Fashionspießer zu Männer-Tracht:Servus, Blingbling-Toni!

Lesezeit: 4 Min.

Auf den ersten Blick zwar eine Lederhose, jedoch keine ernstzunehmende (Foto: Getty Images)

Der Trachtenwahn greift um sich, auch bei den Herren. Doch was manche Männer unter Tracht verstehen, entspricht eher einer Imitation einer Lederhose. Und mündet nicht selten in einer vogelwilden Kombination aus Biedermeier, Fluch der Karibik und den Geissens.

Von Violetta Simon

Schee is' heid wieder im Käferzelt. Alle sind sie da - in Tracht, versteht sich. Oder dem, was der ausgewählte Wiesnbesucher in der Promibox darunter versteht. Hier darf es schon ein bisserl feudaler zugehen als bei den Noagal-Zuzlern im Mittelschiff. Und ein jeder darf den Trachtenstil um seinen eigenen Glamourbegriff erweitern.

Unter dem Einfluss von Schampus und Blitzlicht entstehen die spektakulärsten Phantasie-Uniformen, das Ergebnis kann sich sehen lassen: Von Barock bis Biedermeier, von Husar bis Blingbling-Toni - für jeden ist etwas dabei.

Der Hamburger Ex-Fußballer Stefan Effenberg und der ostfriesische Elektromusiker H. P. Baxxter erweisen sich als Brüder im Modegeiste und geben in ihren üppig bestickten Brokatwesten den Gutsbesitzer. Ein - mindestens regional - bekannter Designer aus Kitzbühel erscheint mit Gobelin auf den Schultern und einem Hotzenplotz-Hut auf dem Kopf. Das Arrangement soll irgendetwas zwischen Musketier und Bikermode darstellen, verunglückt jedoch zwischen Fluch der Karibik und Thomas Gottschalk. Hach, den Geissens würde das Herz aufgehen bei diesem Anblick!

Nur dem Baden(s)er Boris Becker ist heute nach Relaxen zumute: Zur bequemen Samtweste trägt er Holzfällerhemd, ganz eins mit der Natur. Offenbar hat ihm niemand verraten, dass ein Trachtenhemd zwar oft kariert ist - aber nicht alles, was kariert ist, ein Trachtenhemd. Ach Gott, und dann ist da ja auch noch unser Heino. In seinem leuchtend roten Janker mit Halsschleife, so blass und dünn, sieht er aus wie einer der Wildecker Herzbuben nach einer Crashdiät.

Halbzeit-Bilanz beim Oktoberfest
:Mehr Trachten, mehr Fundstücke

3,5 Millionen Besucher trinken 3,4 Millionen Maß Bier. Immer mehr Touristen kommen in Dirndl und Lederhose, außerdem feiert die Schießbude ein unerwartetes Comeback. Bei den Straftaten aber gibt es Unerfreuliches zu vermelden. Eine Bilanz zur Halbzeit der Wiesn.

Doch endet das Drama nicht am Zeltausgang von Hippodrom und Käfer. Schließlich muss man nicht prominent sein, um keinen Geschmack zu haben. Nirgendwo und zu keiner Zeit wird die bayerischen Tracht derart verunglimpft wie auf der Wiesn. Ist es denn zu viel verlangt, zu einem Volksfest, selbst wenn es sich um das größte der Welt handelt, in Lederhosen Trachtenhemd und Haferlschuhen zu erscheinen? Oder aber gleich in Jeans und T-Shirt? Im Grunde ist es wie mit dem bairischen Idiom: Man muss ja kein Boarisch redn. Wenn man es nicht wirklich kann, sollte man es besser lassen.

Angeführt wird die Faschingsparade derzeit von treu ergebenen FCB-Fans im Auswärts-Outfit des Rekordmeisters: Ledersporthose mit aufgedrucktem Vereinswappen und weißes Trikot mit Stehkragen, das ein Trachtenhemd imitieren soll. Dazu eine feldgraue Trainingsjoppe mit Hirschhornknöpfen und eine Art (Narren?-)Kappe, die eher an Schweizer Zöllner als an bayerische Trachtler erinnernt. Kaum vorstellbar, aber noch schlimmer ist das Wiesn-Trikot des TSV 1860 München, das mit seinen Rautenprints und den kurzen weißen Ärmeln entfernt an diese Westen aus der Promi-Box erinnert, nur dass es bei den Zweitligisten leider nur für die Billig-Version gereicht hat.

Kommen wir zum zentralen Bestandteil der Tracht - zur Lederhose: Eine "Krachlederne" ist eine ernstzunehmende Angelegenheit. Ihr zweiter Name ist daher NICHT "Sepplhose". So nennt man bestenfalls die grauen kurzen mit den umgeschlagenen Beinen und den grün abgesetzten Eichblatt-Taschen. Überhaupt eignen sich Leder-Hotpants jeder Art bestenfalls für den Gay-Sunday in der Bräurosl. Ansonsten haben selbst kurze Lederhosen eine Mindestlänge, und zwar knapp überm Knie.

Eingefleischte Trachtler behaupten, nur eine getragene Lederhose sei eine gute Lederhose, und jede habe ihre ganz eigene, charakteristische Patina - je speckiger glänzend, desto besser. Wer also nicht mindestens das Fett von einem Hendl und einer Fischsemmel an Hosenbeine und Hosenboden geschmiert hat, braucht sich gar nicht erst blicken zu lassen.

Eine echte Lederhose wird mitsamt ihren Hosenträgern getragen. Diese sind weder rot noch mit Leoprints oder lustigen Sprüchen bedruckt, sondern aus demselben Leder wie die Hose. Die Träger positioniert man so, dass sie ihrer Bestimmung nachgehen können, nämlich die Hose zu tragen. Diese passt nämlich nur, wenn sie am Bund etwas weit ist, damit man auch beim Sitzen noch atmen kann. Wenn das Geschirr links und rechts herunterhängt, kommt es schnell zu missverständlichen Botschaften wie "Ich zieh mich schon mal aus" oder "Ich hab seit der letzten Wiesn so zugenommen, dass mein Bauch die Hose jetzt allein tragen kann".

Wenn gar nichts mehr hilft: In dieser Ganzkörper-Tracht erkennt einen niemand. (Foto: Getty Images)

Wer Lederhose trägt, kommt auch um die Haferlschuhe nicht herum. Zur Krachledernen zeigt man sich weder in ausgelatschten Sneakers noch in neonfarbenen Joggingschuhen - außer, man heißt Usain Bolt und trägt die Dinger von Berufs wegen. Segelschuhe gehören aufs Boot, Flipflops an den Strand, Slipper und Stiefeletten verbieten sich von selbst.

Zur Lederhose gehört außerdem ein Trachtenhemd - kein Kapuzenshirt, kein freier Oberkörper und kein Feinrippunterhemd. Es muss nicht unbedingt kariert sein, auch ein weites, weißes Leinenhemd (Pfoad genannt), passt, vor allem zur Weste. Wenn Karos, dann nicht die großen weiß-roten - sonst sieht man aus wie ein Sepp. Oder wie eine Tischdecke.

Wollene Klorollenhütchen auf einer Hutablage

Im Zuge des Trachtenwahnsinns erfreuen sich derzeit Loferl zunehmender Beliebtheit - zweigeteilte Strümpfe, die aus gestricktem Wadenteil und Fußling bestehen. Leider vergessen manche Herren, dass die beiden zusammengehören. Oder dass sie gewaschen werden müssen. Trägt man Loferl aus dieser Not heraus beispielsweise zu Tennissocken, wirken die Wadelwärmer schnell wie wollene Klorollenhütchen auf einer Hutablage. Die wichtigste Voraussetzung für Loferl aber sind: Waden! Kümmerliche ovale Wölbungen an Steckerlbeinen sind nicht damit gemeint. Dann lieber gleich Kniestrümpfe.

Ein sensibles Thema ist das Charivari, eine zweireihige silberne Kette mit Anhängern und Glücksbringern, die vor dem Hosenlatz an zwei Knöpfen befestigt wird. Ursprünglich hingen da wild durcheinander Silbermünzen, Kleintierpfoten, Pinsel aus Tierhaar, Rotwild-Eckzähne, Penisknochen oder Greifvogelkrallen. Da der Mann heute nicht mehr von der Jagd lebt, braucht er sich nicht mit solchen Trophäen zu schmücken. Aber erst recht nicht braucht er nickelfreie Panzerketten seitlich an der Hüfte, an denen Miniatur-Stierköpfe, Trompeten in Altsilber-Optik und strassbesetzte Brezen baumeln.

Übrigens: Auf der Wiesn besteht kein Hut-Zwang. Wer also keinen Trachtenhut besitzt, ist nicht dazu verpflichtet, sich zum Kasperl zu machen, indem er sich beispielsweise einen Gaudi-Sepplhut mit blau-weißer Kordel aufsetzt. Von Schaumstoff-Maßkrügen ganz zu schweigen. Die sind ausschließlich der Früherkennung von Touristen aus den USA, Australien oder Irland vorbehalten.

Und wer sich wirklich zum Seppl machen will, kann komplett unter einem Lederhosen-Morphsuit verschwinden. Das ist dann wirklich: Wiesn, hautnah.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fashionspießer zu Pseudo-Dirndl
:Heiliger Rupfensack!

Blusen aus Tüll, Hütchen mit Fasanenfedern, Schürzen mit Glitzerkram: Das traditionelle Dirndl stirbt offenbar aus, halbprominente Tischtänzerinnen laufen zuhauf in karnevalesker Fantasiekleidung herum. Kein Zweifel, diese Frauen brauchen Hilfe. Ein Appell an den guten Geschmack.

Von Violetta Simon

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: