Süddeutsche Zeitung

Fashionspießer zu Einheitsgrößen:Dann lieber Größenwahn

Lesezeit: 3 min

Man stelle sich Cindy aus Marzahn neben Heidi Klum neben Alberich aus dem Tatort vor - und siehe da: Menschen sind unterschiedlich lang und breit, das gilt für Prominente wie für Normalsterbliche. Was also soll die Welt mit all den One-Size-Klamotten anfangen, die es gerade zu kaufen gibt?

Von Felicitas Kock

Es ist ja so schon schlimm genug. Im ersten Laden probieren Sie sich munter durch alles, was in Größe 38 zu haben ist. Vieles passt, einiges gefällt, manches wird gekauft. Im nächsten Laden gleicht ein Kleid in Größe 38 einem Einmannzelt, ein Pullover einem chinesischen Riesenlampion. Da Sie weder eine Expedition zum Nordpol noch eine Kulturreise nach Fernost planen, geben Sie beides zurück und suchen nach kleineren Modellen - selig lächelnd, vielleicht hat die nach einem Tag so verfrüht wie angeekelt abgebrochene Kohlsuppendiät ja doch etwas bewirkt.

Doch in Laden Nummer drei kommt die große Ernüchterung. Der Rock in Größe 36, den Sie, ganz neugewonnenes Selbstbewusstsein, mit in die Anprobe genommen haben, lässt sich nicht ansatzweise über die Hüften ziehen. Tatsächlich ist bereits kurz über dem Knie Schluss. Befänden Sie sich in einem Slapstick-Film, würden Sie jetzt - die Beine im zu kleinen Röckchen gefangen - aus der Kabine kippen. In der Realität reicht es an Demütigung, die freundliche Umkleidekabinenaufseherin zerknirscht um ein vergleichbares Modell "eine Nummer größer" zu bitten. Natürlich sitzt dann auch die 38 nicht mehr. Der Rock lässt sich zwar an der richtigen Stelle positionieren und auch mit viel Willenskraft und bis zur Wirbelsäule eingezogenem Bauchnabel schließen, aber das Resultat sieht weder gut aus noch fühlt es sich besonders gesund an.

Was wir daraus schließen? Eine 38 ist keine 38, eine 40 keine 40 und eine Frau mit Größe 42 schrieb kürzlich bei Twitter, sie fühle sich als Marktlücke, weil sie weder im konventionellen Sortiment noch bei den Übergrößen fündig werde.

Wer immer in den selben Geschäften einkauft, kennt irgendwann die Besonderheiten der modekettenspezifischen Größenordnung. Hier lieber ein bisschen weiter nehmen, da ein bisschen kleiner, dort am besten überhaupt keine Hose anprobieren, weil es sonst zwangsläufig in einer unschönen Hasstirade auf die Auswüchse der Bekleidungsindustrie endet.

Vielleicht um diesen Größenwahn zu umgehen, gibt es eine zunehmende Zahl an Bekleidungsherstellern, die ihre Produkte in Einheitsgrößen anbieten. Auf Wiedersehen, S, M, L! Tschüss, Zahlenhexerei! "One Size" heißt das Zauberwort, das in diesen Tagen vor allem in Läden zu finden ist, die eine junge, urbane Klientel anziehen wollen. "Eine Größe für alle", lautet die fast schon revolutionäre Botschaft an die Shopper.

Um welche Einheit geht es eigentlich?

Doch die Einheitsgrößenvertreter haben ihre Rechnung ohne den real existierenden Menschen gemacht. Man muss nicht an Cindy aus Marzahn neben Letizia von Spanien denken oder an Heidi Klum neben Alberich aus dem Münsteraner Tatort, um zu erkennen, dass Menschen einfach nicht gleich lang und breit sind. Es reicht, im Laden neben einer anderen Kundin vor einer Reihe One-Size-Minikleidern zu stehen - und sich vorzustellen, nebeneinander aus der Umkleidekabine zu treten. An der anderen schlottert das Kleid wie an einer Spargelstange. An der anderen schlottert es gar nicht - sondern sieht aus wie Wurst in Pelle. Wie Mariah Carey in einem Kleid, in das sie sich mal wieder hat einnähen lassen.

Es stellt sich also die Frage, an wem sich Einheitsgrößen orientieren. Ist diese Einheit, von der die Modemacher sprechen, eine kleine Gruppe von Menschen, die bis ins Detail so gebaut sind wie die nichtssagenden Figuren auf den Werbeplakaten? Gehören zu der Einheit am Ende nur Leute, die schön schmal und gerade sind, wie sich die Modemacher das in ihrer Traumwelt aus figurbetonten Viskose-Kleidern und beinzusammenbindenden Bleistiftröcken vorstellen? Uneinheitliches unerwünscht? Frau zu Groß, Fräulein zu Klein, Herr zu Dick und Monsieur zu Dünn bitte draußen bleiben?

Gut, viele Hersteller versuchen, mit der Verarbeitung eines möglichst hohen Elasthan-Anteils eine möglichst breite Vielfalt menschlicher Körperformen mit in die Einheit hineinzupressen. Doch nur weil jemand in ein Minikleid hineinpasst, heißt das ja noch nicht, dass er es tatsächlich tragen sollte. Womit wir wieder bei der Wurstpelle und Mariah Carey wären. Umgekehrt sollte übrigens auch kein sehr kleiner Spargel in einem sehr groß geratenen Einheits-Shirt verschwinden.

Und so halten wir fest: Was bei Armreifen, Haargummis und vielleicht gerade noch bei Mützen in Ordnung ist, funktioniert bei anderen Kleidungsstücken nicht. Denn eine Größe für alle heißt noch lange nicht ein Minikleid für alle. Es heißt "Ein Minikleid für die, die der richtigen Größe entsprechen." Was auch immer diese eine richtige Größe namens "One Size" sein mag. Ganz ehrlich? Wir nehmen uns, liebe Modeindustrie, dann doch lieber ein bisschen Zeit, um im Laden unsere ganz persönliche richtige Größe zu finden - ganz gleich, ob das nun 32 oder 52 ist, und auch wenn wir dafür dreimal die Kabinenaufsicht scheuchen müssen.

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