Die Farm liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Malzfabrik, mitten in Berlin-Schöneberg, in Spazierweite zum Tempelhofer Feld. Beim Betreten der Halle schlägt Besuchern tropisch schwüle Hitze entgegen. In der feuchten Wärme stehen zwölf hohe runde Wasserbecken, in jedem zieht ein Schwarm Nil-Tilapien aus der Familie der Buntbarsche seine Runden. Nebenan im lichten Gewächshaus verbreiten Tausende Kräuter ihren würzigen Duft. Auf diesem urbanen Bauernhof, der ECF Farm, werden der sogenannte Hauptstadtbarsch und das sogenannte Hauptstadtbasilikum unter einem Dach aufgezogen. Die Pflanzen gießt man mit dem verbrauchten Wasser aus den Barschbecken - die Ausscheidungen der Fische dienen dem Basilikum als Dünger. Ein Prinzip, das verlockend einfach klingt.
Aquaponik heißt das ressourcenschonende Verfahren, das die Aufzucht von Fischen mit der Kultivierung von Nutzpflanzen kombiniert. In Deutschland gibt es solche Projekte seit etwa zehn Jahren. In der Anfangseuphorie war damals die Rede von einer "neuen landwirtschaftlichen Revolution", es hagelte Start-up- und Nachhaltigkeitspreise. Das war sicher oft gerechtfertigt, aber eben auch sehr früh. Denn selbst eine Dekade nach ihrer Einführung ist die Aquaponik noch lange nicht genug verbreitet, um wirklichen Wandel herbeizuführen. Auch was die Nachhaltigkeit und den CO₂-Verbrauch betrifft, herrscht Raum für Verbesserung, wie man bei ECF erfahren kann. Als größte deutsche Anlage ihrer Art ist die Farm ein guter Ort für eine Zwischenbilanz.
Tierhaltung und Landbau zu verknüpfen, ist an sich eine alte Idee. Der sesshaft gewordene Mensch steigerte seinen Ertrag deutlich, als er begann, seine Pflanzen mit Tierkot zu düngen. In diesem Sinne ist die Aquaponik die High-End-Weiterentwicklung einer Kulturtechnik. Doch ist sie tatsächlich das Modell für die Nahrungsmittelversorgung der Zukunft, in der eine immer größere Weltbevölkerung bei knapper werdenden Ressourcen satt werden will - und das möglichst umweltschonend, tierfreundlich und nachhaltig?
Auch der weltweite Fischkonsum steigt besorgniserregend. Noch in den Sechzigerjahren aßen knapp 3,5 Milliarden Menschen im Schnitt neun Kilo pro Kopf. Heute sind es knapp acht Milliarden und 20 Kilo. Der Umweltorganisation WWF zufolge werden in Deutschland, wie in den Urlaubsländern rund ums Mittelmeer, rund 85 Prozent des Fischs importiert, zur Hälfte aus fernen Entwicklungsländern. Davor, wie verheerend sich das auf die dortigen Bestände und Bevölkerungen oder das globale Klima auswirkt, wird oft gewarnt, zuletzt - besonders eindrücklich - in der Netflix-Dokumentation "Seaspiracy". Nachhaltiges Seafood, heißt es dort, gibt es schlicht nicht. Wenn wir weitermachen wie bisher, sind die Meere im Jahr 2048 leergefischt.
Wenn wir weitermachen wie bisher, sind die Meere im Jahr 2048 leergefischt
Zuchtfisch aus Aquakultur, aus der heute schon jeder zweite Speisefisch stammt, ist nur ein bisschen weniger problematisch: Der intensive Betrieb von Fischfarmen belastet Seen und Meere mit Chemikalien, Antibiotika und den Exkrementen der Fische.
Die Aquaponik gilt als elegante Lösung all dieser Probleme. Schnellwachsende, robuste Süßwasserfische wie Nil-Barsche oder Forellen werden unter kontrollierten und artgerechten Bedingungen gehalten, daher verfügen sie über ein starkes Immunsystem und benötigen keine Medikamente. "Wir geben unseren Fischen die maximale Wohlfühlumgebung", sagt Nicolas Leschke, der Geschäftsführer von ECF Farmsystems, der Betreiberfirma der Berliner Anlage. "Wohlfühlumgebung" mag dann doch ein bisschen zu sehr nach Urlaub klingen, anderseits sind optimale Bedingungen für die Fische natürlich im Interesse der Züchter.
In Schöneberg schwimmen in jedem Becken exakt so viele Barsche im warmen Wasser, dass die Tiere sich weder ungeschützt fühlen noch sich gegenseitig bedrängen. Zwölf- bis 16-mal am Tag gibt es Futter, dazu extra Sauerstoff. Was sie ausscheiden, wird herausgefiltert respektive mithilfe von Bakterien umgewandelt. So wird Ammonium zum Pflanzennährstoff Nitrat, das dem Basilikum nebenan ausreicht. Die Kräuter kommen ohne weitere Düngung aus und verwandeln das ausgeatmete Kohlendioxid der Tiere in Sauerstoff. Das gereinigte Restwasser fließt zurück in die Becken. Das funktioniert nicht nur mit Kräutern, sondern auch mit Tomaten, Paprika, Auberginen, Gurken, Melonen oder Zitronengras. Laut WWF können so mit 220 Litern Wasser ein Kilo Fisch und 1,6 Kilo Tomaten produziert werden. In herkömmlichen Anlagen werden für die gleiche Menge 600 bis 1000 Liter Wasser benötigt.
Auf dem Weg zu einem noch geringeren CO₂-Verbrauch durch kurze Wege plant man bei ECF, die "Fingerlinge" genannten Baby-Barsche bald selbst zu züchten, statt diese wie bisher aus den Niederlanden anliefern zu lassen. Doch ein weit größeres Problem ist die Ernährung der Tiere. Bis zu einem Viertel allen weltweit gefangenen Fischs wird zu Fischmehl verarbeitet, um auf Aquakultur-Farmen an andere Fische verfüttert zu werden. Mit perversen Nebeneffekten: Chinesische Farmen vor der nord- und westafrikanischen Küste zum Beispiel, auf denen beliebtes Seafood wie Lachs oder Seebrasse gezüchtet wird, verbrauchen mehr Fisch in Form von Mehl, als sie letztlich an Speisefisch ausliefern, auch an Europa. Die ausländischen Trawler erschöpfen die Fischgründe, während die giftigen Nebenprodukte der Fischmehlfabrikation oft illegal im Meer landen. Manche sprechen bereits von einem "neuen Imperialismus".
Zuchtfisch, der nachhaltig sein soll, muss vegetarisch ernährt werden
Auch das Futter der Berliner Barsche besteht zu 20 Prozent aus Fischmehl - noch. Demnächst soll es durch Fischfutter aus Algen und Wasserlinsen ersetzt werden, erklärt Nicolas Leschke. Um Meeresfisch zu schützen, wird der Allesfresser Barsch zum Vegetarier gemacht.
Einmal in der Woche wird der Hauptstadtbarsch geschlachtet und geht dann in den Einzelhandel, auf regionale Wochenmärkte oder an lokale Restaurants, auch Sterneköche ordern bei ECF. Wer möchte, kann seinen Fisch auch am Schlachttag direkt auf der Farm abholen. Auf dem Grill oder im Ofen gegart, nur mit etwas Salz gewürzt, ist er genauso lecker wie als Ceviche. Die Ernte des Hauptstadtbasilikums wird seit 2018 plastikfrei verpackt in den Berliner Rewe-Märkten verkauft, 450 000 Pflanzen im Jahr.
In sich funktioniert das System Aquaponik also gut. Doch stellt es wirklich die Zukunft der tierischen Eiweißproduktion für den menschlichen Verbrauch dar?
Bis zu zehn Tonnen Barsch im Jahr produziert die Farm, die mit knapp 2000 Quadratmetern etwa die Fläche von zwei 50-Meter-Schwimmbädern beansprucht. Das ist gerade mal so viel Fisch, wie 500 Menschen jährlich im Schnitt verzehren.
Noch operiert man mit der Methode in einer Nische, die so klein ist, dass selbst der Bundesverband Aquaponik über keinerlei Zahlen verfügt, an denen sich ablesen ließe, welchen Anteil das an der gesamten Fischwirtschaft ausmacht. In Berlin und Brandenburg arbeiten derzeit noch zwei weitere kommerzielle Anbieter mit der Technik, deutschlandweit dürfte es eine Handvoll sein. Nach einer echten Revolution klingt das nicht. Doch die Berliner Aquaponik-Anlage fungiert vor allem als eine Art Testlabor, mit dem die Betreiber das Verfahren immer weiter verbessern und bekannter machen. Mit dem gewonnenen Wissen baut ECF Farmsystems Anlagen für andere Farmer, etwa in der Schweiz und Belgien, die Anzahl der Farmen und ihr Produktspektrum soll also wachsen.
Andere treiben das Prinzip noch weiter: Ein gemeinsames Projekt mehrerer Forschungsinstitute und Hochschulen unter der Leitung des Biologen Christian Ulrichs arbeitet ebenfalls an einer Lösung für nachhaltigere Lebensmittelproduktion. Bei "Cubes Circle" handelt es sich um übereinander gestapelte Produktionseinheiten in der Größe von Schiffscontainern. Als drittes Element neben Fischbecken mit Buntbarschen oder Silberkarpfen und Gewächshäusern mit Gemüse gibt es Insektenfarmen, auf denen Larven zu Futter für Fisch (und potenziell auch für Menschen) gezüchtet werden. Noch in diesem Jahr soll auf dem Campus der Freien Universität Berlin in Dahlem eine Pilotanlage dieser "Farm in Würfelform" entstehen.
Auch bei ECF Farmsystems denkt man längst weiter. In Wiesbaden haben Nicolas Leschke und Christian Echternacht Ende Mai ihre erste Farm auf dem Dach eines Supermarktes eröffnet. Sie züchten dort die erprobte Kombination von Barsch und Basilikum - die ohne Transportweg im darunterliegenden Markt in den Verkauf geht. In den kommenden fünf Jahren sollen deutschlandweit weitere 20 solcher Dach-Farmen entstehen, danach steht die Expansion ins Ausland an.
Doch der Bauernhof auf dem Supermarktdach hat Grenzen, vor allem räumliche. "Städte sind vor allem zum Leben da, nicht zum Anbau von Lebensmitteln", sagt sogar Nicolas Leschke selbst. Stadt-Farmen seien eine Nische, wenn auch eine wichtige. Nur so könnten die Menschen wieder verstehen, was es bedeutet, Nahrungsmittel zu produzieren. Viel sinnvoller für die tatsächliche Ernährung der Stadtbewohner jedoch seien Aquaponik-Anlagen an den Rändern von Ballungsgebieten, die genug ungenutzten Platz für größere Anbau- und Zuchtflächen bieten. Eine Verzehnfachung der derzeit bewirtschafteten Fläche pro Farm auf zwei oder drei Hektar sei ohne Weiteres denkbar. Wie groß man so eine Farm maximal aufziehen kann, das hat schlicht noch niemand ausprobiert. Klar ist jedoch: Idealerweise befände sie sich in unmittelbarer Nähe der Zentrallager der großen Supermarktketten, von wo aus nachhaltig erzeugte Lebensmittel dann auf die Läden verteilt werden können. Und fände die Landwirtschaft im ohnehin eher bodenversiegelten Speckgürtel statt, würde sie nicht noch mehr Fläche außerhalb der Städte fressen.
"Als Menschen müssen wir in allen Bereichen und eben auch in der Lebensmittelproduktion effizienter werden", so Nicolas Leschke. "Das heißt, weniger Ressourcen auf weniger Raum verbrauchen." Es gibt also Alternativen, die kommerziell funktionieren, das beweisen die Stadt-Farmer bereits. Sie wissen aber auch: Selbst nach zehn Jahren Erfahrung mit Aquaponik gibt es noch eine Menge zu tun. Der Wandel hat gerade erst begonnen.