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Fashionspießer zu Selbstgestricktem:Maschen voller Liebe

So manche Anhängerin des Do-It-Yourself-Trends mag ihre Entwürfe schon auf den Laufstegen dieser Welt sehen. Doch bei aller Liebe zur Handarbeit: Einen Pullover zu stricken und ihn zu tragen sind zwei Paar Filzpantoffeln. Und der Einfluss der rosa Brille sollte dabei nicht unterschätzt werden. Eine Modekolumne.

Von Felicitas Kock

In Eigenregie zusammengeklöppelte Kleidung liegt - wie alles Selbstgemachte - im Trend. Warum lange nach einem passenden Pullover, nach einem hübschen Kleid suchen, wenn man es selbst stricken kann? Hier ein Rüschchen, da ein Gürtel, dort ein kleiner Aufnäher. Vielleicht ergibt sich doch noch eine zweite Karriere in der Modebranche. Wenn die Nächte jetzt wieder länger und die Temperaturen kühler werden, wird so manches kreative Wunderwerk aus unschuldig herumkullernden Wollknäulen geboren.

Wem Handarbeit fremd ist, der wundert sich. Erstens, weil das Herstellen von Kleidungsstücken zeitintensiv ist - an all den durchstrickten Abenden und Wochenenden könnte man auch ins Theater gehen, ein gutes Buch lesen, einen Ausflug oder ein wenig Sport machen. Zwar hat ein Mann im US-Bundesstaat Kansas kürzlich einen Rekord aufgestellt, indem er, während er einen Marathon lief, einen zwölf Fuß langen Schal zustandebrachte. Aber nur wenige Stricker sind derart multitaskingfähig. Zweitens wird die Mühe nicht einmal finanziell belohnt. Ein handgearbeiteter Pullover ist meist ein gutes Stück teurer als ein gekaufter.

Doch darum geht es den Anhängern der Do-It-Yourself-Bewegung nicht. Es geht ihnen vielmehr darum, selbst etwas zu erschaffen. Nach den eigenen Vorstellungen, mit den eigenen Händen. Tatsächlich kann es entspannen, nicht zu arbeiten und dennoch produktiv zu sein - für manche ist Stricken Meditation, genau wie Gärtnern, Töpfern oder Papierschöpfen. Es ist eben etwas anderes, die Stricknadeln klappern zu lassen, als die Tastatur im Büro. Und wer etwas selbst produziert, kann seine Liebe, sein Herzblut in das jeweilige Kleidungsstück stecken - sodass am Ende ein ganz besonderes, individuelles Produkt herauskommt.

An dieser Stelle liegt nun aber das Wollknäuel begraben. Denn ein Kleidungsstück selbst herzustellen und es tatsächlich zu tragen sind zwei vollkommen unterschiedliche Paar Filzpantoffeln. Warum? Weil derjenige, der etwas selbst hergestellt hat, nicht mehr objektiv ist. Er trägt eine rosa Brille, als wäre er verliebt - nur dass das Objekt seiner Zuneigung kein Mensch ist, sondern ein Pullover Marke Selbstgemacht. Das Problem: Allen anderen Menschen fehlt diese Brille.

Sie saßen nicht stundenlang in der Ecke des Sofas, die der Wohnzimmerlampe am nächsten ist, um im spärlichen Licht die Maschen nicht zu verlieren. Sie haben nicht gestrickt und wieder aufgetrennt und wieder gestrickt und wieder aufgetrennt, bis das Teil einigermaßen die richtige Größe hatte. Kurz: Ihnen fehlt die emotionale Bindung. Für sie ist es nur ein ganz normales Kleidungsstück.

Schiefe Ärmel und unvernähte Garn-Enden

Und so hart es klingen mag: Nur wenn die Selfmade-Klamotte auch vor diesen anderen bestehen kann, sollte sie in der Öffentlichkeit getragen werden. Für alle, die durch ihre Verzückung ob der eigenen Strickkunst zu Objektivität nicht mehr in der Lage sind, hier ein paar grundlegende Fragen: Passen Vorder- und Rückseite tatsächlich zusammen oder ist eines der Teile deutlich länger oder kürzer als das andere? Beginnen die Ärmel auf beiden Seiten in etwa auf der gleichen Höhe? Ist das gute Stück frei von Löchern und merkwürdigen Ausbuchtungen? Gehören die Fransen wirklich so oder sind das faulheitsbedingt unvernähte Garn-Enden? Und ist orangebraun mit Pailetten wirklich eine gute Farbentscheidung?

Nur wenn alle Fragen positiv beantwortet werden können, sollte das Kleidungsstück auch an Orte außerhalb der eigenen vier Wände gelangen. Ansonsten gilt: Tragen Sie ihr geliebtes Strickgut in Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche, als wären sie Karl Lagerfeld. Oder führen Sie es, wenn Sie mutig sind, bei privaten Freizeitaktivitäten aus. Aber tragen Sie es niemals, wirklich niemals, im Büro oder an anderen Orten, wo sie für schiefe Ärmel und merkwürdige Fransen mitleidige Blicke ernten - und nicht die erhoffte Bewunderung für Tausende aneinandergereihte Maschen.

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