Süddeutsche Zeitung

Fashionspießer: Motivketten:Anhänger des schlechten Geschmacks

Möchtegern-Militärs tragen eine Hundemarke um den Hals. Wer seiner Liebsten huldigen will, legt sich ihren Namen in goldenen Lettern auf die Brust. Wie seinerzeit Thomas Anders. Hier wird klar: Motivketten gehören nicht ins Schmuckkästchen, sondern verboten. Eine Stilkolumne.

Johanna Bruckner

Wenn jemals eine Frau einen Mann an der Kette hielt, dann war es Nora Balling. 1985 Jahre krallte sich die Blondine mit perfekt manikürten Fingern einen der damals begehrtesten Popstars Deutschlands und brachte ihn dazu, hochnotpeinliche Dinge zu tun. Dass Thomas Anders, die brünette Hälfte von Modern Talking, eine Goldkette mit Noras Namen um den Hals trug, war noch der am wenigsten peinliche Liebesbeweis.

Auf Youtube existiert eine Reportage über das einstige Glamourpaar, die einem die Fremdscham heiß in die Wangen treibt. Auch heute noch. Sie beginnt mit der Heirat von Thomas und Nora, sie mit Hochsteckfrisur, er mit Wallemähne, beide ganz in Weiß - wobei sich dem Betrachter die Vermutung aufdrängt, dass der Modern-Talking-Star selbst gerne die Braut gewesen wäre.

Die Hochzeits- und Homestory endet im Ehebett. Eine halbnackte Nora gibt dem Reporter bereitwillig Auskunft über die Machtverteilung im Hause Balling-Anders. Auch Thomas trägt außer besagtem Schmuckstück nichts am solariumgebräunten Leib. Dafür bei den Äußerungen seiner Angetrauten ein Mienenspiel zur Schau, das auf eine schmerzhafte Erkenntnis schließen lässt: Die Kette um seinen Hals ist zur Schlinge geworden, und er weiß es.

Rote Kirschen und Kussmünder auf Mädchenbrüsten

Man möchte dieses Aufklärungsvideo all jenen ans Herz legen, die in diesen Tagen wahlweise ihre/n Angebetete/n, geheime Berufswünsche und Süchte, oder ihr Lieblingsobst auf der Brust zur Schau tragen. Motivketten sind zurzeit omnipräsent.

Möchtegern-Militärs mit Hundemarken um den Hals bräunen ihren ausgemusterten Astralkörper am Hotelpool. Dass die Erkennungsmarken in der US-Armee vor allem dem Zweck dienen, gefallene Soldaten identifizierbar zu machen - dieser Gedanke ist unter der mallorquinischen Sonne so fern wie die Heimat.

Der Jeton-Anhänger des Barkeepers im Klub zeigt an, dass es ihn nach Dienstschluss nicht ins Bett, sondern in die Spielbank treibt. Und während auf der Brust heranwachsender Mädchen vor gar nicht allzu langer Zeit noch T-Shirt-Sprüche wie "Ich hab auch Augen, du Arsch" prangten (ohne Zweifel ein ebenfalls fragwürdiger Trend), baumeln dort nun rote Kirschen und Kussmünder als Anhänger.

Man kann den jungen Trägerinnen nur wünschen, dass sie nie Alice Schwarzer in der U-Bahn gegenübersitzen. Sie würde die Ketten weiblicher Unterwerfung womöglich mit einem beherzten Griff sprengen. Mit traumatischen Folgen für die feministisch unbedarften Nachwuchs-Fashionistas.

Wobei Thomas Anders einen derartigen Befreiungsschlag möglicherweise zu schätzen gewusst hätte. Wer weiß, vielleicht hätte er für seine Retterin sogar ein "Cherry Cherry Lady" angestimmt.

Begründer des Motivketten-Trends ist im Übrigen nicht der deutsche Sänger. Flavor Flav, Mitglied der legendären amerikanischen Hip-Hop-Formation Public Enemy, trägt bereits seit Anfang der achtziger Jahre stets eine Uhr um den Hals. Eigentlich als Symbol für die Kostbarkeit der Zeit - angesichts der heutigen Anhänger-Auswüchse könnte sie aber auch die Frage stellen: "Tickt ihr noch ganz richtig?"

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