Süddeutsche Zeitung

Mode und Protest in Frankreich:Wilde Westen

Die lange Arbeiterhose wurde zum Symbol der Französischen Revolution. Jetzt tragen die Demonstranten gelbe Westen. Auf den Laufstegen sah man die Warnfarben schon zuvor. Über eine Verbindung von Mode und Protest.

Von Jan Kedves

Sie ist gelb, sie ist hässlich, sie passt zu nichts - aber sie kann Leben retten." So lautete der Plakatslogan, mit dem Karl Lagerfeld 2008 in Frankreich für neongelbe Warnwesten warb. Ein netter Witz, aber sicher kein modischer Vorschlag. Die Westen waren gerade Pflicht geworden. In jedem Auto in Frankreich musste von nun an eine mitgeführt werden. Ein überziehbares Warnschild für den Fall, dass man liegen bleibt oder sonst ein Ernstfall auf der Straße auftritt. Und ausgerechnet Lagerfeld, der selbst nur mit Chauffeur unterwegs ist, sollte damals den Franzosen die Verordnung schmackhaft machen, mit Augenzwinkern hinter der Sonnenbrille, versteht sich. Auf dem Foto trug er selbst so eine Weste.

Die gelben Westen, die "Gilets jaunes", sind nun seit einigen Wochen das Erkennungszeichen derer, die in den Straßen Frankreichs protestieren, randalieren, politische Mitsprache für sich reklamieren, Präsident Macron zur Rechenschaft ziehen wollen und - ja, was wollen sie eigentlich, was genau? Die Kommentatoren und Analysten scheinen ihre Schwierigkeiten damit zu haben, die Gleichzeitigkeit von konkreten politischen Zielen (wie etwa der Verhinderung der höheren Ökosteuer auf Kraftstoff) mit dem Bildersturm auf die Symbole der Republik (wie den Triumphbogen) auf einen Nenner zu bringen mit dem sich entladenden Macron-Hass, ausgeraubten Apple-Stores und den Parolen aus beiden Spektren, rechts und links. "Eine Art Überschussbevölkerung, die der neoliberale Staat zu lange ungestraft ignoriert hat" sei hier unterwegs, mutmaßt der Berliner Philosoph Armen Avanessian, während Nils Minkmar auf Spiegel Online "eine fundamentale Dimension der Verzweiflung" erkennt.

Welches Kleidungsstück schreit deutlicher: "Hallo! Hier! Nicht übersehen! Gefahr!"?

Als gesichert darf derzeit wohl gelten, dass fast 70 Prozent der Franzosen grundsätzlich Sympathien für die Gilets jaunes hegen und dass die Bewegung, wenn man sie so nennen und damit ja vereinheitlichen will, eine Symbolik gefunden hat, die sprechender kaum sein könnte. Welches Kleidungsstück schreit deutlicher "Hallo! Hier! Nicht übersehen! Gefahr!" als so eine neongelbe Reflektor-Weste? Wer sie überzieht, kommuniziert aus der Position des Schwächeren heraus - als jemand, der Hilfe braucht und auf den Rücksicht zu nehmen ist. Wobei sich die Schwäche in der Masse auch zum Symbol der Stärke wenden kann, wie in Frankreich gerade zu sehen ist.

Die Warnweste für Autofahrer geht historisch natürlich zurück auf das sogenannte High-visibility clothing, die Hoch-Sichtbarkeits-Kleidung, wie sie seit Mitte der 60er-Jahre für Bauarbeiter, Flughafenpersonal und andere Menschen in körperlich riskanten Berufen zunehmend zur Pflicht geworden ist. Was diese Menschen eint, ist, dass sie in ihren jeweiligen Professionen bereit sind, für wenig Bezahlung Körper und Gesundheit in Gefahr zu bringen. Plackerei. Hoher Verschleiß. Draußen sein bei jedem Wetter, in Wind und Nebel.

Arbeiter-Schutzkleidung war in den vergangenen Jahren schon auf den Laufstegen zu sehen

Stehen die Franzosen, die nun in dieser proletarischen Signal-Uniform auf die Straße gehen, historisch in einer Linie mit den Sansculottes, jenen Arbeitern und Arbeiterinnen "ohne Kniebundhosen" (sans culottes), die 1789 zu Partisanen der Französische Revolution wurden, weil sie von den miesen Lebensbedingungen unter dem Ancien Régime die Schnauze voll hatten? Es scheint so. Die Revolution geht in Frankreich einher mit dem stolzen Tragen eines ganz bestimmten Arbeitskleidungsstücks. Damals war es die lange Arbeiterhose, die sich von den kurzen Kniebundhosen, welche von Adel und Klerus getragen wurden, deutlich unterschied. Mit den langen Hosen zeigten die Sansculottes: Jetzt kommen wir, das Volk. Heute zeigen die "Gilets jaunes" mit ihren Westen vielleicht erst mal nichts anderes, als dass sie das Gefühl eint, liegen geblieben und von der Politik übersehen worden zu sein. Jetzt kann sie keiner mehr übersehen. Signalfarbe! Reflektorstreifen!

Im Auge desjenigen, der gerne auch mal mit modischem Blick auf die Welt schaut, können sich dabei verstörende Doppelbelichtungen ergeben. Denn Elemente aus der Arbeiter-Schutzkleidung waren in den vergangenen zwei bis drei Jahren schon massig auf den Laufstegen zu sehen, lange vor den "Gilets jaunes". Moschino zeigte 2016 Damenkostüme à la Chanel aus Neongelb, Neonorange und Reflektorstreifen. Bei Vetements und Balenciaga tauchten sie auf. Der Stylist Marc Goehring, bekannt durch seine Arbeit bei dem sämtliche Coolness-Rankings anführenden Berliner Magazin 032c, trug im Sommer bei der Männermodewoche in Paris eine Reflektor-Arbeiterweste und wurde dafür von den Straßenfotografen geliebt. In der aktuellen Calvin-Klein-Kollektion von Raf Simons sind neongelb eingefasste Reflektorstreifen auf Pilotenanzüge appliziert, genauso auf Pelzmäntel. High und low, crash und cash.

Proletarische Energie und Erotik bringen einen besonderen Kitzel in die Mode

Hat die Mode die Pariser Straßenszenerien vom November und Dezember 2018 schon antizipiert? Das würde zu der einschlägigen Passage aus dem "Passagenwerk" des Philosophen Walter Benjamin passen, der an Mode durchaus interessiert war und ihr attestierte, in ihr kündigten sich kommende Revolutionen schon an. Und doch ist wahrscheinlicher, dass der aktuelle Reflektor-Neon-Trend in der Mode mehr mit dem anhaltendem Rekurs auf die Neunzigerjahre zu tun hat. Der brachte schon die Welle an wulstigen Ugly-Sneakers. In den Neunzigern trug man die ganz ähnlich, auf extrafetten Sohlen. Und auf Techno-Raves waren die Bauarbeiterwesten beliebt, oder ihre teureren Clubwear-Interpretationen von heute fast vergessenen Labels wie Daniel Poole oder Sabotage.

Abgesehen davon pflegt die Mode ganz grundsätzlich ein nicht gerade gleichberechtigtes, sondern eher voyeuristisches Verhältnis zu den Uniformen der körperlich gefährlich schaffenden Bevölkerung, genannt Workwear. Holzfällerhemden, Jeans, Bomberjacken, zuletzt die Dachdeckerhosen mit zwei Reißverschlüssen im Schritt, wie bei dem Berliner Label GmbH: Die Anzapfung proletarischer Arbeitskraft, um nicht zu sagen deren Energie und Erotik, bringt in die hohe Mode immer einen besonderen Kitzel mit hinein.

Das alles könnte man jedenfalls im Hinterkopf behalten, wenn es nun hier und da schon heißt, dass die "Gilets jaunes" die Mode beeinflussen werden und sich dies spätestens im Januar bei den Schauen in Paris zeigen werde. Aber die Gelbwesten sind wie beschrieben eigentlich längst in Mode, und sollte sich der Trend sogar verstärken, wäre die Frage, ob das wirklich an den Gilets jaunes liegt. Und falls ja: Wäre das dann eine dekadente Aneignung der Unruhen auf den Straßen, oder eine aufrichtige Hommage an deren politischen Ziele, welche auch immer das sein mögen? Kurz: Es wäre alles in etwa so verwirrend wie die Bilder, die derzeit aus Paris zu sehen sind.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2018/mane
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