Sportmode:Allzeit bereit: Mode für die Wellnessgesellschaft

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Das japanische Luxuslabel Kolor hat für Adidas eine Kollektion mit Minifallschirm für mehr Luftwiderstand beim Crossfit-Training entworfen. (Foto: adidas by kolor FW17)

Von Running-Tights bis Yoga-Pants: Wer mit dem Trend gehen will, muss heute ständig zeigen, wie fit er ist. Das hat auch Luxuslabels wie Prada oder Chanel auf den Geschmack gebracht.

Von Jan Kedves

Auf einmal sind alle immer auf dem Sprung. Allzeit bereit für die nächste Power-Session auf dem Cardio-Bike, das nächste Namasté auf der vollgeschwitzten Yogamatte oder die nächste Grenzüberschreitung beim Kraxeln auf dem Berg? Blickt man in die Mode, bekommt man derzeit jedenfalls den Eindruck, als gebe es fast nur noch Fitness- und Outdoor-Freaks, die an nichts anderes mehr denken als an maximale körperliche Verausgabung.

Frauen, die bis vor Kurzem noch Skinny-Jeans und rockige Lederstiefel trugen, kombinieren auf der Straße jetzt wie selbstverständlich ihr Bomberjäckchen und ihre Louis-Vuitton-Tasche mit Hightech-Turnschuhen und hautengen Yoga-Pants, vulgo: Sport-Leggings. Und Männer, die gerade nicht schwitzen, sondern nur ein Bierchen vor der Bar trinken, tragen dazu auch nicht mehr Jeans, sondern ebenfalls Yoga-Pants - wobei die bei Männern anders heißen, weil Yoga aus irgendwelchen Gründen immer noch als nicht sehr männlich gilt. Also: Running-Tights!

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Der Trend heißt Athleisure und bewirkt, dass zwischen Sportabteilung und Luxusboutique kaum noch zu unterscheiden ist. Nylon und hautenge Netz-Oberteile, Tunnelzüge und Plastikschnallen, wohin man blickt. Das gesamte Repertoire der funktionellen Stoffe und technischen Lösungen aus der Sport- und Outdoor-Bekleidung wird in der Mode gerade aufgefahren. In der Winterkollektion, die Junichi Abe, Designer des japanischen Labels Kolor, für Adidas entworfen hat, gibt es zum Beispiel neben polartauglichen Puffajacken mit roten Signalstreifen und Sneakers, die an Freeclimbing-Schuhe erinnern, auch einen "Speed Chute". Das ist ein Minifallschirm, wie ihn sich Crossfit-Athleten zum Sprinten auf den Rücken schnallen. Das Ding bläht sich auf, der Luftwiderstand erhöht sich, das Training wird noch effektiver. Chic?

Nicht zu vergessen: Prada. In ihrer Schau für das Frühjahr 2017 zog Miucca Prada, die ja von allen italienischen Designern schon immer am wenigsten Berührungsängste mit Sportswear hatte, ihren Models Stirn-Schweißbänder an. Die Hosen erinnern an Regenhosen für Gebirgsexpeditionen, mit seitlich eingesetzten wasserdichten Reißverschlüssen aus vulkanisiertem Kautschuk. Die Schuhe: Neopren-Socken mit druntergeklebten Gummisohlen. Und wenn einige der Models dann doch noch so etwas wie Reste eines klassischen grauen Anzugs tragen, dann kommt hintendrauf ein großer Rucksack mit Ösen und Gurten. An denen baumeln Trinkflaschen und schwarze klassische Lederschuhe. Das sieht dann aus, als sei der Trainee aus der Investment-Bank direkt in ein verlängertes Survival-Wochenende aufgebrochen. Oder geflohen? Was ist hier los?

Los ist die Kombination aus "athletic" (Athletik) und "leisure" (Freizeit). Athleisure-Mode wird den Textilmarkt in den kommenden Jahren stark bestimmen und - so die Analysten der amerikanischen Bank Morgan Stanley - ihren Umsatz weltweit voraussichtlich nochmals um 30 Prozent steigern, von 270 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf 353 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Im vergangenen April ist das Wort schon offiziell in den englischen Wortschatz aufgenommen worden. Der Merriam-Webster, so etwas wie der amerikanische Duden, definiert es so: "casual clothing designed to be worn both for exercising and for general use" - Mode, die man eben nicht nur zum Sport anzieht, sondern genauso zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Freunde-Treffen. Die Grenzen sind hier fließend. Genau das ist das Neue an Athleisure.

Jersey galt als billig - bis Chanel den Stoff nobilierte

Denn bis vor wenigen Jahren galt in der Mode noch eine recht strikte Trennung zwischen Sportkleidung und Laufsteg. Zwar bedienten sich Designer immer mal wieder bestimmter Formen oder Materialien aus der Sportswear. Aber dass man so ein teures Fashion-Teil tatsächlich zum Sport getragen und vollgeschwitzt hätte, wäre nie passiert. Auch wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, den wulstigen "America's Cup"-Sneaker, den Prada 1997 lancierte und der damals zu den ersten sogenannten Luxury-Sneakers gehörte, tatsächlich zum Joggen anzuziehen. Nein, sportliche Mode blieb immer genau das: Mode. Der Transfer funktionierte nur in diese eine Richtung. Nicht andersherum.

Die Pionierin dieses Transfers war, wer sonst, Coco Chanel. Sie fing schon vor dem Ersten Weltkrieg an, Entwürfe aus Jersey-Stoff zu schneidern. Der war zuvor ausschließlich für Männerunterwäsche und Sportkleidung verwendet worden. Jersey galt als billig und, nun ja, vulgär. Chanel nobilitierte den Stoff, indem sie aus ihm Kostüme für die moderne, sich emanzipierende Frau machte, für die Frau, die kein Korsett mehr tragen wollte. Das neue Material brachte zwar etwas von seiner ursprünglichen Bedeutung in die Mode mit hinein, aber das führte nicht automatisch zu einer Aufwertung von Sportbekleidung. Über die rümpfte man noch sehr lange die Nase. Legendär ist Karl Lagerfelds Diktum aus dem Jahr 2012: "Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren."

Dieser Satz stimmte natürlich auch 2012 schon nicht mehr so ganz, denn der Umbau der Industrie- und Konsumgesellschaft zur Fitness- und Wellness-Gesellschaft war da schon weit fortgeschritten. Athleisure ist eine Folge genau dieses Umbaus. Fitness und Wellness sind die bestimmenden Paradigmen des urbanen Lebens geworden. Die Health- und Superfood-Industrie boomt, derzeit sind rund zehn Millionen Deutsche bei einem Fitnessstudio angemeldet, so viel wie nie zuvor. Laut BDY, dem Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland, praktizieren inzwischen fast drei Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Yoga, ebenfalls Rekord. Hinzu kommen die Prognosen von Marktforschern, nach denen Konsumenten ihr Geld in Zukunft nicht mehr bevorzugt in materiellen Luxus investieren werden, sondern lieber in Erlebnisse. Urlaube in Wellness-Resorts, Yoga-Retreats an exotischen Orten, und so weiter.

Für all diese Trips und Experiences braucht man die passende Kleidung. Und dieses Geschäft will die Modeindustrie eben nicht allein der Sportindustrie überlassen. Während letztere immer häufiger Designer aus der sogenannten hohen Mode zu Gastspielen einlädt - Nike etwa ließ im vergangenen Jahr den Louis-Vuitton-Designer Kim Jones einige Windjacken, Shorts und Sneakers entwerfen -, wollen alteingesessene Luxuslabels auch schnell fit werden. Fendi, Chloé und Hermès bieten jeweils schon Capsule-Kollektionen an, die speziell auf Sport und Wellness ausgerichtet sind.

Parallel dazu schießen überall neue Athleisure Marken aus dem Boden: Jean Touitou, der Gründer des Pariser Labels APC, ist seit dem vergangenem Jahr auch Investor bei der 2013 gegründeten New Yorker Marke Outdoor Voices. Chip Wilson, der frühere Chef von Lululemon - mit einem Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Dollar nach wie vor die beliebtesten Marke für Yoga-Mode - verkauft mit seinem neuen Label Kit & Ace lockere Sweatshirts und Ponchos. Die Popsängerin Beyoncé Knowles bietet mit ihrem Label Ivy Park ebenfalls Sport-BHs, Leggings und Sweatshirts an.

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Und es ist kein Ende in Sicht, denn die Menschen wollen eben nach außen vermitteln, dass sie die Imperative der Fitness- und Wellness-Gesellschaft verinnerlicht haben. Wie schnell diese Imperative allerdings auch repressive Züge annehmen können, zeigen die Autoren Carl Cederström und André Spicer in ihrem Buch "Das Wellness-Syndrom: Die Glücksdoktrin und der perfekte Mensch". Beide sind Organisationstheoretiker, in ihrem Buch beschreiben sie, wie Wellness zur Ideologie, zum moralischen Imperativ, ja zur Pathologie geworden ist.

In den USA gehört es heute etwa - besonders an Universitäten - zum guten Ton, einen "Wellness-Vertrag" zu unterschreiben. In dem verpflichtet man sich dazu, Körper, Geist und Seele zu pflegen, allem Schädigendem (Alkohol, Nikotin, Drogen) abzuschwören und sich körperlich so häufig wie möglich zu betätigen. In der Tat gerät heute, wer nicht regelmäßig seinen inneren Schweinehund überwindet und dies verbal und vestimentär kommuniziert, schnell in Verdacht, ein irgendwie verkommenes Subjekt zu sein. Jemand eben, der bewusst Übergewicht, Krankheit und vorzeitiges Altern in Kauf nimmt und bald den Krankenkassen auf der Tasche liegen wird.

"Wer keinen Sport treibt, begeht unserer heutigen Auffassung nach einen langsamen Suizid. Er übernimmt keine Verantwortung für sein Leben", schreibt der amerikanische Kulturtheoretiker Mark Greif in seinem Essay "Against Exercise". Womit wir zurück bei Karl Lagerfeld wären, allerdings beim genauen Gegenteil von dessen pikiertem Diktum: Die Kontrolle über sein Leben hat heute eher derjenige verloren, der keine Sportkleidung trägt.

Und so laufen wir also morgens schon mit Faszienrolle, Yogamatte und Sportleggings ins Büro, und wenn wir es abends dann doch mal wieder nicht rechtzeitig rausschaffen und die Yoga- oder Crossfit-Session ausfallen lassen müssen, dann haben wir wenigstens optisch signalisiert: Ich gehe an meine Grenzen! Ich verschreibe mich meinem Job nicht mit Haut und Haaren, sondern achte auf Freizeit und Ausgleich! Ja, welcher Chef hätte nicht gerne solche Mitarbeiter? Nur sollte man es mit dem Aufschieben dessen, wofür man schon fertig angezogen war, auch nicht zu weit treiben: In der Fitness- und Wellness-Gesellschaft ist dann auch für seinen Burn-out jeder selbst verantwortlich.

Athleisure-Mode ist im Prinzip unisex

Zu düster? Enden wir mit etwas Lustigerem. Mit der Beule in den Sport-Leggings bei Männern. Man könnte ja meinen, mit Athleisure sei endlich die modische Gleichberechtigung da. Früher zwängten sich Frauen ins Korsett, während der klassische Anzug so konstruiert war, dass er sogar dürren oder korpulenten Männern eine passable Figur machte. Später befreiten sich die Frauen aus dem Korsett, mussten dann aber, um ihre schlanke Taille zu halten, hungern und noch mal hungern. Die Männer konnten eventuelle körperliche Defizite weiter mit dem Anzug überspielen. Ungerecht! Die Athleisure-Mode liegt nun aber bei allen Körpern gleich eng an, die Windjacken und ärmellosen Shirts sind fast identisch geschnitten, also im Prinzip unisex. Müssen also, um in dieser Kleidung gut auszusehen, endlich beide Geschlechter gleich viel schwitzen, gleich streng auf die Ernährung achten und dieselben Schamgrenzen überwinden?

Nun ja. Eher könnte man sagen, dass Yoga-Pants bei Frauen erst recht den Kampf um die Thigh Gap in Szene setzen, jene Stelle oben zwischen den Schenkeln, an der nach dem aktuellen Schönheitsideal immer eine Lücke bleiben soll. Männer haben in diesem Bereich andere Probleme. Und sind deswegen fast flächendeckend dazu übergegangen, ihre Yoga-Pants - beziehungsweise: Running-Tights! - noch mit darübergezogenen Shorts zu kombinieren. Eine kurze, flatternde Sporthose, unter der die hauteng eingespannten Beine dann hervorlugen. Es gibt sogar Modelle, in denen beide Hosen, also Leggings und Shorts, schon ineinandergenäht sind.

Warum diese Dopplung? Weil Männer im Schritt sehr empfindlich sind. Oder eben verklemmt. Sie dürfen, ähnlich wie früher beim Anzug, weiterhin ihre kritischen Stellen kaschieren. Während bei Frauen jede Abweichung vom körperlichen Ideal vor dem und beim Sport geradezu ausgestellt wird. Tolle Gleichberechtigung.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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