Süddeutsche Zeitung

Trendkolumne: In aller Munde:Singen Edelfische jetzt auch noch?

Blasierte "Dialoge von Süppchen" oder ein schlicht hingeworfenes "Ente/Pflaume"? Gegen Speisekartenlyrik gibt es nur ein Mittel: Humor.

Von Titus Arnu

Wie soll man sich eigentlich einen "Dialog von Edelfischen" vorstellen? Vielleicht ungefähr so: Ein Königslachs und eine Kaiser-Prachtschmerle treffen sich am Meeresgrund und unterhalten sich. Der eine sagt: "Blubb", die andere antwortet: "Blobb". Ob alle Edelfische die gleiche edle Sprache sprechen? Wie blasiert das wohl klingt? Was sind überhaupt Edelfische? Und ob sie sich etwas zu sagen haben? So viel ist sicher: Der "Dialog von Edelfischen", der immer wieder auf ehrgeizigen Speisekarten auftaucht, wirft viele Fragen auf. Und kaum eine davon lässt sich ernsthaft stellen, geschweige denn beantworten.

Der Begriff Dialog, soviel Bildungshuberei muss sein, entstammt dem altgriechischen diálogos, was "Unterredung, Gespräch" bedeutet. Durch die sokratischen Dialoge des Philosophen Platon hat sich diese Form des gehobenen Gedankenaustauschs tief in das abendländische Denken eingebrannt. So tief, dass die Versuchung naheliegt, den Begriff oberflächlich zu missbrauchen, zum Beispiel von Restaurants, die gehobener erscheinen wollen, als sie es sind. Wobei der größte Erfolg stets in der unfreiwilligen Komik liegt.

Duett mit Butt und Seezunge? Dialog von der Sau?

So kann man sich unter dem "Dialog von der Sau", den das Münchner Flughafenrestaurant "Airbräu" auf der Karte führt, ja noch grob etwas vorstellen: zwei Fleischstücke, Schulter und Haxe, die sich knödelartige Satzfetzen zuwerfen ("Na, auch hier?" "Ja, und leider zu lange gebraten, auch das noch!"). Was aber um Platons willen soll der "Dialog von Süppchen" sein, der im "Badischen Hof" in Oppenau angeboten wird? Das traurige Selbstgespräch eines einsamen Süppchens, das über eine Verflossene räsoniert? Der rührende Versuch zweier Suppen, im tiefen Gespräch gleichsam ineinander zu verschwimmen? Man sieht, jedes Bemühen, den abstrakten, pompös intellektuell aufgeladenen "Dialog" auf einem Teller mit Leben zu füllen, endet hoffnungslos albern.

Über Speisekartenlyrik wird gelästert, seit Speisekarten existieren. Die protzigen Kreationen der Nouvelle Cuisine wie "Kalbsbries Rumohr mit Gänseleber und Trüffel" waren ebenso Thema wie die wolkigen Wortungeheuer der Molekularküche. Da geisterten dann "Mango-Sphären mit Stangenpfeffer und Melonenkaviar" durch die Dessertauswahl. Und man fragt sich natürlich, warum die Menü-Dichter so wenig aus diesen Wortunfällen lernen. Oder ist es eher so, dass man es uns Lesern einfach nicht recht machen kann?

Denn auch Zurückhaltung scheint sich nicht auszuzahlen. Der aktuelle Trend zum Klemmbrett-Minimalismus auf vielen Karten wird geradezu lustvoll bemäkelt: Hat es nicht etwas ungemein Überhebliches, komplexe Gerichte nur mit ein paar hingeworfenen Wortfetzen zu beschreiben? Denn wer auf sich hält, klotzt gerade mit wenigen, nun bedeutungsschwanger aufgeladenen Grundzutaten, abgetrennt durch Schrägstriche. Auf der Karte des Berliner Restaurants "Nobelhart & Schmutzig" klingt das so: Rosenkohlblüte/Walnuss, Ente/Pflaume. Oder: Semmelknödel/Spitzkohl. Der Rest bleibt der Fantasie des Gastes überlassen, der sich seinen Teil dazu dichten kann: ja/okay, ist/klar.

Beispiele aus vielen Jahrzehnten legen nahe, dass an der Absurdität von Speisekartenlyrik wenig zu ändern ist. Auch der beliebte "Dialog von Edelfischen" ist offenbar noch lange nicht ausdiskutiert. Vielleicht sollte man sich einfach ergeben. Und anfangen, den so unbeabsichtigten wie poetischen Subtext der Menüs still zu genießen. Ihn heimlich zu dechiffrieren. Stellen wir uns also vor, wie tropische und einheimische Früchte "an" geraspeltem Dingsbums im Dessert gepflegt dialogisieren. Freuen wir uns über die raren Restaurants, in denen Seezunge und Steinbutt "im Duett" miteinander singen. Denn Fantasie am Tisch, so scheint es, ist das einzige Mittel gegen die Fantasielosigkeit versnobter Karten.

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