Essen zur Fastenzeit:Segensreich sündigen

In flüssige Schokolade getauchte Datteln, schwedische Krapfen, die einen um die Gesundheit bringen, nachtschwarzes Bier aus Bayern: Diese internationalen Fastenspeisen sind wahre Kalorienbomben.

Gunnar Herrmann, Oliver Meiler, Franz Kotteder, Florian Hassel und Dunja Ramadan

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Schokomund

Quelle: Julian Stratenschulte/dpa

Ganz gleich, ob in der christlichen Fastenzeit oder dem muslimischen Ramadan - wenn nur einmal am Tag, beziehungsweise nicht zwischen Morgen- und Abenddämmerung gegessen werden darf, muss das, was man zu sich nimmt, möglichst reichhaltig sein. So sind in vielen Ländern Gerichte, Gebäcke und Getränke entstanden, die völlig unterschiedlich sind, aber einen kleinsten gemeinsamen Nenner haben: den der möglichst großen Kalorienzufuhr.

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Schweden: Königsmörder

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Quelle: Maskot/mauritius Images

Zu keiner anderen Zeit können Schwedens Bäcker so viele Kalorien über die Ladentheke schieben wie zur Fastenzeit. "Fastlagsbulle" (Fastenbrötchen), oder kurz: "Semla", heißt der Umsatzbringer, der in seiner Form ein wenig an deutsche Krapfen erinnert. Als solcher begann das Gebäck im Mittelalter seine Karriere auch.

Damals war das Weizenbrötchen, gesüßt und in Milch schwimmend, ein Festtagsessen für den Faschingsdienstag - eine Stärkung für die Fastenzeit. Nach der Reformation nahmen es die Schweden aber nicht mehr so genau mit der Fastenzeit - Semla wurde aber weiterhin verdrückt, und zwar während der ganzen Fastenzeit.

Der Wandel des Semla-Konsums von einer Fastenvorbereitung hin zur Völlerei blieb nicht ohne Opfer: Am 12. Februar 1771, einem Faschingsdienstag, beendete König Adolf Friedrich ein üppiges Mahl mit dem Genuss des Fastengebäcks, das seine Lieblingsspeise war. Der Legende nach verdrückte er 14 Fastlagsbullar, bevor er über Übelkeit klagte, sich ins Bett legte und starb. Graf Johan Gabriel Oxenstierna schrieb daraufhin eine Kampfschrift gegen die Semla, die seiner Auffassung nach verboten werden sollte und "aus Schweden vertrieben, da sie einen Königsmord begangen hat". Die Schrift wird auch heute noch gerne zitiert. Bewirkt allerdings hat sie nichts.

Gunnar Herrmann

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Italien: Je trockener das Gebäck...

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Quelle: Mauritius Images

Ist süß auch immer sündig? "Biscotti quaresimali", Fastenkekse, nennen die Italiener ihre Naschereien für möglichst sündenlose Zeiten. Es gibt sie fast überall im Land, in jeweils sehr unterschiedlicher Form. Gemein ist ihnen nur, dass sie ganz ohne tierische Fette auskommen, ohne Butter, auch ohne Eigelb. Zucker dagegen kommt eine ganze Menge rein.

In Kampanien und Sizilien sehen die Fastenkekse aus wie die berühmten, knusprig bis steinern harten toskanischen Cantucci, die man ja gerne in den Vin Santo taucht, den süßen und heiligen Wein, damit sie einem die Zähne nicht brechen. In Sizilien nennt man sie "pupatelli" oder, im Dialekt: "pupatieddi". Trocken sind auch sie, und so steht neben den Kekskartons meistens auch eine Flasche mit diesem dunkelbraunen Wein, der das Fasten schnell zum Fest macht.

In Genua, wo offenbar Nonnen im Kloster San Tommaso bereits im 15. Jahrhundert bei der Bearbeitung von Mandelpaste die Idee der fröhlichen Regelbeugung entwickelten, führen die Feinbäcker "Quaresimali" in vielen Geschmacksvarianten: Pistazie, Zitrone, Kaffee und - ja! - Maraschino, ein Kirschlikör. Sie werden in bunten Farben glasiert, gerne rosa.

In Florenz gibt es Fastenkekse in Buchstabenform, überzogen mit bitterem Kakao, manchmal noch durchsetzt von Nüssen und Zimt. Der Legende nach haben die Kekse ihren Ursprung in einem toskanischen Kloster: Offenbar war die Idee, dass man den Kindern, die den Süßigkeiten besonders zusprachen, mit den Buchstaben nebenbei das Evangelium beibringen konnte.

Oliver Meiler

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Bayern: Prost Fastenzeit!

Fastenbieranstich

Quelle: Roland Weihrauch/picture alliance/dpa

Noch perfider kann man die Prinzipien der Fastenzeit -Enthaltsamkeit und Selbstkasteiung - kaum hintertreiben als mit Hilfe von Starkbier. Und doch waren es der Legende nach vor allem mittelalterliche bayerische Mönche, die sich mit besonders stark eingebrautem Bier über die kargen Wochen bis Ostern retteten. Womöglich missdeuteten sie das zwangsläufig öfters mal auftretende Alkohol-Delirium nach dem Genuss von Starkbier auch als religiöse Verklärung; jedenfalls sind kirchlicherseits keine größeren Einwände gegen diese Form des Fastens bekannt geworden.

Ernährungstechnisch betrachtet wirkt Starkbier gleich zweifach. Zum einen durch seinen Nährwert, der sich aus dem hohen Stammwürzegehalt ergibt. Stammwürze nennt man die verschiedenen Extrakte aus Hopfen und Malz wie Eiweiß und Malzzucker vor dem Gärungsprozess. Für Starkbier muss sie mindestens 16 Gramm auf 100 Gramm Bier ausmachen. Je höher der Anteil ist, desto nahrhafter ist auch das Bier und desto höher der Alkoholgehalt. Der wiederum ist verantwortlich für die zweite Wirkung: Nach der Einnahme mehrerer Liter Starkbier ist in der Regel die Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt. Unkundige Trinker stellen sogar alle Bewegungen ein und nutzen jede sich bietende Gelegenheit, um sofort einzuschlafen.

Franz Kotteder

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Polen: Große Kunst

Kurze Heringssaison in diesem Jahr

Quelle: dpa

In Polen, wo gut neun Zehntel der Bevölkerung katholisch sind, gehen Städter zwar seltener in die Kirche, doch die Fastenzeit wird zumindest offiziell immer noch ernst genommen - jedenfalls, nachdem man sich am "Fetten Donnerstag" in der Karnevalszeit den Bauch ordentlich vollgestopft hat: mit gefüllten Krapfen oder mit Chrusty, erst frittierten, dann in Zucker gestäubten hauchdünnen Mürbeteigstreifen. Doch auch in der Fastenzeit gibt es etliche kalorienhaltige Mogelmöglichkeiten, die von Polens Zeitungen und Kochfans für die Fastenzeit angepriesen werden. An der Spitze der Kalorienrangliste steht Kostka Luwr, was man mit Louvre-Würfel übersetzen kann. Es handelt sich um einen so kunstfertig hergestellten wie kalorienreichen Dessetkuchen aus mehreren Lagen dunkler Schokolade, Schmand, Kakao und Zucker.

Ebenfalls beliebt: Heringssalat (im Bild: die Grundzutat, fangfrisch) in Öl, in den neben Kartoffeln und Gurken (je nach Gusto auch Zwiebeln und Zitrone) mehrere Eier und ordentlich Mayonaisse gehören. Oder die in unzähligen Variationen vorhandenen gefüllten Nudeln, bei denen sich freilich Polen, Russen und Ukrainer um die Urheberschaft streiten, und die den großen Vorteil haben, dass nur der Essende feststellt, was genau da alles drin ist.

Traditionelle Pflaumenknödel, auf die indes auch Österreicher, Tschechen oder Ungarn Urheberschaftsansprüche anmelden, und in die neben gut einem Pfund Kartoffeln und Mehl, natürlich Pflaumen, Eier, und optional ordentlich Butter und Zucker hineinkommen. Ähnlich nahrhaft sind Bananenpuffer, für die neben Mehl, etwas Salz und Zucker und natürlich mehreren Bananen auch einige Eier und fetter Schmand dem Wohlgeschmack dienen. Und über dem lässt sich schnell vergessen, dass Bananenpuffer nicht zur althergebrachten polnischen Fastenkulinarik gehören.

Florian Hassel

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Im Ramadan: Süße Versuchung

Dades shop in the Unesco world heritage sight the old town of Jeddah, Saudi Arabia

Quelle: Michael Runkel/picture alliance

Die Dattel, auch "Brot der Wüste" genannt, gehört zum Ramadan wie der Hunger selbst. Schon Wochen bevor der muslimische Fastenmonat beginnt, stehen Datteln mit Zweig und Kern direkt an der Kasse im türkischen oder arabischen Supermarkt. Sie rufen: Wir schaffen das zusammen! Und meinen damit die etwa 18 Stunden Fastenzeit von der Morgen- bis zur Abenddämmerung, die in Mitteleuropa täglich zu bewältigen sind, ohne zu essen oder zu trinken. Und tatsächlich, wer frühmorgens auf leeren Magen ein paar Datteln isst, fühlt sich gleich angenehm satt und kuschelt sich dann wieder ins Bett. Es gibt die Datteln in rot, gelb, schwarz, hell und dunkelbraun. Sie können hart, weich, cremig und trocken sein. Aber eins ist ihnen gleich: Sie sind reich an Zucker und Kalorien.

Das Dattel-Konsumverhalten ist auch Typfrage: Da gibt es den lethargischen Typ, der - kaum ist die Sonne untergegangen - mit einem herzhaften Biss in die Dattel sein Fasten bricht. Da gibt es den Gesundheitsbewussten, der schon Stunden vor dem Fastenbrechen den Dattel-Shake zubereitet, getrocknete Datteln, Aprikosen, Feigen und Pflaumen zerkleinert und warme Milch darüber gießt, um am Ende das Ganze noch mit Zimt (wenn Ramadan in die Wintermonate fällt), Kokosflocken und Rosinen zu verfeinern.

Und da gibt es den Kunstvollen, der die Datteln nicht nur mit Walnüssen oder Mandeln füllt, sondern parallel dazu Schokolade schmilzt und die Datteln oben und unten ins Schokobad taucht. Vor allem beim Kunstvollen sind alle gern zu Gast.

Dunja Ramadan

© SZ vom 8.4.2019/pvn
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