Architektur:Die zerquetschte Dose

Architektur: Es gibt Bewunderer, aber auch viele Kritiker dieses Bauwerks: der Tour Luma von Frank Gehry.

Es gibt Bewunderer, aber auch viele Kritiker dieses Bauwerks: der Tour Luma von Frank Gehry.

(Foto: All mauritius images/mauritius images / Martin Thomas)

Mit dem spektakulären Tour Luma des Architekten Frank Gehry hat im südfranzösischen Arles ein großartiges Museum eröffnet. Doch hinter der spiegelnden Fassade offenbart sich ein tiefer gesellschaftlicher Riss.

Von Niklas Mönch

Es ist Sommer in Frankreich. Knapp vier Stunden braucht der TGV, der französische Hochgeschwindigkeitszug, um von Paris ins südfranzösische Arles zu kommen. Hier gibt es mediterrane Urlaubswärme, helle Häuser aus Kalkstein und Dächer aus Terrakotta. Angenehmer Nebeneffekt: Es ist fast wie zu Hause in der Hauptstadt. Gut angezogene Menschen flanieren durch die Gassen, es gibt Kulturfestivals und Restaurants von Rang und Namen. Und seit Neuestem eine weitere erstklassige Anlaufstelle für Leinenhemdenträger mit Sinn fürs Schöne. Ende Juni wurde der Tour Luma, ein spektakuläres, 56 Meter hohes Museum inklusive Keller und Außenanlage mit viel Tamtam à la française eröffnet.

Mit einem Schlag wurde Arles damit auf die internationale Landkarte für Architektur- und Kunstliebhaber katapultiert. Auf dem Gelände der seit den Achtzigerjahren brachliegenden Bahn-Fertigungshallen hat die Schweizer Pharma-Erbin und Kunstsammlerin Maja Hoffmann sich und der Stadt, in der sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat, ein kulturelles Denkmal gesetzt. Circa 150 Millionen Euro soll der Bau gekostet haben. Beauftragt wurde dafür der kanadische Star-Architekt und Protagonist des Dekonstruktivismus Frank Gehry, 92, der auch schon das Guggenheim-Museum in Bilbao und die Fondation Louis-Vuitton in Paris entworfen hat. Herausgekommen ist auch in Arles Architektur, so ambitioniert wie das Projekt selbst.

Auf einem gläsernen Sockel, der an die römische Vergangenheit Arles' erinnern soll, steht der hypermoderne, kantige Spiegelturm. Mit seiner unregelmäßigen und verdrehten Struktur ist er ein klassischer Gehry, weniger als Turm zu verstehen, viel mehr als Skulptur, die im Kontrast zur unmittelbaren horizontalen Umgebung steht. Und dennoch: Die Form ist auch eine Hommage an das ebenso ruppige Alpilles-Massiv, das sich unweit hinter der Stadt erhebt. Die 11 000 versetzt angeordneten Edelstahl-Elemente der Fassade sollen die Sonne und das Licht der Provence reflektieren. Einen Künstler wollte man als Architekten, den hat man bekommen.

Diese "zerquetschte Dose" oder - wie das französische Branchenmagazin L'Architecture d'Aujourd'hui findet - "das halb entstellte Gesicht von Arnold Schwarzenegger in Terminator", wird von einer vier Hektar großen Parkanlage umgeben. Es gibt einen Teich, einige weitere Ausstellungshallen und ein fancy Café-Bar-Restaurant unter freiem Himmel, konzipiert vom preisgekrönten belgischen Landschaftsarchitekten Bas Smets - frisches Grün, das die Stadt bitter nötig hatte.

Ja, ein Museum für alle soll es sein, so will es der Direktor Mustapha Bouhayati. Er sieht das Luma dabei auch als Akteur der lokalen Wirtschaft, 380 Arbeitsplätze habe man geschaffen. Aber es gäbe immer welche, die solche großen Projekte nicht verstehen würden, meint Bouhayati. Gönnerin Maja Hoffmann will nichts dazu sagen. Das von ihr beauftragte Kommunikationsunternehmen lässt mitteilen, dass sie lieber das Projekt für sich sprechen lassen will.

Im Rathaus ist man jedenfalls ob der neuen Attraktion ganz entzückt. "Eine Stadt wie Arles hätte sich niemals so ein Museum leisten können. Das Luma kann sich nur positiv auswirken", freut sich die städtische Kulturbeauftragte Claire de Causans. Auf dem Papier scheint das zu stimmen: In Bilbao brachte das Guggenheim Museum der ehemaligen Industriestadt seit seiner Eröffnung 1997 rund 485 Millionen Euro pro Jahr ein. Eine üb solche Entwicklung wünscht man sich in Arles natürlich auch, Kultur als wirtschaftliches Zugpferd. Die örtliche Handelskammer hofft auf mindestens 200 000 zusätzliche Besucher pro Jahr, diese sollen der Region Pays d'Arles bestenfalls 30 Millionen Euro eintragen.

Keine zehn Gehminuten vom Luma entfernt ist die Welt eine andere. Statt auf Hochglanz und moderne Kunst trifft man hier auf graue Platte, eine Menge Graffiti-Tags und Trainingsanzüge von Olympique de Marseille. Willkommen im Banlieue, willkommen in Griffeuille. Von hier aus wirkt das Luma inmitten der verwitterten Betonbunker wie ein Fremdkörper. "Für mich ist es der Turm der Reichen, sie schauen auf uns herab", zischt Hicham Abirouch. Er ist hier selbst aufgewachsen, kennt die Leute und ihre Probleme. Alle paar Meter muss er anhalten und jemanden grüßen. "Salam aleikum, wie geht's dir?", drei Wangenküsse.

Stolz zeigt er den Fitnessraum und das Tonstudio, die sie hier aufgebaut haben: "Die Stadt hat uns dabei nicht geholfen." Sein Kumpel Abdel stimmt mit ein: "Wenn sie sich einbringen oder etwas subventionieren, dann profitieren die Bewohner von Griffeuille jedenfalls nicht davon." So verhält es sich seiner Meinung nach auch mit dem von Maja Hoffmann ins Leben gerufenen regionalen Supermarkt mit Koch-Workshops. "Das sind nette Leute, wir haben nichts gegen sie. Aber das bringt uns hier nichts."

Ob die Jugendlichen hier schon mal im Luma waren, es ist ja nur ein Katzensprung und der Eintritt frei? "Die Jugendlichen interessieren sich nicht für irgendwelche Fotos. Die Kultur der Banlieues ist Fußball, Rap und Reality-TV." Sein Tonfall ist keineswegs despektierlich, es schwingt eher Enttäuschung mit. Enttäuschung darüber, dass man sich, obwohl man doch in direkter Nachbarschaft ist, nicht für sie interessiert. "Einmal haben sie einen Rapper für ein Festival eingeladen, dafür dann aber 20 Euro Eintritt verlangt. Die Leute verstehen nicht, dass es hier Menschen gibt, die ihre Kinder nicht mal für zwei Euro zum Strand schicken können."

Die Stadt wird zum Spekulationsobjekt für reiche Pariser

Auch wenn die Region wirtschaftlich von den zahlungskräftigen Touristen lebt (sie machen 35 Prozent der örtlichen Wirtschaftsleistung aus), bringen immer weniger Stadtbewohner Verständnis für die solventen Teilzeit-Arlésiens auf. Es sind nur drei, vier Monate im Jahr, in denen diese scharenweise an die Rhône pilgern, danach wird Arles wieder zu einer ganz normalen Kleinstadt in der französischen Provinz. Doch dafür, so sehen es hier viele, müssen sie ihre Stadt opfern und zuschauen, wie sie mehr und mehr zum Spekulationsobjekt und Freilichtmuseum wird.

Eine Gruppe anonymer Widersacher, die Voisins vigilants - die wachsamen Nachbarn, hat neulich ein Buch veröffentlicht: "Manger Luma" - Luma (auf)essen. Sie befürchten seit dem Bau den endgültigen Ausverkauf ihrer Stadt. "Wir sehen jetzt schon eine Segregation, also die Vertreibung der Unterschicht aus der Innenstadt", teilt ein Mitglied mit. Im ehemaligen Arbeiterviertel Roquette ist ihre Befürchtung schon längst Realität geworden. Hier ranken sich nun Pflanzen romantisch die Häuser hoch, überall haben neue Galerien geöffnet. Was in München der Gärtnerplatz oder in Berlin die Bergmannstraße ist, ist in Arles der Place Paul Doumer. Hier treffen sich Hipster und Pariser Schickeria, schlürfen Kaffee und essen Pizza für 16 Euro.

Früher war die Stimmung eine andere, meint ein älterer Monsieur im Kaftan. Wie viele Marokkaner ist er vor mehr als 30 Jahren nach Arles gekommen, um auf den umliegenden Obstplantagen als Saisonarbeiter Pfirsiche und Aprikosen zu pflücken. "Gleich hier nebenan war eine Metzgerei. In der ganzen Rue de la Roquette gab es fünf Bäckereien, jetzt gibt es keine mehr." Und auch die Nachbarschaft ist nicht mehr die gleiche. Früher wimmelte es hier von Maghrebinern, Kalé und Italienern, geblieben sind nur wenige. Heute gibt es in manchen Straßen fast nur noch Ferienwohnungen. Kaum jemand von hier kann sich die Immobilienpreise noch leisten. Wer aber sein Geld in Paris verdient, der kann hier aus dem Vollen schöpfen. Gerade jetzt, im zweiten Jahr der Corona-Krise, boomt der Markt für hübsche Zweitresidenzen in der Provinz.

Für Jérôme Fourquet, Direktor des bedeutendsten Meinungsforschungsinstituts Frankreichs, dem Institut français d'opinion publique (IFOP), ist das kein Einzelfall. "Was in Arles passiert, erleben wir in vielen anderen Regionen auch. Eine ursprünglich arme, ländlich oder industriell geprägte Gegend erscheint - dank der TGV-Schnellstrecken - auf einmal auf dem Radar der solventen Oberschicht. Meist fängt es mit einer kulturellen Avantgarde an, die durch ihre Investitionen die Region attraktiver macht, dabei aber auch ihre Identität verändert", erklärt er.

Der Zorn auf die Eliten wächst - und auch auf den Turm

Das ist sinnbildlich für die Leiden des modernen, zentralistischen Frankreichs, in dem sich die politische, kulturelle, intellektuelle und wirtschaftliche Oberschicht mehr oder weniger an einem Ort konzentriert: Paris. Bewegungen wie die Gelbwesten oder die aktuellen Proteste gegen den unlängst eingeführten Gesundheitspass machen dies noch einmal deutlich. So unterschiedlich die Demonstranten in ihren Grundüberzeugungen oft sind, so sehr eint sie der Zorn auf die Eliten und die wirtschaftliche und politische Kaste, die in ihrem Elfenbeinturm sitzt und sich nicht um die Provinz schert - es sei denn als Investitionsobjekt. In Arles steht das Luma stellvertretend für ebendiesen Elfenbeinturm.

Der britische Journalist David Goodhart beschreibt dieses Phänomen in seinem Bestseller "The Road to Somewhere". Der Riss in unseren westlichen Gesellschaften verläuft zwischen den gut ausgebildeten Anywheres, den polyglotten Weltbürgern, die überall zu Hause sind und den Somewheres, die eher Halt in der Stabilität, in Gruppen und in Werten wie Heimat oder Tradition finden. Die Anywheres repräsentieren zwar nur ein Viertel der Gesellschaft, haben aber deutlich mehr Macht und Einfluss, wohingegen die Somewheres, die laut Goodhart etwa die Hälfte der Gesellschaft ausmachen, kaum Gehör finden. Frankreich sei dafür ein besonders gutes Beispiel, so Goodhart in seinem Buch.

Doch gäbe es ohne das Luma all diese Probleme nicht? Wäre es besser gewesen, wenn man es gar nicht erst gebaut hätte? Nein, sicherlich nicht. Dennoch zeigt sich hier, dass innerhalb einer Stadt, ja sogar innerhalb eines Landes, zwei soziale Schichten aneinander vorbeileben. Das Luma muss nun beweisen, dass es wirklich ein Ort für alle Arlésiens ist. Sollte es zum Bilbao-Effekt kommen, kann das die Chance sein, Stadt und Stadtbewohnerinnen zu versöhnen - indem nicht nur die Leinenhemdenträger vom Aufschwung profitieren. Oder wie David Goodhart schreibt: "Die gebildete Klasse, die Anywheres, muss sich ihrer Macht und Dominanz stärker bewusst werden, anstatt so zu tun, als ob nichts wäre, oder anzunehmen, dass die gesamte Gesellschaft ihre Interessen und Meinungen teilt."

Zur SZ-Startseite
Kultur Bauen Geld

SZ PlusSerie "Prachtbauten"
:Der hellste Glanz, die größten Stars

Neue Museen, Konzerthäuser, Theater: Kulturbauten dienen der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung und dem Stadtmarketing. Und sie verschlingen viel, viel Geld. Welche Zukunft haben Prachtbauten, deren Pracht nicht mehr selbstverständlich erscheint?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: