Süddeutsche Zeitung

Filmstart:Wie viele Milliarden hast du?

In seinem Roman "Crazy Rich Asians" amüsiert sich Kevin Kwan über die Exzesse von Singapurs Superreichen. Nun kommt der Film ins Kino. Kwan sagt, die Realität ist verrückter.

Von Tanja Rest

An einem unwirtlichen Abend des Jahres 1986 betritt eine chinesische Großfamilie die Lobby des Londoner Luxushotels The Calthorpe und verlangt nach der größten Suite des Hauses, man habe reserviert. Der Manager begutachtet die Gäste mit Grausen. Sie sind tropfnass, weil sie aus Spargründen vom Piccadilly Circus zu Fuß gekommen sind, die Kinder hinterlassen unschöne Schmutzspuren auf dem Perser. Solche Leute in diesem edlen Etablissement? You must be joking! Er leugnet, dass eine Reservierung vorliege. Er empfiehlt, sich in Chinatown nach einer Bleibe umzusehen. Er setzt die Familie vor die Tür. Dort werden ein paar Anrufe getätigt, dann sind die Leongs, die Youngs und die Chengs wieder da - in Begleitung von Lord Calthorpe-Cavendish-Gore. Er habe das Hotel soeben verkauft, teilt er dem Manager mit: "Darf ich Ihnen die neue Eigentümerin vorstellen: Mrs. Felicity Leong."

So beginnt "Crazy Rich Asians", das Buch, das in Südostasien seit fünf Jahren auf den Bestsellerlisten steht (bisher nicht ins Deutsche übersetzt). Schon nach den ersten Seiten ist klar, dass es sich wahrscheinlich nicht um große Literatur, aber um Voyeurismus der ausgelassensten Sorte handeln wird: ein Blick in die sonst hermetisch abgeriegelte Welt der asiatischen Superreichen, nicht unter einer Milliarde Dollar schwer. "'DenverClan' auf Steroiden", schrieb Vanity Fair, "aber mit mehr Privatjets, größeren Häusern und triefend vor Geld." Nun hat sich Hollywood der Sache angenommen und die Geschichte mit einem rein asiatischen Cast angemessen dekadent verfilmt (ab Donnerstag im Kino).

Willkommen also im illustren Kosmos der Leongs, Youngs und Chengs. In ihrer sozialen Etage hat man nicht einfach Familie, sondern einen Stammbaum, der anstandshalber tausend Jahre zurückreicht. Man verfügt nicht nur über einen Privatjet, sondern hängt auch einen Matisse hinein. Man hat keine drei Sportwagen, sondern zwanzig Ferraris, Lamborghinis und Porsches in limitierter Auflage. Außerdem einen privaten Sommelier, einen eigenen Sternekoch, meterweise Haute Couture und so viele Hermès-Taschen, dass sie in der Zehntausend-Quadratmeter-Villa im besten Viertel Singapurs ein eigenes Zimmer belegen, gleich neben dem Zimmer mit antikem Schmuck. Nur mal so andeutungshalber. Und es wäre ganz falsch zu sagen, der Autor Kevin Kwan habe sich das ausgedacht. Weil er es ja selbst erlebt hat.

Man erreicht ihn am Telefon im Four Seasons Beverly Wilshire in Los Angeles, wo er gerade Interviews gibt, zum Film und zu sich selbst. Erste Frage: Wie sieht es mit dem eigenen Stammbaum aus? "Nun", sagt er freundlich, "wir gehen bis 946 nach Christus zurück." Na dann ist gut.

Kevin Kwan, Mitte vierzig, ist in Singapur aufgewachsen, in bester Familie natürlich. Sein Urgroßvater hat die erste Bank des Landes gegründet, sein Großvater war der erste im Westen ausgebildete Chirurg, der Vater ein namhafter Ingenieur. Den Außenminister nannte er "Onkel". "Für mich war es als Kind völlig normal, dass Politiker, Prominente und der asiatische Adel bei uns ein und aus gingen." Normal war auch, dass im Garten seines Freundes ein Privatjet stand, dass sechs Hausangestellte das Minimum waren und er mitunter in Wohnzimmer kam, in deren Mitte sich ein tropisches Regenwäldchen um ein Haifischbecken herum gruppierte. Darf man also davon ausgehen, dass seine Familie ebenfalls ...? "Wir sind nicht crazy rich. Sagen wir einfach, wir kommen zurecht."

Das entspricht nun relativ exakt dem Dialog, den am Anfang des Films die beiden Hauptfiguren führen, die New Yorkerin Rachel Chu (Constance Wu) und ihr Boyfriend Nick Young (Henry Golding). Er will ihr endlich seine Lieben in Singapur vorstellen und bucht für den Heimflug eine Suite in der First Class. Sie, perplex: "Deine Familie ist also reich?" Er, sachlich: "Wir sind wohlhabend." Sie, zu Scherzen aufgelegt: "Das ist genau das, was ein Superreicher sagen würde!" In Singapur stellt sich dann allerdings heraus, dass Nick so etwas wie ein nationaler Kronprinz ist mit dazugehöriger familiärer Entourage, dem allerfeinsten Intrigantenstadel. Da ist die stockkonservative Großmutter, im Besitz der ehrwürdigsten Immobilie der Stadt, da ist die schöne Cousine mit einer kleinen Schwäche für große Diamanten und an vorderster Sturmfront die ambitionierte Mutter (Michelle Yeoh), die nur das Beste für den Jungen will, also bloß keine Amerikanerin, "gelb von außen, weiß von innen!" Und alle planschen nur so in ihren Milliarden.

Kevin Kwan sagt, es sei alles selbst erlebt oder beobachtet, und die funkelndsten Exzesse seien im Buch noch gar nicht drin. Seine Lektoren fanden sie unglaubwürdig. "Eine Familie hatte zwei Privatjets und mehrere Hubschrauber. Das haben sie beim Verlag nicht kapiert: Wofür brauchen sie denn noch die Helikopter? Eine andere Familie kaufte einen Fisch für 250 000 Dollar und schickte ihn zum kosmetischen Chirurgen, für eine Gesichtskorrektur." Na, das hat er dann eben in den beiden Fortsetzungen untergebracht: "China Rich Girlfriend" und "Rich People Problems".

Dies alles ist natürlich ein Riesenspaß, erzählt aber auch einiges über die chinesische Oberschicht von heute: Sie ist durchaus nicht aus einem Guss. Da sind auf der einen Seite die traditionsbewussten Alten, die über Generationen hinweg ein diskretes Vermögen angehäuft haben, und auf der anderen Seite die Jungen, die es mit beiden Händen zum Fenster rausschmeißen, um dann irgendwann festzustellen, dass ihnen jedes Ziel im Leben fehlt. Da sind die Singapur-Chinesen, die auf die Hongkong-Chinesen herabschauen, die wiederum über die Festlandchinesen die Nase rümpfen. Es gibt den Unterschied zwischen altem und neuem Geld, man könnte sagen: Den alten Reichtum erkennt man daran, dass er für Außenstehende praktisch unsichtbar ist. Kwan lernte in den USA einmal eine Frau kennen, die behauptete, zu einer der wichtigsten Familien Hongkongs zu gehören. Er hatte seine Zweifel und rief eine gut vernetzte Freundin an, die stellte nur eine Frage: "Trägt sie von Kopf bis Fuß Chanel? Dann ist sie eine Hochstaplerin."

So oder so werden alle immer reicher, selbst das Forbes-Magazin kommt kaum noch hinterher. Die Fondsmanager des Fünf-Millionen-Einwohner-Staates Singapur verwalten zurzeit unvorstellbare 1,9 Billionen Dollar, in Hongkong waren Anfang des Jahres schon neun Menschen gelistet, die über mehr als zehn Milliarden Dollar verfügten; der Spitzenreiter Li Ka-Shing besitzt 36 Milliarden (und 40 Prozent der Drogeriemarktkette Rossmann). Kwan ist mit seinen Eltern im Alter von elf Jahren in die USA gezogen, reist aber regelmäßig nach Südostasien. Er sagt, man könne dem Geld beim Wachsen zusehen. "Erst haben mich meine Freunde in einem Mercedes mit Chauffeur vom Flughafen Hongkong abgeholt. Zwei Jahre später war es ein Bentley mit Chauffeur. Beim nächsten Mal kamen sie gar nicht mehr selbst und haben vier Angestellte im Rolls-Royce geschickt."

Bei den Superreichen ist sein Buch übrigens fabelhaft angekommen. Wenn Kwan im Land ist, können sie ihm gar nicht schnell genug den neuesten Klatsch erzählen, die Einladungen prasseln nur so auf ihn ein: "Kommen Sie doch mal in mein Haus, schauen Sie sich doch mal meinen Privatjet an!" Er lacht. Ganz so distinguiert sind die crazy rich eben doch nicht.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2018
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