Schon Cleopatra verabscheute Körperbehaarung. Und so erfanden ihre Dienerinnen bereits in der Antike eine klebrige Paste aus Zucker, Zitronensaft, Wasser und Honig - der Vorläufer des heutigen Waxings - und befreiten sie damit von den lästigen Haaren.
Wer keinen Hofstaat hat, rennt heute zu Ärzten und Kosmetikerinnen. "Der Bart muss weg", sagen die Kundinnen dann. Und lassen sich den meist kaum sichtbaren Damenbart in langen Sitzungen von Laserstrahlen wegbrennen. Wem dafür das Geld fehlt, der reißt sich den Flaum über der Oberlippe im heimischen Bad unter Mithilfe von Pinzette und Wachs heraus.
Genau diese Frauen, die sich unter Schmerzen von ihren Haaren befreien, hängen sich Bart-Attrappen aus Silber, Kunstoff oder Nickel um den Hals. Das nennt sich dann "Mustache-Trend". An Ketten baumelt der filigrane, schwarze Oberlippen-Bart, auf Ringen steckt er. Man findet ihn aufgedruckt auf Taschen, T-Shirts, Tassen - keine Körperstelle, kein Gegenstand ist vor ihm sicher.
Und wer kein Accessoire oder Kleidungsstück mit Bart besitzt, der malt ihn sich mit Edding, Kuli oder Kajal auf einen Finger. Ganz wichtig ist, davon ein Foto bei Facebook hochzuladen. Schließlich wurden bereits die üblichen Verdächtigen, Miley Cyrus und die Kardashian-Schwestern, mit aufgemalten oder angeklebtem Mustache im Internet gesehen.
Warum um Himmels Willen finden (insbesondere) Frauen es lässig, sich mit einem Bart im Gesicht fotografieren zu lassen? Die Vermutung diverser Modezeitschriften, es müsse sich um einen Trend aus dem Hipster-Milieu handeln, wird dem gesellschaftlichen Phänomen, das hinter der Bart-Hysterie steckt, nicht gerecht.
Wer einen Bart trägt, vermittelt automatisch Ernsthaftigkeit - es sei denn man heißt Charlie Chaplin. Als sich der Hochschulabsolvent Matthew Epstein nichts mehr wünschte als einen Job in Googles-Marketing-Abteilung zu bekommen, klebte er sich ein Bärtchen an, zog einen schicken Anzug an und drehte ein Video. "Ich habe einen Schnurrbart - ich verdiene den Job", lautete das Motto des kreativen Filmchens. Millionen gefiel es auf Youtube.
Auch wenn diese Bewerbung ein glaubhaftes Beispiel für Epsteins offensichtliches Verständnis für Virales Marketing war, so dürfte sich der Absolvent auch dank seines Bartes den Weg ins Big Business geebnet haben.
Ein gepflegter Oberlippenbart galt einmal als Insignium für Seriosität und Erfolg. Spätestens seit der Klischee-Gentleman Clark Gable ihn in dem Südstaaten-Epos "Vom Winde verweht" mit einer solchen Selbstverständlichkeit trug, wie er das Herz von Scarlett O'Hara brach. Das Erkennungsmerkmal des spanischen Künstlers Salvador Dalí war sein extravaganter, extrem dünner Bart, den er meist kunstvoll zur Seite zwirbelte oder an den Enden mit weißen Blumen schmückte.
Berühmteste Frau mit Bart ist seit jeher Frida Kahlo. Markenzeichen der mexikanischen Malerin sind auf Selbstbildnissen stets ihre zusammengewachsenen Augenbrauen und ihr Damenbart. Kahlo wollte keinem gängigem Schönheitsideal entsprechen, daher übertrieb sie ihre Körperbehaarung auf Selbstbildnissen sogar. Es ging ihr zeitlebens um Befreiung aus festgefahrenen Rollenklischees und um die Emanzipation der Frau.
Also, machen wir uns nichts vor. Frauen kleben sich den Bart nicht aus modischem Interesse an. Sie heften sich damit nicht nur Haare, sondern auch das Heldentum eines Clark Gable, den Mut einer Frida Kahlo und die Kreativität eines Salvador Dalí an.
Die Frau, die im Job und auch sonst der bessere Mann sein will, möchte auch aussehen wie einer. Und wenn sie abends nach Hause kommt, hängt sie ihn kurzerhand an den Nagel - und ist wieder ganz Frau. Wenn das so einfach wäre.