er ein-, zweimal im Jahr zu allen von ihm angelegten Gärten, um nach dem Zustand der Pflanzen zu sehen.

Längst setzt er auf hitzeresistentere Bäume.

Inzwischen kommen immer wieder Menschen auf Enea zu, die von alten Bäumen wissen, die gefällt werden sollen. "Das ist sehr wichtig, schließlich müsste man für die gleiche Menge Sauerstoff, die eine hundert Jahre alte Linde produziert, 2000 neue Bäume setzen." Die Klimakrise hat seine Arbeit längst verändert, seit vielen Jahren schon setzt er auf resistentere Bäume wie den Feldahorn, den Eisenholzbaum, den japanischen Schnurbaum oder die Silberlinde, weil sie robuster und hitzetoleranter sind. "Wir versuchen, Architektur abzufedern, in dem wir vor Ort ein Mikroklima schaffen, von dem Menschen und Natur im unmittelbaren Umfeld profitieren", sagt Enea. "Wir gucken sehr genau, ob ein Platz für einen Baum lebenswert ist, oder ob zu viel Glas außenherum zu viel Sonnenabstrahlung an ihn abgeben würde." Sein wichtigster Job sei schließlich: der Respekt vor der Natur.

Gegenüber vom imposanten Showroom stehen ein paar "Mushrooms" von Künstlerin Sylvie Fleury. (Foto: Enea Landscape Architecture)

Ein bisschen verrückt sein gehört dazu: Den 700 Quadratmeter großen Showroom in Rapperswil für seine Gartenmöbel, die er inzwischen auch produziert, hat er rund um einen 25 Meter langen Esstisch bauen lassen. Das verwendete Kauri-Holz aus Neuseeland soll 40.000 Jahre alt sein und wurde in einem Moor vakuumiert. "Der Tisch war zuerst da. Dann baut man halt drumherum", sagt Enea pragmatisch. Genauso habe er es mit seinem Haus gemacht: erst Esstisch aus Schwemmholz, dann der Rest.

Aktuell versucht er, das Metier der Landschaftsarchitektur neu aufzustellen. "Wenn man nur von innen nach außen arbeitet, hört das Gestalten immer an der Fensterscheibe auf", sagt Enea. Er will es andersherum machen und das gesamte Grundstück als Wohnraum betrachten. "Wir ziehen das komplett durch, da muss selbst die Farbe der Kissen zu den Blüten vorm Fenster passen." Trotz allem wirkt Enea bodenständig, etwa wenn man ihn danach fragt, ob er auch was von Bäumen gelernt hat. "Standhaft zu bleiben", sagt er dann schnell. Der Baum sei immer draußen, bei Regen, Schnee, Hitze, aber er bleibe unbeirrbar Hunderte von Jahren an der gleichen Stelle stehen. Zumindest so lange, bis Enzo Enea ihn vorsichtig ausgräbt.

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