Fashionspießer zu buntem Augen-Make-up:Marusha oder die Freuden des Malens

Bunte Augen

Ein Augenaufschlag wie aus dem Farbmalkasten

(Foto: Daniel Hofer)

Malen ist, ähnlich wie Singen, Erwachsenen nur bei außerordentlicher Begabung oder in Ausnahmesituationen gestattet. In diesem Sommer allerdings werden die Augenlider zur Leinwand erklärt, es darf nach Herzenslust gepinselt werden. Wäre da nicht die Sache mit Peter Pan. Eine Modekolumne.

Von Lena Jakat

Was ist neonpink, quietschgrün und knallgelb, mit einem Hauch von Türkis? Das Haus von Pippi Langstrumpf? Kalt. Die alten Aerobic-Videos von Frau Fonda? Kälter. Der Plüschpapagei aus Kindertagen? Eiskalt. Die Rede ist von dem Augenaufschlag, mit dem uns neulich diese Frau in der S-Bahn bedachte. In Sekundenbruchteilen offenbarte dieser Wimpernschlag einen ganzen Vierte-Klasse-Malkasten an Farben, am, auf und neben dem Augenlid aufgetragen. Pinker Lidschatten, grüner Lidstrich, gelbe Wimperntusche. Und Türkis passt auch noch irgendwo dazwischen. Natürlich? Zurückhaltend? Auf die Kleidung abgestimmt? Das Make-up dieses Sommers wirft alle klassischen Stilregeln über den Haufen. Es gilt stattdessen: bunter, greller, mehr.

Erwachsene Großstadtfrauen sehen in der oberen Gesichtshälfte plötzlich aus, als wären sie ohne Zwischenstopp aus dem Wolkenland der Glücksbärchis eingeschwebt (diese bunten Zeichentrick-Teddys aus den 80er-Jahren) oder aus Ponyville (wo sich sonst nur zerstrittene Piratenpolitiker hinbeamen, um ihre Konflikte zu lösen). Die Farbexplosion auf den Augenlidern wirkt wie eine gleichzeitige Hommage an Bob Ross und Marusha, welche der Welt nicht nur den Techno, sondern auch die grünen Augenbrauen geschenkt hat.

Doch um die Wimpern-Warhols des Sommers 2013 zu verstehen, muss man ein bisschen weiter zurückgehen als 1994, als Marusha "Somewhere over the Rainbow" (womit wir wieder in Wolkenland wären!) neu vertonte oder 1993, als Bob Ross uns das letzte Mal die Freuden des Malens näherbrachte. Man muss zurück in die Grundschulzeit. Wer hat als Kind nicht gern gemalt, nicht der Verwandtschaft stolz wie Oskar das selbstgeschaffene Kunstwerk präsentiert? Eben.

Doch irgendwann zeigt sich leider, wem echtes künstlerisches Talent vergönnt ist. Für alle anderen gilt: Malen ist uncool. Sie werden höchstens mal die Schlafzimmerwand lindgrün streichen.

Mit dem Malen ist es für durchschnittsbegabte Erwachsene wie mit dem Singen: Es ist sozial inakzeptabel. Gestattet nur in extremen Ausnahmesituationen. Singen zum Beispiel im Bad oder in der Kirche. Malen nur, wenn es die Workflow-Skizze des Teams betrifft oder die Nichte zu Besuch ist.

Doch jetzt, endlich, haben Kosmetikhersteller den Farbentzug all dieser Erwachsenen erkannt und es zum Sommertrend erklärt, die eigenen Lider als Leinwand zu nutzen. Endlich darf wieder wie wild gekleckst, gestrichelt, gepinselt werden. Vergessen sind die Zwänge der Pubertät, als nur der makellos gezogene schwarze Kajalstrich akzeptiert wurde. Als man eigentlich eine abgeschlossene Kosmetikerinnenausbildung gebraucht hätte, um ein Make-up hinzukriegen, bei dem die Schönheitsköniginnen der Schule nicht halb tadelnd, halb verächtlich die perfekt gezupften Augenbrauen hochgezogen hätten.

Heute dagegen holt die Trend-Frau einfach ihren inneren Andy Warhol raus und versucht, 60 Jahre Pop-Art auf zwei Augenlider zu quetschen. Kunstfreiheit ist die Mutter der Lidschattenpalette. Dass quietschbunte Augendeckel plötzlich als schick gelten, ändert allerdings nichts daran, dass sie aussehen, als wäre man lieber selbst auf dem Kindergeburtstag geblieben, wo man eben die Tochter abgegeben hat. Kurz: Als wäre man gern selbst noch mal acht und nicht 32 Jahre alt.

Dieses Phänomen beschreiben US-Blogerinnen dieser Tage als Prinzessin-Pan-Attitüde. Endlich ist sie da, die weibliche Entsprechung des ewigen Kindes im Manne. Dem Mann, der sich mit jungenhaftem Grinsen aus jeder Verantwortung stiehlt, der lieber vor dem Computer hängt als am Babybettchen. Der mit einem Augenzwinkern eine Frau dazu bringt, ihm sofort zu verzeihen. Den die Frauen lieben, der sie aber auch zur Weißglut und in die Verzweiflung treibt.

Können diese buntbeliderten Marusha-Erbinnen das wirklich wollen? Aussehen, als würden sie nie erwachsen werden wollen? Als würden sie sich ihre Knie beim Bäumeklettern aufschürfen? Als würden sie Kuchenteig höchstens im rohen Zustand und gemeinsam mit ihrem unsichtbaren Freund verspeisen? Als würden sie von ihrem Bausparvertrag am liebsten ein Häuschen im Glücksbärchiland bauen?

Die Antwort dürfte klar sein. Spätestens, wenn die Baumkletterei in einem Bandscheibenvorfall endet.

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