Süddeutsche Zeitung

Fashionweek Berlin:Herrin der Gästelisten

Fashionweek hin oder her: Berlins wahre Attraktion ist und bleibt das Nachtleben. Darin kennt sich Yasmine Orth besonders gut aus: Als "moderne Salondame" ist ihr Job das Einladen.

Von Miriam Stein

Wenn am Mittwoch wieder die Berliner Modewoche beginnt, wird sich das Spektakel von dem der letzten Saisons wenig unterscheiden. Berlins bunte Modepresse sitzt wieder betont cool im Publikum, die wichtigsten Jungschauspielerinnen rauschen in geliehenen Göttinnenroben heran, die von Bloggern und Zeitungsfotografen abgelichtet werden. Und auch der Smalltalk-Stoffstoff wird der gleiche sein: "Wie fandet ihr die Michalsky StyleNite? Kommst du zur Bürgersteig-Fete vor der Odessa-Bar? Und was ist sonst so los?" Die Partys sind die heimlichen Höhepunkte der Fashionweek. Und egal wie die gezeigte Mode für den Winter 2013/14 ankommen mag - gefeiert wird in Berlin immer. Und keine weiß das besser als Yasmine Orth.

Wahrscheinlich war sie auf zig Partybildern zu sehen, die in den vergangenen Jahren auf den Gesellschaftsseiten einschlägiger Blätter abgedruckt waren; aber sie wurde wohl neben den Nora Tschirners und Heike Makatschs digital herausgeschnitten. So ein Bildredakteur hält dieses Mädchen mit den Sommersprossen und dem Piratenkopftuch eben für eines dieser Berliner Party-Gören, die immer dort herumschwirren, wo es gerade angesagt ist. Dass Yasmine Orth eine Größe ist im Berliner Partybetrieb, wissen nur die wenigsten.

Begleitet man sie zu eben einer solchen Veranstaltung, schmerzen später Hand und Nacken vor lauter Händeschütteln und Küsschengeben. "Das ist Emma, sie macht PR!" Oder: "Ich muss dich unbedingt mit Andrea bekannt machen, sie importiert Taschen und iPad-Hüllen aus Marrakesch!" Oder: "Das ist Tadi, sie ist Künstlerin und macht das MADE am Alex." Wer sich immer schon fragte, wo das Herz der Berliner Szene eigentlich genau schlägt - so genau kann man das wohl nie sagen. Aber Yasmine Orth gehört zu denen, die es mit Sauerstoff versorgen.

Ihren Job findet man in keiner Berufs-Tabelle vom Arbeitsamt, aber es lässt sich trotzdem Geld damit verdienen. Sehr gutes Geld. Orth ist kein Society-Töchterchen aus reichem Elternhaus, sondern eine professionelle "Connectorin". In dieser Funktion muss es ihr zum Beispiel gelingen, die Beteiligten auf einer Party dazu zu bringen, ein paar nette Worte miteinander zu wechseln, anstatt sich hochnäsig am Aperitif festzuklammern. Und Yasmine Orth ist es, die die wichtigen Leute überhaupt zur Party bringt.

Als "Creative Connector" arbeitet sie im Event-Management mit Schwerpunkt "Einladungen und Gästebetreuung". Sie kennt jede Person in ihrer Datenbank persönlich und fügt nur Kontakte hinzu, die sie selbst als "passend und spannend" empfindet. Als Gründerin und Kuratorin des "goerlzclub" vernetzt sie außerdem 1500 Frauen aus dem Kreativbetrieb auf der Suche nach Jobs, Wohnungen, Babysittern, oder einfach nur der nächsten, richtig coolen Party.

Das Netzwerk ist ihr Kapital

Orth wurde das, was sie heute ist, auf typische Berliner Art. Es hat sich so ergeben. Die Kurzfassung: 1978 in Düsseldorf geboren, taucht sie als Teenager in der Techno- und Rave-Kultur ab. Sie arbeitet bei der Musik-Fernsehsendung "Viva Club Rotation", dem Festival "Electronic Beats", macht auf Ibiza Bekanntschaft mit der Techno-Ikone Sven Väth und gründet dann "Orange Ape", ihre eigene DJ-Booking-Agentur. Sie reist mit DJs zu Auftritten auf der ganzen Welt und wird zu einer Art It-Girl der Techno-Szene.

Unterwegs lernt sie ständig neue Leute kennen und sammelt fleißig Kontakte von Grafikdesignern, Architekten, Künstlern, Filmschaffenden, Musikern, Clubpromotern und sympathischen Partytieren. Dieses Netzwerk ist heute ihr Kapital: Mit ihm hat sie den mittlerweile legendären Ruf der "La Boum"-Nächte im Berliner Club "Cookies" aufgebaut und die "Fou d'Amour"-Abende in der glamourösen "Bar Tausend". Zu ihren Kunden gehören Marken wie Absolut Vodka, Diesel, Nike und Patrizia Pepe.

Den Platz im Scheinwerferlicht überlässt sie lieber ihren Gästen, ihre Rolle ist die der Gastgeberin. "Meine Mutter hatte ein Restaurant in der Düsseldorfer Altstadt. Sie war eine großartige Gastgeberin. Das Talent ist mir quasi in die Wiege gelegt", erzählt sie.

Vor dem Fenster ihres Büros im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, einer prächtigen Beletage-Altbauwohnung ohne Heizung mit glattgeputzten, weißen Wänden und stuckverzierten Decken, sieht man die U-Bahn alle paar Minuten aus dem Tunnel auf die Hochbahntrasse an der Hauptverkehrsstraße Schönhauser Allee fahren. Orth nennt den Raum "Château Fou" (Narrenschloss), in dem auch andere Freiberufler arbeiten und Workshops und Yoga-Kurse abgehalten werden. In der ersten Woche des neuen Jahres ist nur ein weiterer Schreibtisch besetzt. Statussymbole wie Fotos mit Stars oder teure Kunst sucht man vergebens. Die handgemachten, neonfarbenen Bälle, die an der Stuckrosette herunterbaumeln, hat sie über Ebay-Kleinanzeigen einer Frau aus Marzahn abgekauft. Alles superindividuell, bescheiden und doch sehr modern.

Wie funktioniert das jetzt noch mal mit dem Job? "Es gibt Veranstaltungen, die ich von Anfang an mit dem Kunden zusammen erarbeite. Und dann gibt es Kunden, die mit einer fertigen Planung zu mir kommen und alles, was ich dann noch machen muss, ist - einladen." Also ist diese Creative Connectorin eine professionelle Einladerin? "Eher eine moderne Salondame. Ich lade nach Thema ein. Ich überlege mir genau, mit welcher Gruppe man ein Event bereichert."

Dass Einladen ziemlich schwierig sein kann, weiß jeder, der mal zur eigenen Geburtstagsfeier gebeten hat. "Es geht bei Festen immer um Gemeinschaft", sagt Orth, "das behalte ich immer im Hinterkopf. Ich mag kein Event, bei dem die Gäste in kleinen Gruppen versprengt den Abend verbringen und nichts miteinander anfangen können. Ich berücksichtige Interessen und Aversionen." Dazu gehört auch, dass sie zu bestimmten Events gewisse Leute nicht einlädt, weil es nicht passt. Orth stellt für jede Veranstaltung eine eigene Liste aus ihrer Datenbank zusammen. Natürlich sei ihr Netzwerk exklusiv, räumt sie ein, es glänze mit Individualität und persönlichem Bezug. Eine anonyme Rundmail gibt es bei ihr nicht.

Normal läuft es so: Wenn etwa ein Modelabel eine Kollektion präsentiert oder ein Musiker ein kleines, nicht-öffentliches Konzert spielt, übernimmt eine Event-Agentur zusammen mit dem Gastgeber die Planung, Koordination und die Einladungen. Eine Einladung zu einer solchen Veranstaltung flattert zunächst Berühmtheiten aus Kultur, Wirtschaft und Politik ins Haus. Die Karteien von Schauspiel- und Modellagenturen eigenen sich traditionell als Partyfüller. Das Problem ist nur, dass weder Ruhm, Geld oder Schönheit einen Menschen zum Partytier macht. Somit wird aus einem Event nicht automatisch eine unvergessliche Party. Im Gegenteil: Menschen, die sich gegenseitig langweilen, bleiben auf eine Getränklänge, greifen nach der Goodybag und ziehen ab.

In Berlin ist das anders. Die Einwohner und Zugezogenen widmeten seit der Wende mehr Zeit der Nachtlebenkultur als viele ihrer nationalen und internationalen Zeitgenossen. Das Klischee ist bekannt: Kaffee trinken und abtanzen. Während langjährige Disco-Hochburgen wie London oder New York mit dem Anhäufen von Gehaltschecks beschäftigt waren, erwies sich ausgerechnet die oft kritisierte und nicht selten irgendwie peinliche Berliner Digital-Bohème als nachhaltig interessanter. "Londons Problem ist, dass die Stadt nur dem Geld hinterherläuft", sagte der Londoner Clubbetreiber Lyall Hakaraia dem Kultur-Spiegel. Berlin macht gute Partys zu Geld, längst nicht nur im regulären Nachtleben, sondern von professionellen Festen, wie jetzt - zur Fashionweek.

Laut einer Studie von Berlin Tourismus und der dwif Consulting-Agentur wurden in 2011 etwa 1,8 Milliarden Euro durch Kongresse in die Berliner Kassen gespült; allein 4,3 Millionen Messe- und Kongressteilnehmer möchten im Jahr auf die berühmt-berüchtigte Berliner Art und Weise unterhalten werden. "Für Gäste und Marke gilt das Gleiche: Es bleibt immer etwas. Ein Kontakt, eine Inspiration, eine schöne Erinnerung, eine Empfehlung oder ein neuer Kunde", erklärt Yasmine Orth den Mehrwert von Events. Noch vor wenigen Jahren habe der Kern des Berliner Nachtlebens solchen Events ziemlich kritisch gegenübergestanden, mittlerweile aber habe eine Öffnung stattgefunden. Es sei plötzlich völlig okay, Geld zu verdienen und sich sponsern zu lassen. Geld wird mit Partys ohnehin gemacht. Auf diese Art landet es zumindest bei denjenigen, die diesen Wirtschaftszweig ermöglicht haben.

Von welcher Berühmtheit hat sie die Handynummer?

Im Zwischenmenschlichen sieht Yasmine Orth das größte Potenzial des digitalen Zeitalters. "Ich habe Netzwerke immer schon gelebt. Ich bin Einzelkind, meine Eltern haben sich früh getrennt. Mein Leben ist, seit ich denken kann, stark in Netzwerken aus Freunden und Weggefährten verwurzelt." Mittlerweile ist sie Mutter einer Tochter geworden. Die Zeit für Partys wird knapper. Ihre Arbeit ist für sie aber ohnehin nicht nur die reine Professionalisierung ihres einstigen It-Girl-Daseins. Sie sieht es als Lebensaufgabe: "Das ist aber auch so eine Sache mit Berlin: Die Leute kommen allein hierher. Sie lassen ihren alten Freund und ihre Familien zurück. Viele Dinge, nicht nur berufliche, sondern gerade alltägliche, die eigentlich von Familienstrukturen bedient werden, fange ich mit meinem Netzwerk auf."

Man will es jetzt schon mal wissen: Von welcher angesagten Berühmtheit hat sie die Handynummer? Namen will sie keine nennen. "Meine Kontakte und Kunden wissen, dass jede Anfrage seriös behandelt wird." Wer tatsächlich da war, sieht man immer erst hinterher, wenn die Party vorbei ist - auf den diversen Szeneblogs und in den People-Magazinen.

Als Orth zuletzt zur Launchparty eines neuen Parfüms aus dem Hause 4711 in die Berliner Arena lud, stand sie selbst unweit der obligatorischen Fotowand und begrüßte ihre Gäste persönlich, Küsschenküsschen, Umarmung, mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht: "Schön, dass du's geschafft hast!"

Die Gästelisten waren separat ausgeschildert - an dem einen Tisch stand "Creative Connectors, Yasmine O". Dort holten sich MTV-Moderatorin Palina Rojinski und Schauspielerin Jana Pallaske ihre Bändchen ab, während die Mitarbeiter des Kosmetikkonzerns an einem anderen Empfang abgefertigt wurden.

So ist das eben in Berlin: Die einen gehören dazu, die anderen nie.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2013/anhi
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