Psst - nicht erschrecken: Am vergangenen Samstag war gar kein Wiesn-Anstich. Am 21. September war Faschingsanfang. Wie sonst sind all die lustigen Dirndl zu erklären, die seit Samstag die Theresienwiese dekorieren. Bei Herstellern und in Modemagazinen werden die neuen Dirndl-Kreationen und ihre Auswüchse gerne mit der Überschrift "Für Fashion-Victims!" vorgestellt. Da fragt man sich: Wer ist denn hier das Opfer - und wer der Täter?
Wenn das Heer der neonfarbenen Minikleider auf den Bänken tanzt - ohne Blusen, dafür mit Schürzen aus Polysonstwas-Material - dann wird uns klar: Der Ausdruck "zugereist" beschränkt sich nicht auf Ortsfremde. Zugereist kann man nämlich auch im Kopf sein. Nur, weil jemand in München geboren ist, wie zum Beispiel Dschungelcamperin Giulia Siegl, muss er oder sie noch lange nicht wissen, was ein Dirndl ist. Sonst wüsste sie ja, dass diese Bekleidung nicht dazu erfunden wurde, Dessous oder deren silikonverstärkte Inhalte zur Geltung zu bringen. Dann würde sie sich von hinterlistigen Verkäuferinnen keine Taftkleider der Linie "Schatzi" oder "Herzi" mit bunten Bildchen als Tracht andrehen lassen. Oder jedes Mal ihre Bluse zuhause vergessen.
Die Frau braucht Hilfe, das steht außer Frage. Genau wie ihre prominenten Freundinnen aus dem Hippodrom, die auch heuer wieder tief in die Kiste mit den Dekostoffen gegriffen haben. Also wollen wir mal nicht so sein und an dieser Stelle ein paar Dinge klarstellen:
Ein Dirndl wird vorne mit Häkchen oder einem Samtband über Ösen verschlossen. Hat das Kleid stattdessen einen Reißverschluss, handelt es sich vermutlich um eine Art Party-Outfit mit der Botschaft: Lässt sich auch unter Alkoholeinfluss, unter der Bierbank oder bei anderen spontanen Zusammenkünften problemlos öffnen.
Abgesehen davon hat ein Dirndl eine Mindestlänge, und die befindet sich am Knie. Das heißt: In Oberschenkelhöhe endet es eindeutig zu früh. Wer Definitionsprobleme mit dieser Längenangabe hat, sollte überprüfen, ob das hellblaue Strumpfband aus dem 1-Euro-Shop noch zu sehen ist. Achja, und fadenscheiniges Verlängern durch Spitzen- oder Tüllborten gilt nicht.
Überhaupt, Tüll! Damit kann man vielleicht die Fenster von Wohnwagen schmücken. Aber doch keine Blusen nähen! Eine traditionelle Dirndlbluse hat kurze Ärmel, keine Spaghettiträger. Diese rutschen auch nicht von den Schultern wie bei einer Flamencotänzerin auf einem kitschigen Kunstdruck.
Noch viel weniger sind Dirndl aus beigefarbenem Rupfensackleinen, wie man es vor einigen Jahren noch beim sogenannten Landhaus-Trend beobachten konnte. Mit ihren seitlich gerafften Zipfel-Unterröcken erinnerten diese Modelle an fahrendes Volk aus dem Mittelalter. Zum Glück ist der Landhausstil inzwischen weitergezogen Richtung Ritterfeste und gilt nun offiziell als rein innenarchitektonische Geschmacksverirrung in apricotfarbenen Neubausiedlungen.
Kommen wir zur Schürze: Sie dient zwar als dekoratives Element. Dennoch ist es nicht notwendig, sie mit Swarovski-Steinen oder - wie Claudia Effenberg - gar Federn zu veredeln; sonst muss man sich nicht wundern, wenn einen der Taxifahrer fragt, ob man am Hendlstand arbeitet. Auch sollte die Dirndlschürze weder von einem indischen Sari noch einem Hirtenkleid aus der Pusta inspiriert sein. Sie sollte einfach nur zum Dirndl passen, deshalb heißt sie ja so.
Entgegen der Meinung von einigen prominenten Tischtänzerinnen sind Highheels oder Peep-Toes mit Früchte-Prints kein geeignetes Schuhwerk für die Wiesn. Auch Gummistiefel mit Hirschmotiv oder Trachtensneaker mit kariertem Innenfutter machen die Sache nicht besser. Dasselbe gilt für Plateaupumps, Ballerinas und Overkneestiefel. Alles was recht ist: Zu einem Dirndl trägt man Trachtenschuhe - vorne mit einer Schnalle oder Riemchen, hinten mit einem Absatz, für den man nicht schwindelfrei sein muss.
Ist das spießig und autoritär? Keineswegs. Das Dirndl galt ursprünglich als regionale Volkstracht. Und Tracht bedeutet nicht Kostüm. Wer glaubt, ein Dirndl sei eine beliebig zu gestaltende Fantasiebekleidung, sollte seine innere Einstellung überprüfen. Dann kann er gegebenenfalls bei Lola Paltinger einkaufen und als "Happy Heidi" gehen.
Abschließend möchten wir noch vor einer besonders albernen Geschmacksverirrung warnen, bevor sie sich weiter etablieren kann: knallrote Filzhütchen mit Federn. Diese Kopfbedeckung galt in Heinz Erhardt-Filmen als Markenzeichen für Nervensägen, Naturliebhaber und Norddeutsche. Und sie brachte unsere Großeltern zum Lachen. Zum Dirndl jedoch sind sie nichts als ein schlechter Witz.
Deshalb bitte merken: Trachtenhüte werden zwar auch hierzulande nicht nur von Männern in Lederhosen getragen. Doch befinden sich daran mitnichten phallisch emporgereckte Fasanenfedern, sondern bestenfalls Adlerflaum - bei den Herren meist jedoch ein Gamsbart. Und vor allem sind sie nicht: rot! Außer, man heißt Kasperl und spricht für Geld mit einem Holzkrokodil.
Andererseits: Nach der fünften Proseccomaß im Käferzelt haben Menschen schon ganz andere Dinge gemacht.