Fashionspießer: Chucks:Rebellen von vorgestern

alte Chucks

Ausgelatscht und trotzdem nicht totzukriegen: Chucks.

(Foto: Zitrusfrucht / photocase.com)

Unbequem, unschön, ausgelatscht: Der x-fach recycelte Chucks-Trend lebt noch immer und verspricht Sex, Drugs and Rock 'n' Roll für den Fußbereich. Mit der Rebellion von einst hat der Schuh dabei längst nichts mehr zu tun. Eine Stilkolumne.

Von Matthias Kohlmaier

Was haben James Dean, Elvis Presley, Sid Vicious und Kurt Cobain gemeinsam? Genau, sie sind allesamt Ikonen ihrer Zeit, stilprägend für ihre Generation, Vorbilder für Millionen und Abermillionen junger Menschen. Und sie sind für einen Trend verantwortlich, der auch heute, bald 19 Jahre nach dem Tod des letzten dieser Protagonisten, einfach nicht verschwinden will: Chucks!

Ein Schuh aus Gummi und Leinen, konstruiert, um binnen kürzester Zeit völlig ausgelatscht an den Füßen des Trägers zu kleben. Ein Schuh, der weder Kälte abhält, noch Schweiß nach draußen lässt - und der schon gar nicht vor Regen schützt. Ein Schuh, gebaut, ach was, zusammengeklebt, in einer Zeit, als der Begriff "Fußbett" noch gar nicht existierte. Kurz: eine schuhgewordene Krankheit für etwa 60 Euro (wenn es denn das Original sein soll).

Umso unverständlicher, dass die Chucks schon fast ein Jahrhundert überdauert haben. 1908 gründet der Amerikaner Marquis Converse die Converse Rubber Shoe Company; sein erstes Produkt: Gummistiefel. Chucks stammen also tatsächlich von den vielleicht unstylischsten Schuhen der Menschheitsgeschichte ab.

Unheilvolle Sagen, rebellische Ikonen

1917 produziert die Firma das erste Paar der Gummi-Leinen-Treter. Was eigentlich als Sportschuh konzipiert ist - und im Basketball auch über Jahrzehnte die bestimmende Fußbekleidung sein sollte - wird irgendwann in den Fünfzigern plötzlich cool. Reihenweise tragen Stars in den folgenden Dekaden Chucks und es entstehen die unheilvollen Sagen um den Schuh, die bis heute an ihm kleben wie ein alter Kaugummi an der Sohle.

Die Musiker der Beach Boys lassen sich in der Öffentlichkeit nie ohne Chucks sehen, Stones-Sänger Mick Jagger trägt die Turnschuhe bei seiner Hochzeit 1971. Kurt Cobain wird der prominenteste Chuck-Träger der Neunziger, ehe er sich am 5. April 1994 erschießt. Der Schuh entwickelt sich so im Laufe der Zeit zum Markenzeichen der Rebellen, der Helden mehrerer Generationen.

Und allein aus diesem Grund - nicht etwa weil sie schön wären, oder bequem, oder praktisch - eben deswegen haben Chucks die Jahrzehnte überdauert. Wann immer es danach aussah, dass die Gummischuhe der Agonie verfallen würden, kam irgendein Musiker/Schauspieler/Künstler daher und spazierte in Chucks über einen roten Teppich.Und die Verkaufszahlen gingen wieder nach oben.

Ein Image zäh wie Kaugummi

Es ist die Nostalgie, die immer noch so viele Chucks auf die Straßen der Welt treibt. Chucks sind ein beliebtes Accessoire des Mittvierzigers geworden, der so ein Stück Jugend zurückkaufen will. Hält die Entwicklung an, verdrängen Chucks irgendwann womöglich sogar den klassischen Midlife-Crisis-Porsche. Wobei: Mit der Kombination von Sportwagen und jugendlich-unbequemen Tretern fühlt man sich vermutlich am "flottesten".

Und warum kaufen Menschen unter 40, die in der Regel um jeden Preis anders aussehen wollen als ihre Eltern, dann überhaupt noch diese Schuhe? Aus den exakt identischen Nostalgie-Gründen - mit dem winzigen Unterschied, dass sie die Zeiten, nach denen sie sich sehnen, nicht selbst erlebt haben. Doch als Symbol für eine verwegene Jugendkultur taugen die Gummi-Leinen-Schlappen immer noch - quasi ein bisschen Sex, Drugs and Rock 'n' Roll für den Fußbereich.

Um dieses Image nicht zu beschädigen, wurde ein Vorgang zu Beginn des laufenden Jahrtausends übrigens ganz heimlich still und leise abgewickelt. 2001 war Converse nämlich pleite! Übernommen wurde die ach so rockig-grungig-punkige Firma zwei Jahre später von: Nike. Der Hersteller also, der seinerzeit mit Luftkissen in den Schuhsohlen dahergekommen war. Wenn Kurt Cobain das wüsste.

Verdientes Jeansjacken-Schicksal

Die Pseudo-Rebellen der Gegenwart haben von der Nike-Übernahme vermutlich keine Ahnung, es wäre ihnen wohl auch egal. Hauptsache den Rebellenschuh am Fuß. Dass es nicht mehr viel mit Rebellion und Einzigartigkeit zu tun hat, wenn Heerscharen von jungen und (vermeintlich) junggeblieben Menschen ihre Individualität durch dasselbe Merkmal zur Schau stellen wollen - darauf scheint noch niemand gekommen zu sein. Frei nach dem Motto: Ihr seid alle so nonkonformistisch, dass jeder in der gleichen Uniform rumläuft.

Bleibt nur zu hoffen, dass der x-fach recycelte Schuh-Trend dereinst nicht mehr befeuert wird und sich die Chucks in den wohlverdienten Ruhestand altgedienter Rebellen-Bekleidung - siehe: Jeansjacken - verabschieden dürfen. Dumm nur, dass Justin Bieber - für die Jugend heute ungefähr so stilprägend wie Elvis Presley das vor 50 Jahren war - auch mit Chucks herumläuft.

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