Fashionspießer zu verspiegelten Sonnenbrillen:Ist da jemand?

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Eine Brille, zwei Spiegel, kein Durchkommen. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist schon ziemlich unhöflich, eine herkömmliche Sonnenbrille beim Gespräch aufzubehalten. Richtig irritierend wird es jedoch, wenn sich das bebrillte Gegenüber hinter verspiegelten Gläsern verschanzt - und den Betrachter mit sich selbst konfrontiert. Eine Modekolumne.

Von Violetta Simon

Ein Straßencafé, man trifft sich zum Plausch, hat sich eine Menge zu erzählen. Von den Dingen, die die Welt bewegen. Mutigen Ideen und gewagten Plänen. Doch nach wenigen Sätzen gerät das Gespräch ins Stocken. Weil auf der Nase gegenüber zwei undurchsichtige Spiegel sitzen, die sämtliche Blicke eiskalt abblitzen lassen. Und statt der weiten Welt und Abenteuern nur die eigene Nase zu sehen ist.

Es ist schon nicht besonders höflich, die Augen bei einem Gespräch hinter einer herkömmlich verdunkelten Sonnenbrille zu verbergen. Richtig irritierend wird es aber, wenn das Einzige, was das Gegenüber des Brillenträgers sieht, er selbst ist. Statt eines mitfühlenden Blicks sieht er sich mit dem eigenen Zerrbild konfrontiert: das Angesicht durch Fischaugenoptik clownesk verzogen, der Teint durch Spektralfarben verfremdet. Um die beiden Spiegel herum eine Art Top-Gun-Klon, dessen Antlitz wirkt, als hätte er die Rolläden heruntergelassen.

Während die Leute in den Achtziger Jahren Goldkettchen und protzige Uhren zur verspiegelten Sonnenbrille trugen, reitet das Lieblings-Accessoire des vergangenen Sommers nun auf Hipster-Nasen und ergänzt somit Crop tops, Floralprint, Dutt und Turnbeutel.

Ausdrucksstark wie ein Volleyball

Erschüttert blickt man in die beiden undurchdringlichen Scheiben und fragt sich, ob man einer Spiegelbrille wirklich sein Herz ausschütten oder/und die Abenteuer der letzten Nacht erzählen soll. Man fühlt sich eher, als würde man vor einem dieser halbverspiegelten Fenster im Verhörraum eines Kommissariates sitzen statt im Café. Wo sich auf der anderen Seite gerade drei Kripobeamte zur Beobachtung aufgereiht haben. Oder in der Nase bohren. Oder - schlimmer noch - längst den Raum verlassen haben.

Genauso irritierend wirkt der verspiegelte Pilotenbrillenträger auf seinen Gesprächspartner. Hat er nun gehört, was man gesagt hat? Goutiert er die Äußerung oder entgeht einem in dieser Sekunde sein spöttischer Blick? Vielleicht sollte man kurz mal an die abweisenden Scheiben klopfen und fragen: "Hallo, ist da wer? Bist du noch wach?"

So in etwa muss sich Tom Hanks als Chuck Noland in "Cast Away" gefühlt haben, wenn er auf seinen stummen Volleyball namens Mr. Wilson eingeredet hat. Mit dem Unterschied, dass er im Grunde niemals ernsthaft damit rechnete, eine Antwort zu erhalten.

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Wir tragen Bürzelblusen mit Poposchürze, laufen eingepackt wie Polarforscher durch die Stadt und legen uns meterlange Schalschlingen um den Hals. Warum nur? Aktuelle Modetrends, aufgespießt in der wöchentlichen Kolumne.

In der Psychologie bedient man sich der Methode des Spiegelns, um andere für sich einzunehmen: Indem man das Verhalten, die Gestik, die Stimmlage seines Gegenübers nachahmt, schafft man Nähe. Die Spiegelgläser der Pilotenbrille erzeugen genau das Gegenteil. Sobald sich der Brillenträger zurücklehnt und es sich hinter seinem Paar verspiegelter Gläser bequem macht wie hinter einer schützenden Fassade, verstrahlt er nurmehr eine Aura der Unnahbarkeit.

Beim vertrauten Gespräch hat die Spiegelbrille daher nichts verloren. Sie verunsichert nicht nur das Gegenüber, sondern entlarvt vor allem ihren Träger als genau das: unsicher.

Abgesehen davon kann es mitunter recht heilsam sein, einem anderen Menschen in bestimmten Situationen einen Spiegel vorzuhalten. Zum Beispiel könnte man damit Pilotenbrillenträger bekehren.

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