Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Mit Freude verzichten

Die Fastenzeit wird heute ernster genommen denn je. Eigentlich merkwürdig, denn historisch betrachtet war sie oft ein Hochgenuss - Braten und Süßigkeiten inklusive.

Von Marten Rolff

Die Fastenzeit hat begonnen, und es ist ihr großes Paradox, dass die Leidensbereitschaft der Menschen, sich strengen Kuren zu unterziehen, im selben Maße gestiegen zu sein scheint, wie der Einfluss der Kirche gesunken ist. Die Lust an Verzicht und Selbstüberwachung könnte der am Genuss bald den Rang ablaufen.

Für die mittelalterliche katholische Kirche war es dagegen ein Segen, dass sie noch nicht über Methoden wie modernes Ernährungstracking verfügte; am Ende hätte sie die Einhaltung der Fastengebote noch genau kontrollieren müssen. Damals ging es nach Aschermittwoch bei Tisch aber oft ums gekonnte Wegsehen, schließlich unternahm man in den Klosterküchen alles nur Menschenmögliche, um Regeln wie "bis Ostern kein Fleisch warmblütiger Tiere" auszuhöhlen oder gleich zu umgehen.

Ertränkte man das Spanferkel im Klosterbrunnen, galt es plötzlich als Fisch

Zu den bekanntesten Beispielen zählt die Legende der Maultasche, die ein Mönch im Kloster Maulbronn nur erfunden haben soll, um in der Füllung unter Teigschichten und Gemüse auch eine Fleischration zu verstecken; weshalb die schwäbischen Ravioli auch "Hergottsbscheißerle" genannt werden. Die Legende ist nur eine von mehreren Entstehungsgeschichten der Maultasche, und sie wird dem kulinarischen Stellenwert des Gerichts nicht gerecht. Doch sollte sie stimmen, dann war das vorzeitige Fastenbrechen der Maulbronner Zisterzienser ein Kavaliersdelikt, jedenfalls gemessen daran, mit welcher Kreativität andere Klöster Gelage als Verzicht verkauften.

Da das Konstanzer Konzil praktischerweise alles, was im Wasser lebte, als Fisch wertete, kamen bald auch Otter oder Bieber (schuppiger Schwanz!) in den Topf. Und aus Benediktinerabteien gibt es Überlieferungen, denen zufolge es den Mönchen verboten werden musste, Spanferkel im Klosterbrunnen zu versenken, um es später als "Fisch" verspeisen zu dürfen. Unklarheit herrschte auch bei Schokolade, wegen der mexikanische Bischöfe 1569 eigens einen Abgesandten zu Pius V nach Rom schickten. Der Papst soll das Schokogetränk verabscheut und daher als unbedenklich für die Fastenzeit erklärt haben. Ein Fehler, weil Schokolade bald als Hochgenuss populär wurde.

Rumänische Fastenküche ist schon wegen ihrer Vielfalt eine Freude

Eines der strengsten Fastenregime hat die orthodoxe Kirche, die - zusammengerechnet - an knapp fünf Monaten im Jahr den Verzicht auf alle tierischen Produkte außer Honig predigt. Eine Vorschrift, die plötzlich sehr modern wirkt. Und die zeigt, dass einige der besten Rezepte entstehen, wenn man aus der Not eine Tugend macht. Das orthodoxe Rumänien etwa entwickelte so über Jahrhunderte die wohl vielfältigste und herzhafteste vegane Küche Europas, ein Reichtum, der bisher seltsam wenig Beachtung findet. Ein Beispiel ist das Festtagsgebäck Cozonac, ein angenehm wenig süßer, mit Nüssen gefüllter Hefezopf, der in der Fastenvariante einfach mit Mandelmilch und Margarine oder Öl gebacken wird.

Dafür 500 g Weizenmehl (Type 550), 50 g Zucker, ein Paket Trockenhefe, 250 g lauwarme Mandelmilch und 80 g zimmerwarme Margarine zu glattem Teig kneten, und diesen abgedeckt eine Stunde gehen lassen. Unverzichtbar für die Füllung sind 3 EL Zucker, 1,5 EL Kakao, 40 g Mandelmilch, 25 g frisch gepresster Orangensaft und 200 g gehackte Nüsse, (Mandeln, Hasel- und/oder Walnüsse). Optional sind Vanille, Rosinen, Orangenabrieb oder Zitronat und Orangeat.

Am Ende den Teig teilen, auf einer beölten Fläche zu zwei Rechtecken ausrollen, mit Füllung bestreichen und zu zwei Schlangen einrollen. Diese ineinander verdrehen, und den Zopf in einer geölten Kastenform bei 180 Grad für etwa 30 Minuten backen. Das Rezept stammt von der Bloggerin Nia Latea, die auch auf Youtube zeigt, warum Verzicht ein Genuss sein kann.

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