Fleisch zubereiten:Ein Herz für Innereien

"Erstes Münchner Kuttelgespräch" von Slow Food, 2014

Was das Tier neben dem Filetstück noch zu bieten hat, zeigte Metzgermeister Jürgen Körber (2.v.l.) schon 2014 beim "Ersten Münchner Kuttelgespräch".

(Foto: Stephan Rumpf)

Am Tier liebt der Deutsche vor allem das Filet. Innereien sind verpönt, genau wie andere Körperteile. Zu Unrecht, finden immer mehr Köche: Das ganze Tier zu verwerten, sei eine Frage des Respekts.

Von Viktoria Bolmer

Ein saftiges Hähnchenbrustfilet - das liebste Geflügelstück der Deutschen. Dem Verbraucher zuliebe züchten konventionelle Betriebe mithilfe von Sojafutter Masthühner heran, die - von massigem Brustfleisch beladen - auf ihren dürren Beinchen mehr taumeln als laufen. Nach Angaben des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft macht dieses Fleischstück ein Drittel aller Geflügeleinkäufe aus.

Das, was im Inneren des Huhns steckt, ist dagegen weitgehend unbeliebt. Weil es kaum Abnehmer in Deutschland gibt, werden die Innereien, genau wie Rücken, Flügel und Füße, exportiert. Etwa 20 Prozent aller Geflügelexporte landen in Drittstaaten wie Ghana oder Südafrika - und sorgen dort für eine Menge Probleme: Die Geflügelteile werden so günstig verkauft, dass einheimische Bauern häufig nicht mehr mithalten können und pleite gehen, berichtet der Deutschlandfunk.

Wer diese Praxis verurteilt, muss deshalb nicht Vegetarier werden. Einen Beitrag zur Wertschätzung des Tieres kann auch leisten, wer statt des einzelnen Brustfilets ein ganzes Huhn kauft und es komplett verwertet - sofern er eines habhaft wird. In deutschen Fleischtheken sind Innereien eine Seltenheit, weiß Jürgen Körber, Metzgermeister bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten im oberbayrischen Glonn. Wer heute etwa Hühnerleber zubereiten möchte, muss diese häufig beim Metzger vorbestellen.

Von der Nase bis zum Schwanz

Das war vor einigen Jahrzehnten noch anders. "In der Nachkriegszeit haben die Menschen alles gegessen, was das Tier hergab", erklärt Körber. Schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Auf dem Bauernhof wurden die hochwertigen Filetstücke verkauft, den Rest verspeiste die Familie. Dann kam das Wirtschaftswunder. Schon bald konnte es sich jeder leisten, nur noch das Filet zu essen - und tat es auch.

Respektlos, ein solcher Umgang mit dem Tier, finden inzwischen immer mehr Mitglieder der deutschen Foodszene. Dort etabliert sich seit Jahren eine Gegenbewegung des "nose to tail eating", deren Anhänger darauf bedacht sind, das Tier vollständig, also "von der Nase bis zum Schwanz" zu verzehren. Geprägt wurde der Begriff bereits 1999 von Fergus Henderson: Der Brite veröffentlichte 1999 unter dem gleichnamigen Titel ein Kochbuch, das unter Foodies als Bibel, zumindest aber als Kultmeisterwerk gefeiert wird.

Für Anhänger der "nose to tail eating"-Bewegung ist es eine Frage der Wertschätzung und des gesunden Menschenverstandes, ein getötetes Tier vollständig zu verspeisen. Die positive Nebenwirkung: Es gäbe schon bald keinen Markt mehr für fragwürdige Exporte. Da wäre nur eine Frage offen: Wie bereitet man all die Einzelteile in der eigenen Küche zu?

Schweinepfoten etwa schmecken, zersägt, gut gesäubert und mit Gewürzen und Suppengrün gekocht, zu Weisskraut oder als Einlage in den Eintopf. Das Fleisch vom Schweinskopf lässt sich nach einiger Zeit auf dem Grill oder im Kochtopf ebenfalls leicht ablösen und verspeisen. Nur das Huhn ist, was sein Haupt betrifft, ungenießbar: Eine EU-Verordnung verbietet den Verzehr aus hygienischen Gründen. Und auch wenn sich in Deutschland niemand an Hühnerfüße heranwagt: In China gelten sie als Delikatesse.

Zerlegen, verwursten, zubereiten: Kochkurse liegen im Trend

Wie sich das Tier von Kopf bis Schwanz verwerten und zubereiten lässt, zeigt Metzgermeister Körber interessierten Hobbyköchen. Im "Fleischkurs 1" oder dem Kurs "Kutteln, Leber, Herz und Co" zerlegt der Metzgermeister mit den Teilnehmern ein halbes Schwein, dreht Würste und kocht alte Innereienrezepte nach. "Viele wissen heute gar nicht mehr, wie gut Leber oder Niere schmecken können. Richtig zubereitet sogar besser als das Filet", sagt der Metzgermeister.

Einige Seminarteilnehmer hätten Bedenken beim Verzehr von Innereien, aus Angst vor Medikamentenrückständen. "Diese Angst ist unbegründet", sagt Körber. Der Endspeicher für Rückstände sei eher Fleisch oder Fett, nicht Niere oder Leber. Unabhängig davon gebe es in Deutschland strenge Vorschriften, wie lang vor der Schlachtung gewartet werden müsse, damit alle Rückstände abgebaut würden. Vielmehr seien Innereien sogar gesund: "In der Leber stecken sehr viele Vitamine und Eisen", erklärt der Metzgermeister.

Für die Zubereitung von Innereien hat Körber ein paar grundlegende Tipps: "Der Garpunkt ist wichtig. Zu lang sollte man Leber oder Niere nicht braten, sonst wird sie trocken", rät er. "Außerdem muss alles sehr frisch sein. Innereien sollten idealerweise noch am gleichen Tag zubereitet werden."

Überraschungsmenü aus dem ganzen Tier

Auch Christoph Hauser und Michael Köhle wollen sich nicht mehr auf einzelne Teile beschränken. Die Betreiber des Berliner Restaurants "Herz und Niere" kaufen ausschließlich ganze oder halbe Tiere, die sie vollständig in der Restaurantküche verarbeiten. "Uns hat es irgendwann genervt, dass der Fisch eckig zugeschnitten wird, nur weil es gut aussieht - und der Rest im Müll landet", sagt Köhle über seine Zeit in der gehobenen Gastronomie.

Eine feste Speisekarte gibt es nicht, die Gerichte werden direkt mit den Gästen unter Berücksichtigung von Vorlieben und Abneigungen abgestimmt und frisch zubereitet. Das Angebot reicht von Ochsenmaulsalat über Tatar vom Entenherz bis hin zu selbst gemachter Blut- und Leberwurst.

Teil eines Trends wollen die beiden trotzdem nicht sein, sagt Köhle. "Weil es eigentlich keiner ist", meint er. Schließlich standen Innereien und andere Kleinteile früher täglich auf dem Speiseplan, sie gehören zur kulinarischen Tradition in Deutschland. "Im Grunde holen wir nur etwas zurück, was schon einmal da war". Das Motto sei also eher "back to the roots".

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