Thailändische Spitzenküche:Die Aromafrau

Thailand: Das "Potong" in Bangkoks Chinatown

Ein Restaurant wie eine antike Puppenstube: Das "Potong" in Bangkoks Chinatown.

(Foto: @gastrofilm/@gastrofilm)

In Bangkok hat während der Pandemie das "Potong" eröffnet. Nur 18 Monate später gilt das kleine Lokal als eine der besten Empfehlungen der Stadt, und seine 33-jährige Chefin räumt einen Preis nach dem anderen ab. Die Geschichte eines Traumstarts.

Von David Pfeifer

Warum ein Lokal plötzlich so beliebt ist, dass man Monate im Voraus buchen muss, ist eines der Mysterien der Gastronomie. Das Essen sollte sehr gut sein, der Service sowieso, und die Präsentation der Speisen und Getränke makellos, klar. Die Gäste sollten im besten Fall auch am nächsten Tag noch etwas davon haben. Schließlich versprechen Gourmetköche, die auf sich halten, nicht einfach gutes Essen, sondern ein erzählenswertes Erlebnis. Im Fall des derzeit überaus angesagten Restaurants "Potong" in Bangkok kommen all diese Dinge in besonderer Weise zusammen. Und damit war keineswegs zu rechnen. "Vor zwei Jahren saßen wir hier auf einer Baustelle und dachten darüber nach, die ganze Sache abzusagen", erzählt Chefköchin Pichaya Utharntharm, 33, die von allen nur "Chef Pam" genannt wird, auch von ihrem Ehemann. Nur ein gutes Jahr nach Eröffnung findet man Portraits von Chef Pam in allen Lifestyle-Magazinen, ist der Name ihres Restaurants eine der wichtigsten Essensempfehlungen der Stadt. Das ist bemerkenswert in einer Metropole wie Bangkok, die zu Asiens konkurrenzstärksten kulinarischen Zentren zählt.

Es ist ein früher Montagabend, im Potong laufen die letzten Vorbereitungen, bald werden die Gäste kommen, doch die Chefin ist gelassen, "ich bin mehr die Dirigentin, heute kochen die anderen". Pichaya Utharntharm sitzt auf der hauseigenen, kleinen Dachterrasse und erzählt über das vergangene Jahr, wobei sie Wasser aus einer Tupper-Schale trinkt, einfach, weil die gerade sauber in der Küche herumstand. Der Gast bekommt sein Wasser natürlich in einem dünnwandigen Bodega-Glas gereicht. Das Haus liegt etwas versteckt in Bangkoks Chinatown. Überall sonst rauscht der Verkehr sechs- bis achtspurig durch die Stadt, manchmal auf mehreren Ebenen. Ins Potong aber sollte man ein paar Schritte zu Fuß durch die verwinkelten Gassen gehen. Man erreicht das Restaurant am besten von der Yaowarat-Road aus oder vom Bootsanleger am Fluss. Das ist nicht ganz unwichtig, denn im Potong beginnt das Vergnügen nicht beim Amuse-Bouche, sondern beim Finden des Lokals in einem überraschend pittoresken Altbau. "Meiner Familie gehörte das Haus seit mehr als 100 Jahren, aber lange Zeit war es vermietet", erzählt Chef Pam. "Hier wurden bis vor Kurzem Sandalen und Flip-Flops verkauft, wie in der ganzen Gasse."

Thailändische Spitzenküche: Chefköchin Pichaya Utharntharm, 33, wird von allen nur "Chef Pam" genannt.

Chefköchin Pichaya Utharntharm, 33, wird von allen nur "Chef Pam" genannt.

(Foto: @gastrofilm/@gastrofilm)

Die Grundfläche des Potong ist sehr klein, die Treppen steil wie eine Leiter, die alte Gebäudestruktur machte Umbauten kompliziert. Es gibt einen Aufzug, der so schmal ist, dass man schon vor dem Essen den Bauch einziehen muss, um nicht in die Lichtschranke zu geraten. Im Parterre, wo die Gäste empfangen werden, sieht das Haus wieder so aus, wie es früher genutzt wurde: als spezialisierte Apotheke für werdende Mütter. Wo früher Flaschen mit kreislaufstärkenden Mitteln in den hohen Regalen standen, sieht man nun Gläser mit Eingemachtem. Und an einer Wand stapeln sich bereits die Preise in die Höhe, die Chef Pam und das Potong seit der Eröffnung gewonnen haben. Wenn es so weitergeht, werden sie bald einen zweiten Regalmeter einnehmen.

Einer der 20 Gänge kombiniert vier Arten, Kokosnuss zuzubereiten

Ein Restaurant wie eine Puppenstube: Wer die Treppen hochsteigt, erreicht den ersten Salon, der sich das Stockwerk mit einer Küche zum Anrichten der Teller teilt. Im nächsten Stock dann die echte, wirklich klitzekleine Küche und zwei weitere Esszimmer, alles schmal und gedrängt, aber atmosphärisch und gemütlich, wenn auch von der Klimaanlage stark heruntergekühlt. Im Flur musste noch ein Hängeschrank für das Dry-Aged-Beef Platz finden. Nur 35 Gäste kann das Potong pro Abend bewirten, mit etwa 18 Angestellten. Jeder Tisch wird nur einmal besetzt. Auch Menüs für Allergiker oder Vegetarier gibt es nicht. Wer hier essen will, muss die 20 Gänge nehmen, wie sie angeboten werden. Anders wäre das Lokal kaum zu stemmen, wie derzeit überall auf der Welt, ist seit der Pandemie das qualifizierte Personal auch in Bangkok knapp. Immer weniger Menschen wollen sich die harten Schichten in den Gourmetküchen zumuten. Also lieber reduzieren, das gilt auch für Chef Pam, die Mutter ist, und sagt, dass sie Zeit mit ihrem kleinen Kind verbringen möchte. Außerdem "will ich den Menüpreis möglichst lange halten", erklärt die Köchin, "auch damit sich die Menschen aus der Nachbarschaft den Besuch weiter gönnen können." 4500 Baht, umgerechnet etwa 120 Euro, kosten die 20 Gänge derzeit, Getränke nicht eingerechnet. Auch für Bangkok gilt das für ein solches Gourmetmenü als vertretbar.

Die Haltung der Chefin bekommt den Abenden im Potong sehr gut. Es gibt nicht, wie auch in vielen Spitzenrestaurants mittlerweile üblich, mehrere Service-Schichten. Und man wird als Gast nicht durch eine Choreografie gepeitscht. Beim Aperitif auf dem Dach schaut man der Sonne beim Untergehen hinter den fernen Wolkenkratzern zu, 20 Gänge inklusive Präsentation brauchen auch ihre Zeit. "Fünf Elemente" nennt sich Chef Pams Menü-Motto: "Salz, Säure, Gewürze, Textur und Maillard-Reaktion" verspricht sie - letzteres ist der schickere Begriff für "Anbräunen", was aber mehr als ein banales Versprechen ist. Die Chefin meint Tiefe und Wohlgeschmack, und beides entsteht durch das Anbräunen. Ein Spezialgebiet ihrer Küche ist Thai Barbecue, was hier auch bedeutet, dass die Köchin Rauch und Holz als Aromengeber einzusetzen versteht.

Thailändische Spitzenküche: Die Küche im "Potong" ist farbenfroh und subtil.

Die Küche im "Potong" ist farbenfroh und subtil.

(Foto: @gastrofilm/@gastrofilm)

An einem Abend im Potong bekommt man enorm viele Aromen in unterschiedlichen Formen serviert. Allein vier Arten der Kokosnuss-Zubereitung, das Fruchtfleisch geräuchert und gerollt, die Kokosmilch geronnen, die Schale angebräunt, kombiniert mit Stink-Bohnen, Gurkenmarmelade oder Zitronengras. Alles wird auf individuellem Geschirr gereicht, meist nur handtellergroß. "Thai-Chinesische-Küche" lautet das Versprechen von Chef Pam, wie man sie theoretisch auch an vielen Straßenständen gut essen kann. Nur schmeckt es dort eben häufig gleich und nur nach einer Sache. Das Zitronengras beispielsweise, als Geschmacksgeber in der thailändischen Küche allgegenwärtig, hat im Kokosnuss-Gang im Potong eine überraschend subtile Rolle. Man hat es zart in der Nase, aber es hält sich zurück, genauso wie der Koriander und die Schärfe, alles harmonisch integriert, aber ohne seine Spannung zu verlieren. Es schmeckt schon noch nach thailändischem Essen im Potong, aber eben so fein, dass man die einzelnen Komponenten gut wahrnehmen kann. Das erfordert natürlich Feinarbeit in der Küche.

Chef Pam wechselt immer wieder einen Gang aus, experimentiert ständig mit neuen Geschmacksrichtungen, es gibt zum Beispiel frittierte Hühnerhaut und Fischkopf-Mousseline. Alles schmeckt leicht, frisch und rauchig, manchmal weiß man gar nicht, worauf man sich konzentrieren soll, weil viele Gerichte auf subtile Art überraschen und sich am Gaumen plötzlich so viel gleichzeitig entfaltet. Die Krabbe kommt zwar als Krabbe, doch wenn man sie öffnet, findet man Mousse der Blaukrabbe und Krabbenrogen, die man mit einer Emulsion selber anmischen und auf thai-chinesischem Brot essen kann. Der Barsch steckt in einem Kranz aus Kräutern und essbaren Blüten, überzogen mit einer Chili-Glasur. Beim ersten Bissen schmeckt man ein saures Gel, dann relativiert der Fisch die Säure und das Erdnussaroma kommt durch. Als Höhepunkt serviert Chef Pam - wichtig für alle, die in so einem Restaurant die Sorge haben, vor lauter Kunst nicht satt zu werden - eine Ente. Die ist so zart und knusprig, aber auch so reichhaltig, dass man als Normalesser spätestens da einknickt. "So ist es auch gedacht", sagt die Köchin, "das ist chinesische Tradition - kein Gast soll aufessen können, das wäre unhöflich." Und unklug, denn es kommen ja noch zwei Nachspeisen.

Baustelle, Pandemie, neue Covid-Regeln - eigentlich hatten sie gar nicht eröffnen wollen

Für Pichaya Utharntharm war eine Restaurantkarriere nicht vorgezeichnet. Zuerst studierte sie Kommunikationswissenschaft, "aber das machte mir keinen Spaß. Also fragte ich meine Mutter, die eine begeisterte Köchin ist, ob ich auf die Kochschule darf." Nach der Kochschule in Bangkok war ihr Ehrgeiz geweckt und sie besuchte noch eine zweite in New York. "Eigentlich wollte ich zu Paul Bocuse, aber die hatten damals noch kein englisches Ausbildungsprogramm." Nach einem Praktikum bekam sie einen Job bei der Edel-Küchen-Kette "Jean-Georges". Dort kochte sie französische Küche auf Sterne-Niveau, bevor sie wieder nach Bangkok zog.

Thailändische Spitzenküche: Äußerlich nur eine Krustentier-Schere mit Klee, im Inneren gefüllt mit Blaukrabben-Mousse und einer Emulsion auf Krabbenrogen.

Äußerlich nur eine Krustentier-Schere mit Klee, im Inneren gefüllt mit Blaukrabben-Mousse und einer Emulsion auf Krabbenrogen.

(Foto: @gastrofilm/@gastrofilm)

Nach so einem Abend mit karamellisiertem Topinambur, Marmelade aus schwarzem Pfeffer und einer Ente, die einen für den Rest des Wochenendes sättigt, vergisst man fast, dass es vor allem harte Arbeit ist, die so einen Erfolg hervorbringt. Chef Pam erzählt auf der Terrasse, wie sie während der Pandemie in dem halbrenovierten Shophouse saßen. Der Umbau wurde komplizierter und teurer als geplant, die Regierung setzte alle paar Wochen neue Covid-19-Regeln fest. Ihr Mann, der sich um Marketing und Finanzen kümmert, ihre Eltern, sie selbst - alle dachten, es sei die falsche Zeit.

Dann haben sie sich doch entschlossen zu öffnen. Seitdem klettern die Mitarbeiter treppauf, treppab, weisen neuen Besuchern den Weg, zum Beispiel in die schillernde "Opium"-Bar, die auch noch Platz gefunden hat in dem schmalen Gebäude. Wie ein Wunderhaus aus einem alten Film von Jacques Tati wirkt das Potong von außen, wenn es fotogen ins dunkle Chinatown hinausleuchtet. Noch ein Bild für Instagram, eine letzte Erinnerung an einen Abend, der auch atmosphärisch und optisch ein Erlebnis war. Etwas zum Weitererzählen.

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