Frauen in Paris:Die verschärfte Form der Französin

Frauen in Paris: Charlotte Gainsbourg

Charlotte Gainsbourg

(Foto: AFP)

Sie ist wild, unabhängig, aber auch immer sehr feminin und zart. Zu schön, um wahr zu sein? Über das ewige Klischee der Pariserin.

Von Nadia Pantel, Paris

Zu den sinnvollen Einheiten bei Ländervergleichen zählen Fläche, Einwohnerzahl und frei lebende Wildvogelarten. Zu den quatschigen Einheiten zählt die Attraktivität der Einwohner. Wer ist schöner? Deutsche oder Holländer? Das Internet kennt dazu keine Antwort. Gibt man "German style" in der Google-Bildersuche ein, bekommt man Autos angezeigt. Menschliche Schönheit ist bei internationalen Rankings eine Kategorie, die ohne Deutschland auskommt. Allerdings auch ohne die Niederlande, Großbritannien und eigentlich alle anderen Länder.

Die Ausnahme von dieser Regel ist "die Französin". Seit Jahrzehnten terrorisiert dieses Klischee Frauen auf der ganzen Welt. Es funktioniert nach dem "Immer ein bisschen besser als du"-Prinzip. Die Französin ist eleganter und lässiger, sie bleibt selbst in langen Beziehungen ungebunden und frei, sie ist dünner und trotzdem weiblicher, und wenn man ihr all das sagt, dann streicht sie nur ihr ungekämmtes Haar nach hinten, zieht an ihrer Zigarette und sagt gelangweilt "Ah bon?" In Frankreich selbst werden Frauen von einer verschärften Version "der Französin" heimgesucht: Das nie zu erreichende Vorbild heißt hier "die Pariserin".

Der Französin entkommt man auch dann nicht, wenn man die Modehefte beiseitelegt. Ihr Glücksversprechen gilt für jeden Lebensbereich: Du kannst alles haben, ohne Streit und Anstrengung. Kinder, Beruf, flacher Bauch und Katerfrühstück mit der besten Freundin.

Eine der Chef-Pariserinnen ist Caroline de Maigret. Model, Musikproduzentin, Adelstochter. Gemeinsam mit drei Co-Autorinnen brachte sie 2014 das Buch "How To Be Parisian wherever you are: Liebe, Stil und Lässigkeit à la française" heraus. Nach dem Erscheinen dieses Ratgebers wirkte es kurz so, als sei das Französinnen-Gospel langsam ausgesungen. Das Buch wurde zwar zum internationalen Bestseller, aber es fiel dann doch einigen Rezensenten auf, dass es etwas unverschämt war zu behaupten, jede könne so cool sein wie de Maigret, wenn sie sich daran hält, ihre Haarpflege systematisch zu vernachlässigen. Caroline de Maigret trägt oft zottelige Strähnen auf dem Kopf spazieren und jeder denkt: "So schön! Obwohl der Föhn kaputt ist." Man kann diese Frisur natürlich auch ohne de Maigrets Gesicht tragen, es könnte dann nur irgendjemand auf die Idee kommen, einem Münzen in den leeren Kaffeebecher zu werfen.

Die Französin raucht und trinkt, und lacht nicht über jeden Witz, den ein Mann macht

Kurz vor de Maigrets Ode an sich selbst war "Warum französische Frauen nicht dick werden" erschienen. Langsam wurde es peinlich im Frankreich-Regal. Immer-hin stand dort schon der Bestseller "Warum französische Kinder keine Nervensägen sind". In diesem Buch geht es um die Erziehungskniffe französischer Mütter, Väter kommen nur als begehrende oder tölpelhafte Partner vor. Und wenn man sich fragt, warum der Französinnen-Mythos einerseits so nervt und andererseits so schwer aus der Welt zu räumen ist, dann ist dieses Detail entscheidend.

In den Wundererzählungen von der Französin geht es am Ende nicht darum, wie Frauen sich anziehen und verhalten. Sondern darum, wie sie sich perfekt einrichten in einer Welt, in der Macht und Geld unhinterfragt in Männerhänden ruhen. Als halte Paris einige seiner schönsten Stadtpalais frei, damit das Patriarchat dort seine Hauspuschen abstellen kann, sollte es anderswo zu ungemütlich werden.

Frauen in Paris: Olympe de Gouges

Olympe de Gouges

(Foto: Wikimedia commons)

Und so begegnet einem die Französin weiterhin als schmückendes Accessoire. Gerne auch dort, wo man sie nicht erwartet. In einem Text über Politik zum Beispiel. Im Juli schickte die Welt den Schriftsteller Joachim Lottmann zur Verleihung des deutsch-französischen Medienpreises. Lottmann war nicht nominiert, er reiste an, um Galliges über Jürgen Habermas zu notieren. Heraus kam ein schlecht gelaunter Text, der sich nur über eines freute: "einige irritierend schöne Französinnen (...). Françoise Hardy in jung. Man hat ganz vergessen, dass Frauen so aussehen können, so zeitlos chic." Ein Blick auf Lottmanns Autorenfoto: Man hat nicht vergessen, dass Männer so aussehen können.

Gala, Glamour und Madame würden Lottmann sofort zustimmen. "Zeitlos chic" darf in keinem Text über die Französin fehlen. Ebenso wenig wie der Tipp, sich ein teures Männerhemd anzuziehen und sich nicht zu doll zu schminken, mit Ausnahme des roten Lippenstifts.

Französin sein bedeutet Freiheit und Sex

Die Französin hat raus, wie man's macht. Sie trinkt und raucht, auch als Mutter. Sie lacht nicht über jeden Witz, den der Mann ihr gegenüber macht, sondern besteht auf ihrem Recht, gelangweilt zu sein. Sie geht selbstbewusst und stolz zur Arbeit. Französin sein bedeutet Freiheit und Sex. Und indem man die Französin als Ausnahme feiert, sagt man auch: So viel Spaß ist für eine Frau eigentlich nicht normal.

Und das ist es auch nicht. Auch nicht für Französinnen. Die Frage, ob sie ihr Kind mit drei Monaten in die Krippe geben wollen, müssen sie am Ende mit sich selbst ausmachen. Väter haben Anrecht auf elf Tage Elternzeit. Selbst wenn die Französin tagsüber fantastisch aussieht, ist es nach Feierabend sie, die To-do-Listen schreibt, Wäsche aufhängt und Reste aufwärmt.

Das französische Statistikamt hat festgestellt, dass die Stunden, die in Hausarbeit und Kindererziehung investiert werden, zu 71 Prozent (Haushalt) beziehungsweise 65 Prozent (Kinder) Frauenzeit sind. Die French-Style-Bibeln ignorieren das nicht. In ihrem Buch "Warum französische Kinder keine Nervensägen sind" beschreibt die Amerikanerin Pamela Druckerman nicht nur, dass ihre Pariser Freundinnen besser angezogen sind, sondern auch, wie sie es schaffen, die häusliche Verweigerung ihrer Männer einfach zu akzeptieren. "Erwähnen die Französinnen aus meinem Bekanntenkreis Schwächen ihrer Partner, dann nur, damit man darüber lacht, wie bewundernswert unfähig Männer sind." In der Folge loben die Männer die Frauen "für den funktionierenden Haushalt. Dieses Lob scheint die Ungleichheit erträglicher zu machen. Dass Männer und Frauen gleich sind, ist einfach kein Maßstab für die Pariserinnen aus meinem Bekanntenkreis."

Frauen in Paris: Caroline de Maigre

Caroline de Maigre

(Foto: AFP)

Zur Erinnerung: Frankreich hat so widerständige Frauen wie Olympe de Gouges, Simone de Beauvoir und Simone Veil hervorgebracht. Die erste hat versucht, männlichen Revolutionären wie Robespierre zu erklären, dass Menschenrechte, die nur für ein Geschlecht gelten, Unsinn sind. Die zweite hat den Status quo des Patriarchats so fulminant seziert, dass es jeder lesen wollte. Und die dritte hat 1975 durchgesetzt, dass französische Frauen ein Recht auf Abtreibung haben. De Gouges, de Beauvoir und Veil haben nicht für die Selbstbestimmung der Frauen gekämpft, indem sie gefragt haben, warum macht meine Nachbarin alles perfekt und ich nicht. Sie haben klargestellt, dass sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen grundlegend ändern muss, damit der Grad der Freiheit keine Frage des Geschlechts bleibt.

Die Mode-Französin predigt etwas anderes: Sei frei, solange es niemandem wehtut. Die Frau verändert nicht die Welt, sie verändert sich selbst, damit die Welt ein bisschen hübscher aussieht.

Gainsbourg erklärte, dass sie Pullover erst wechselt, wenn sie anfangen zu stinken

Es ist nun nicht so, als würde es den Französinnen nur von außen aufgedrängt, besonders stilbildend zu sein. Für den passenden Buchdeal, den klickstarken Instagram-Post oder für Strumpf-, Parfum- und Kekswerbung wird das Streifen-T-Shirt gerne übergezogen. Die demütige Frankreichverehrung ist in ihrem Ursprung eine amerikanische Obsession. Woody Allen hat sie in "Midnight in Paris" als sentimentalen Reigen verfilmt. Und Style-Blogs wie Refinery 29 schreiben jede Woche neu darüber, wie man es schafft, ein "French Girl" zu werden. Franzosen nähren diesen Wahn mit einer Mischung aus Herablassung ("Natürlich sind wir kultivierter als die Amerikaner") und Geschäftssinn ("Hier hat schon Catherine Deneuve gesessen, sieben Euro für den Kaffee, bitte").

Nicht alle Französinnen sind so geistesgegenwärtig wie Charlotte Gainsbourg und antworten auf die ewige Frage nach dem Geheimnis der französischen Frau, dass es dieses Geheimnis nicht gibt. Dem Wall Street Journal erklärte Gainsbourg, dass sie Pullover erst dann wechselt, wenn sie anfangen zu stinken. Wobei sie auch sagen könnte, sie reibe sich Mäusehaar statt Deo unter die Achseln und es würde als "so french" gefeiert.

Nur was soll man tun, wenn man das Klischee gerade mühsam aus dem Kopf geprügelt hat, nach Paris fährt - und jedes Straßencafé ist zum Bersten gefüllt mit übertrieben schönen Menschen? Freuen, bewundern und genauer hinschauen. Die Französin war weiß und fragil und aus gutem Hause. Sie musste am Bistrotisch ein paar Plätze frei räumen für ihre Schwestern aus der ganzen Welt.

Kaum einer trägt heute in Paris französische Designer mit so viel Hingabe wie die Touristinnen aus China. Die blasse Französin wiederum kauft Jacken aus afrikanischem Wachstuch bei dem hippen Pariser Label Maison Chateau Rouge. Schließlich sind die Kinder der Einwanderer aus Senegal, Kamerun oder Mali nicht nur in der französischen Fußballnationalmannschaft angekommen. Sie machen Mode und posieren auf dem Cover der Vogue Paris. Selbst in der Musik hat die Figur der zarten Sängerin ausgedient. Statt einer mädchenhaften Vanessa Paradis gibt es jetzt Héloïse Letissier, die als androgyne und muskulöse "Chris" Stadien von London bis Los Angeles füllt.

Als Emmanuel Macron nach den perfekten Themen für seine Präsidentschaftskampagne suchte und die Wähler fragte, was sie sich von einem Präsidenten wünschen, war einer der häufigsten Forderungen, er möge entschlossener für die Gleichberechtigung der Frau kämpfen. Ob man es nun ernst nehmen kann, dass Macron seit diesen Umfragen sagt, er sei Feminist, ist eine andere Frage.

Sicher ist nur, dass es kein Land auf der Welt gibt, in dem Frauen denken: Schon okay, mein männlicher Kollege verdient 25 Prozent mehr als ich, aber immerhin findet er mich sexy. Ebenso wenig gibt es ein Land ohne nervige Kinder, dicke Menschen und schlecht sitzende Kleidung. Die Französin ist tot, es leben die Französinnen.

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