Fußballer und Mode:Neymar perfektioniert das Spiel des Model-Kickers

Balmain : Arrivals - Paris Fashion Week Womenswear Spring/Summer 2018

Neymar, Stürmer bei Paris Saint-Germain, beherrscht das Spiel mit der Mode bestens.

(Foto: Getty Images for Balmain)

Mit Nebenjobs vor der Kamera tritt der Brasilianer in die Fußstapfen von David Beckham und zeigt: Spitzenfußballer müssen heute nicht nur Hackentricks und Freistöße, sondern auch Mode können.

Von Silke Wichert

Wahrscheinlich gibt es momentan nur einen Fußballer, der dieses Kunststück draufhat. Keinen Hackentrick, Fallrückzieher oder solche Sachen. Viel schwieriger: sich mit nichts als einem ärmellosen Pelzleibchen bekleidet fotografieren zu lassen und dabei nicht total bescheuert auszusehen.

Die Rede ist von Neymar Jr., der mit diesem "Look" das aktuelle Cover des englischen Magazins Man About Town ziert, abgelichtet von Star-Fotograf Mario Testino. Mit dem kann an sich nicht viel schiefgehen, von Hollywood-Schauspielern bis zur englischen Königsfamilie vollendet und veredelt der Brasilianer so ziemlich alles. Trotzdem möchte man sich die meisten anderen Spitzenfußballer lieber nicht in so einer Dior-Homme-Fellweste vorstellen. Neymar wiederum steckt sich obendrauf noch zwei Brillant-Kreolen in jedes Ohr, hängt sich weiße Kopfhörer um den Hals und schaut so abgeklärt in die Kamera, als trage er den ganzen Tag nichts anderes am durchtätowierten Körper. Anders formuliert: Er macht das Ding einfach rein.

Der 222-Millionen-Euro-Stürmer von Paris Saint-Germain ist nicht nur der teuerste Transfer der Fußball-Historie, er ist auch derjenige, der das Spiel mit der Mode derzeit am besten beherrscht. Wobei Mode durchaus etwas mit Sport zu tun hat, das Englische "to sport" heißt nicht umsonst "zur Schau stellen". Sport und Showbetrieb - das passt immer besser zusammen.

Der Brasilianer sagt über seinen Fußball, er spiele vor allem, "um zu unterhalten". Seine Dribblings und Übersteiger, die unvorhersehbaren Drehungen und Wendungen, das ist genau das, was die Fans auf dem Platz sehen wollen. Doch auch abseits des Spielfelds sorgt "Ney" verlässlich für Entertainment. In seiner Heimat ist er früher in Musikvideos aufgetreten, bei seinem Ex-Klub Barcelona kassierte er zufällig immer genau dann die fünfte gelbe Karte, wenn seine Schwester in Brasilien ihre Geburtstagsparty schmiss. Und in Paris besuchte er im September mit Teamkollege Dani Alves die Modenschau von Balmain. Bevor es losging, staksten die beiden in schwarzen Goldknopf-Jacketts des Luxuslabels zum Spaß wie Models über den Laufsteg. Das Video davon ging sofort viral. Schließlich hat der 25-Jährige derzeit rund 85 Millionen Instagram-Follower - achtmal so viel wie sein Klub PSG.

Lionel Messi galt lange als hoffnungsloser Fall. Er suchte Hilfe bei Dolce & Gabbana

"Wir wollten einen wie David Beckham haben", sagte Barça-Präsident Josep Maria Bartomeu einmal über die Verpflichtung des damals 21-jährigen Neymar. Auf sein Spiel war das nicht bezogen, da hat der Brasilianer im Vergleich - sorry, David - ganz andere Anlagen. Barça suchte vielmehr: den nächsten perfekt vermarktbaren Spieler. Der Engländer Beckham war der erste, dessen Werbeeinnahmen sein Fußballergehalt, erst von Manchester United, später von Real Madrid, deutlich überstiegen. Seine Freistöße waren auch schön anzusehen, aber noch lieber schaute die Welt dem "handsome midfielder" dabei zu, wie er die Frisuren wechselte, im Gucci-Lederensemble mit einem Spice-Girl ausging und in Pepsi-Spots den Cowboy gab.

Für die Klubs mag das erst etwas mühsam gewesen sein, dass da einer in der Mannschaftsumkleide jetzt länger fürs Föhnen brauchte, dafür spülte Beckham langfristig auch bei ihnen mehr Geld rein: mit explodierenden Trikotverkäufen, noch lukrativeren Ausrüsterverträgen und Übertragungsrechten nach Asien. Den anderen Spielern wiederum ebnete der oberste "Metrosexual" den Weg in eine neue Ära, neben Autos und Frauen waren irgendwann auch Frisuren, Klamotten und Gucci-Kulturbeutel erlaubt. Beckham warb für Adidas, Armani, Motorola, H&M. Noch 2009, als er bereits Ehrenrunden bei LA Galaxy drehte, war er mit 40 Millionen Dollar laut Forbes das dritte Jahr in Folge der bestverdienende Fußballer der Welt.

Seitdem sind Marketingleute ständig auf der Suche nach dem nächsten Vorzeige-Kicker. Kaum ein Mann würde öffentlich vom "coolen Look" eines Männermodels oder Schauspielers schwärmen, viele verirren sich kein einziges Mal im Leben auf die Seiten eines Modemagazins. Fußballer hingegen verbringen einen Großteil ihrer Zeit in verschwitzten Trikots und Trainingsjacken, das geht als hinlänglich männlich durch und reicht als Absolution für den Schnickschnack abseits des Platzes. Die Jungen vergöttern Fußballer ohnehin wie Popstars. Dieser Sport erreiche gleichzeitig "die jetzigen und die künftigen Kunden und solche, die nie deine Marke kaufen werden", sagte Jean-Claude Biver, Präsident der LVMH-Uhrenmarken Hublot, Tag Heuer und Zenith, gegenüber der New York Times. Er hätte auch sagen können: Im besten Fall gucken 3,5 Milliarden Fußballfans weltweit auf deine hübschen Zeiger.

Das Dumme war nur, abseits des Platzes taugten die meisten Profis zuletzt nicht viel. Abgesehen von Cristiano Ronaldo natürlich, dem mit 93 Millionen Dollar bestverdienenden Fußballer des vergangenen Jahres, der sich so ehrgeizig vermarktet, wie er Freistöße trainiert. Für Armani modelte er Jeans und Unterwäsche, mittlerweile entwirft er unter eigenem Namen "CR7-Underwear", in Spanien blickte er einem sogar von Keksdosen entgegen. Zwischen Streber und Diva polarisiert der Portugiese seit jeher. Einige Zeit war er medienwirksam mit dem Topmodel Irina Shayk liiert, 2014 posierten sie gemeinsam auf dem Titel der spanischen Vogue, fotografiert von, ta-daaaa: Mario Testino. Vorne Shayk im weißen Cocktailkleid, seitlich dahinter Ronaldo, nackt, wie er sich schuf.

"Wir sind alle Affen"

Und der andere Superstar, Lionel Messi? Galt modisch lange als hoffnungsloser Fall. Legendär ist das Foto aus der Barça-Kabine von 2015, wo er neben den in bunten Anzügen rausgeputzten Kollegen Alves, Neymar und Rafinha in Hemd-zum-Rundhalspulli steht und auf Twitter für seinen "Aushilfslehrer-Look" verspottet wurde. Selbst ein Vertrag mit Dolce & Gabbana richtete eher noch mehr Schaden an. Erst seit er Vollbart trägt und im vergangenem Sommer zeitweise mit blondierten Haaren auflief, haben ihn auch Nicht-Fußballinteressierte plötzlich auf dem Radar.

Der Franzose Antoine Griezmann oder der Waliser Gareth Bale verbringen heute ähnlich viel Zeit mit ihren Haaren wie einst Beckham. James Rodriguez zog vergangenes Jahr, als er noch für Madrid spielte, als einziger Fußballer einen prestigeträchtigen Vertrag mit Calvin Klein Underwear an Land. Isco Alarcón von Real Madrid ist das neue Gesicht eines Boss-Parfums. Der interessanteste deutsche Beitrag, modisch gesehen: Bayern-Spieler Jérôme Boateng, der von Jay-Zs Firma "Roc Nation Sports" vermarktet und deshalb gern als "Hip- Hop-Fußballer" bezeichnet wird. Er wirbt für Hublot und die Kopfhörer von JBL, spricht in Interviews über seine Sneakersammlung und entwirft eine Brillenlinie; vor der EM 2016 modelte er für das "Football Fashion Magazine" SEPP. Man muss auch dieses Spiel mögen, um es gut zu machen.

Kicker als Model? Man muss auch dieses Spiel mögen, um es gut zu machen

Womit wir wieder bei Neymar sind, dem "Man about town". "Lebemann" ist eine der Übersetzungen für diesen Terminus und nicht der schlechteste Versuch, auch die Anziehungskraft von Neymar zu erklären. Während bei Beckham alles immer perfekt durchgestylt rüberkam, wirkt der Brasilianer echter, weniger geleckt. Baseballcap statt Haarband, mehr Straße als Salon, was für die junge Generation von Fans ohnehin zeitgemäßer ist. Selbstverliebt ist er mit Sicherheit, genauso liebt er aber wohl das Leben. Was mitunter dazu führt, dass man mit 19 überraschend Vater wird.

Im Gegenzug sorgt sein eigener Vater dafür, dass dieses Leben möglichst viel abwirft. Die spanische Tageszeitung El Mundo Deportivo rechnete 2014 mal aus, wie viele Sponsorentermine Neymar Jr. in den vorangegangen drei Jahren ungefähr absolviert hatte. Ergebnis: Etwa so viele, wie er im gleichen Zeitraum Tore geschossen hatte, nämlich 200. Schon als er noch beim brasilianischen Verein Santos spielte, hatte Neymar senior für seinen Sohn ein aufwendiges Geflecht an Firmenbeteiligungen und Werbeverträgen geknüpft, mit denen er dreimal so viel Geld wie mit dem Fußball verdiente.

Legendär ist die Geschichte mit der Banane, die während einer Auswärtspartie von Barça auf seinen Teamkollegen Dani Alves geworfen wurde. "Wir sind alle Affen" postete Neymar daraufhin auf Facebook und setzte eine Lawine von solidarischem Bananen-Verzehr in Gang. Erst später stellte sich heraus, dass das Ganze von seiner Werbeagentur inszeniert worden war. Ein befreundeter Designer verkaufte bereits passende T-Shirts. "Bis zu einem bestimmten Punkt ist er mein Sohn, den ich umarme und küsse", hat sein Managervater Neymar senior 2012 in einem Interview gesagt. "Aber ab dem Moment, wo er auf den Platz geht, ist er mein Business." Aktuell verdient das Business rund 36,8 Millionen Euro pro Jahr bei PSG, dazu etwa 18 Millionen mit Werbekunden wie Nike, Red Bull und den Kopfhörern Beats by Dre. Nicht zufällig sind die in der Testino-Strecke überall im Bild.

Das Business dürfte, seit es in Paris ansässig ist, noch einmal eine neue Dimension erreichen: Nach der Balmain-Show jedenfalls umarmten sich Neymar und der Designer Olivier Rousteing bereits überschwänglich. Sie hätten sich zuerst über Instagram kennengelernt, sagt Rousteing. Er habe sich geehrt gefühlt, dass einer wie Neymar ihm folge, seitdem seien sie in ständigem Kontakt. "Gern würden wir die Beziehung zu ihm in Zukunft noch intensivieren", heißt es aus dem Haus.

Einige Wochen zuvor hatte der Brasilianer bereits die Fashion Show von Tommy Hilfiger in London besucht. Er trug zerrissene Jeans zum Jeanshemd, rot getönte Gläser und ein schwarzes Bandana-Stirnband, sein Kumpel Lewis Hamilton daneben erschien in bunt gestreiftem Hemd über buntem Polo und bunten Hosen, woraufhin die Zeitung The Sun schrieb, die beiden würden ihren "inneren Zoolander" beschwören. Eine Anspielung auf die Männermodel-Persiflage mit Ben Stiller und Owen Wilson, was nicht nur ziemlich lustig, sondern auch zutreffend war.

Neymar eröffnet demnächst angeblich einen Nachtclub in Rio de Janeiro. In Sachen "Football Style" fast schon wieder rührend altmodisch: Günter Netzer betrieb Anfang der Siebziger bekanntlich ebenfalls eine Disco, wenn auch in Mönchengladbach.

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