Faszination einer Haarfarbe:Rot für die Welt

Actress Jessica Chastain arrives for the premiere of her film 'Interstellar' in New York

Nur ein bis zwei Prozent der Menschen haben naturrote Haare, wie die US-Schauspielerin Jessica Chastain - die allerdings etwas nachhilft.

(Foto: REUTERS)

Rothaarige galten als mystische Wesen, standen am Rand der Gesellschaft. Heute stehen sie für das Betörende, Seltene. Jedoch nicht mehr lange: Die Haarfarbe liegt voll im Trend. Vorgemacht haben es die Designer.

Von Anne Goebel

Es flammt und glüht in den Magazinen, "und draußen auf der Straße", sagt Dennis Creuzberg, "sieht man es auch". Die roten Haare sind zurück, die Feuerköpfe, weshalb der Berliner Edelfriseur neuerdings seinen Kundinnen beinahe täglich eine der hippen Nuancen zwischen Erdbeerblond und Kupfer in die Frisur tönt. Das selbe Bild in den Modezeitschriften: Kaum eine Fotostrecke ohne den ätherischen Frauentyp mit Porzellanhaut und langem Karamellhaar. "Red Couture", nennt sich das dann in der italienischen Vogue. Um der letzten Zweiflerin nahezubringen, dass Rot das neue Blond ist im lodernden Herbst 2014, hat der amerikanische Hochglanzverlag Condé Nast schon im Juli die erlauchte Annie Leibovitz für eine Bilderserie angeheuert: "The Best Redheads" - die Hollywoodstars Julianne Moore und Jessica Chastain oder das Model Karen Elson zeigen, was sie auf den Köpfen haben.

Wie stets in der Mode ist die Frage nach dem "Warum jetzt?" spannend und nicht so leicht zu beantworten. Naturrote Haare sind selten, sie kommen nur bei ein bis zwei Prozent der Bevölkerung vor - es dürfte bei dem neuen Kult um eine lange Zeit verrufene Farbe auch darum gehen, sich abzuheben. Unverwechselbarkeit zu betonen oder zu simulieren ist ein modisches Elementarbedürfnis geworden in Zeiten, in denen jeder Look sofort überall verfügbar ist. Was bleibt, ist wenigstens ein eigener Kopf, wobei die Idee dahinter sich paradoxerweise selbst verwässert, wenn die Kupferlocken bald gehäuft aufleuchten.

Mystische Feuerköpfe bei Fendi und Rodarte

Dass bei den vergangenen Schauen Labels wie Rodarte und Fendi auf rothaarige Mannequins setzten, um das Mystische ihrer Looks zu unterstreichen, kam hinzu. Und jetzt ist Rot Trend - das Merkmal einer Randgruppe, die den Rest der Gesellschaft, je nach Toleranz und Zeitgeschmack, mal abgestoßen, mal betört und immer sehr gereizt hat.

Rote Haare als Stigma: Das Stereotyp vom verdächtigen, weil ungewöhnlich aussehenden Menschen zieht sich durch die Geschichte sämtlicher Kulturen - auch wenn wir heute eher das positive Bild einer aparten Erscheinung vor Augen haben, die Schauspielerin Tilda Swinton zum Beispiel mit ihrem exzentrischen Schopf oder die italienisch raunende Schlagersirene Milva. Und auch der fuchsfarbene Prinz Harry, beklagenswert glücklos in Liebesdingen, jagt niemandem mehr einen Schrecken ein.

Faszination für das Seltene ist immer im Spiel

Aber vor dem "schlechten Charakter" der Roten warnten Philosophen, Moralisten und Prediger mit Inbrunst. Von Aristoteles über die Verfasser ebenso diskriminierender wie beim Volk beliebter Märchen bis hin zu abstrusen Theorien über den angeblichen Zusammenhang zwischen Haarfarbe und der Neigung zu Verbrechen aus Leidenschaft. Dem Verräter Judas Ischariot wurden rote Haare zugeschrieben, der Klischeefigur des geldgierigen Juden und vielen bis weit in die Neuzeit als Hexen verbrannten Frauen: Rothaarig, das sind die Anderen, die am Rand.

So viel Abscheu mit dem Mahagoni-Glamour einer Rita Hayworth zu versöhnen konnte nur der Kunst gelingen. Wenn in der aktuellen Novemberausgabe der Glamour dem britischen Newcomer-Model Madison Stubbington feengleich das rote Haar über die bleichen Schultern fällt, dann finden wir das deshalb schön, weil Künstler seit Generationen solche Motive lieben. Das Eigenartige der hellhäutigen Außenseiter hat sie gerade angezogen (was heimlich auch für die Eiferer galt). Nebenbei konnten auch Maler mit einem besonderen Sujet gleich das Besondere der eigenen Kunst herausstellen und den Marktwert erhöhen. Also gab Botticelli der Mähne seiner schaumgeborenen Venus einen Bronzeschimmer, lenkte Gustav Klimt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Haarfarbe seiner Jugendstilfrauen. Sogar Darstellungen von rothaarigen Jesuskindern gibt es - so weit ging, bei allem Verteufeln, die Faszination.

Genau diese Farbe muss es sein

Web Summit Dublin - Day 2

Die Rot-Varianten reichen, bei meist blassem Teint, von hellem Kupfer bis zu Kastanienrot - so wie bei dem britischen Model Lily Cole.

(Foto: Getty Images)

Der idealisierte Schönheitskult weckt reale Wünsche, das war in früheren Epochen nicht anders als heute. In den Berliner Salon von Dennis Creuzberg, wo sich schon Nadja Auermann und Paris Hilton die Frisur machen ließen, kommen die Kundinnen mit Fotos von Julianne Moore oder Lily Cole und wollen: ganz genau diese Farbe, Strawberry Blonde, Zimt, Mahagoni - wie auch immer der Name der neuesten Tönung gerade lautet. Die Kunsthistorikerin Karin Sagner hat solche Wechselspiele zwischen Wunschbild und Wirklichkeit in der Vergangenheit untersucht, und natürlich waren die notorisch selbstverliebten Römerinnen ganz vorne dabei.

Als die ersten rotblonden Barbaren in der Stadt auftauchten, galt es als schick, "genauso auszusehen wie die germanische Sklavin", erzählt Sagner. Man ließ aus deren geschorenem Haar Perücken anfertigen, die Damen gefielen sich als raffinierte Schönheiten mit dunklem Teint und hellem Zopf. In der Renaissance löste Tizian eine wahre Hysterie um den nach ihm benannte Rotton aus, die Haarfärber seien kaum nachgekommen mit der Arbeit. Dass moderne Großstadtmaler wie Toulouse-Lautrec oder George Grosz ihre zwielichtigen Modelle oft rothaarig darstellten, was eine Nähe zur Prostitution suggerierte, war weniger zur breiten Nachahmung geeignet - manche Bubikopf-Trägerin im Paris oder Berlin der Roaring Twenties hat ihre Protesthaltung aber bestimmt durch eine anrüchige Koloration unterstrichen.

Vamp oder Elfe

Wer kein natürlicher "Gingerhead" ist, wie Briten den in Schottland und Irland sehr verbreiteten Frauentypus nennen, und diesen Herbst trotzdem modisch mithalten will, hat bei der Färbung zwei Möglichkeiten: der Vamp oder die Elfe. Das sind schon immer die beiden Pole der Rothaarigen gewesen - die Entrückte und die Bedrohliche. Für die Kunsthistorikerin Sagner liegt ein Ursprung dieses seltsamen Doppelbilds in einem Blick auf das Weibliche, den die westliche Kultur heute als selbstverständlich empfindet. "Niemals zuvor ist die Frau so stark zum Objekt gemacht worden wie im 19. Jahrhundert", sagt sie. "Oh Locken, schwer von müdem Wohlgeruch", dichtete Charles Baudelaire.

Die damals neue, unverblümte Stilisierung der Frauen zur begehrenswerten Figur funktionierte besonders gut über die Darstellung von Haar. Aufgesteckte Zöpfe, gelöste Strähnen, lange Locken: Die Variationsbreite der sexuellen Andeutungen ist endlos. "Haare sind grundsätzlich das Unterpfand der Weiblichkeit und Erotik", so Sagner. Und wer Frauen mit roten, also besonders betonten Haaren malt, schafft den Urtyp der Verführerin. Die englische Künstlergruppe der Präraffaeliten hat sich fast schon obsessiv abgearbeitet am Ideal der mal madonnenhaft reinen, mal gefährlich fordernden Schönen mit dem Kupferhaar. Oft sind ihre Modelle beides zusammen.

Das wirkt bis heute nach. Ob Arielle, die Meerjungfrau aus dem Walt-Disney-Klassiker, oder Hollywood-Stars wie Nicole Kidman und Jessica Chastain: Der Charme von Rothaarigen hat etwas schwer zu Fassendes, irgendwo zwischen Esprit und Stärke auf der einen Seite und der übersensiblen Aura hellhäutiger Frauen auf der anderen. Nixen und andere Wasserkreaturen werden gern als rothaarig dargestellt - sie sind eben nicht ganz von dieser Welt. Auf jeden Fall geht es darum, besonders zu sein.

Der Nixen-Faktor: Rothaarige sind nicht von dieser Welt

Und das ist auch bewusst so gewollt. Es gibt Bücher nur über Rothaarige. Die "Red Hair Day" genannten Treffen sollen den Austausch darüber ermöglichen, welchen Spott man sich als Minderheit manchmal so anzuhören hat, was eher die Männer betreffen dürfte, weil ihnen der Nixen-Faktor fehlt. Aber natürlich dienen solche Aktionen auch der Selbstvergewisserung als Außergewöhnliche. Genauso wie die Zeitschrift für Rothaarige mit dem geheimnisvollen Namen MC1R - das ist die Bezeichnung des Proteins, dessen Veränderung für die Färbung verantwortlich ist.

Und wenn dann im nicht mehr ganz jungen Alter die Pracht der Farbe schwindet, selbst die beste Strawberry-Tinktur nicht mehr so viel hermacht, wie der Name verspricht? Dann triumphieren, sagt der Friseur Dennis Creuzberg, die echten Roten. "Niemand bekommt so schöne weiße Haare wie sie", sagt er. "Und die meisten tragen sie mit Stolz."

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