Süddeutsche Zeitung

Fashion Week:Nur Mut, Jungs!

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Fehlende Designer, abgesagte Shows: Bei der Mailänder Männermodewoche herrscht Lähmung und Ratlosigkeit. Ermenegildo Zegna und Fendi müssen es rausreißen.

Von Dennis Braatz

Wenn sich Kollektionen über spektakuläre Bilder verkaufen, dann müsste diese ein Kassenschlager werden. Für das Debüt seines neuen Designers hat Ermenegildo Zegna mal eben den Bicocca-Hangar klargemacht. Eine 60 Meter breite, 30 Meter hohe und 180 Meter lange Halle, in der Anselm Kiefer seine Dauerinstallation "The Seven heavenly Palaces" zeigt. Sieben bröckelnde Zementtürme, die schief und krumm bis zur Mitte der Hallendecke ragen. Als könnten sie jederzeit zu Boden stürzen und ihre Betrachter erschlagen. Als zwischen ihnen das erste Model in Sakko und Jogginghose auftritt, sieht man die Mode für einen kurzen Moment lang in einem ungewohnten Licht: klein, eingeschüchtert, als ein fragiles Konstrukt.

Das Bild bringt es auf den Punkt, denn in Mailand herrscht Krisenstimmung. Sieben große Marken haben ihre Schauen im Vorfeld storniert. Weil sie ihre Männerkollektion in Zukunft auf den Fashion Weeks der Damen zeigen (Bottega Veneta, Bally, Gucci). Weil gerade mal wieder kein Designer oder kein Geld da ist (Brioni, Cavalli). Weil sie nicht wissen, wie sie mit der Schnelligkeit und den neuen Kommunikationsmitteln der Branche umgehen sollen. Die italienische Modekammer hat die entstandenen Löcher noch mit Newcomern gestopft. Aber vergeblich: Die Stadt, so wird auf den Publikumsrängen getuschelt, fühle sich irgendwie leerer an als sonst, beinahe gespenstisch.

Die Avantgarde sieht man sonst eigentlich bei Prada. Nur diesmal nicht

Ermenegildo Zegna braucht das nicht zu kümmern, der weltgrößte Herrenausstatter für Luxusmode hat seine Krise ausgesessen. Alessandro Sartoris erste Kollektion besteht aus federleichten Teddyanzüge, papierdünnen Lederjacken, Kaschmirsakkos mit gesteppten Seidenärmeln, immer wieder Sneakers und Jogginghosen.

Eine Mischung aus Sport- und Businessmode war zu erwarten, weil selbst der klassische Mann immer seltener Anzug trägt. Nicht aber, dass die Einzelteile so stark miteinander kombinierbar sein würden. Die Anzughose zum Hoodie, das Sakko unterm Mantel und zu Nylonpants - alles geht. Sartori definiert eine leicht verständliche, aber effektive Herrengarderobe; erstmals in der Geschichte des Traditionshauses kann man 15 Looks gleich online bestellen.

Die Avantgarde sieht man in Mailand bekanntlich woanders, vor allem bei Miuccia Prada. Was sie entwirft, schmückt eine Saison später die Laufstege der anderen. So war das mit den Brikett-Sohlen, den offenen Säumen, und so ist es auch mit den steifen Nylonpants aus der letzten Kollektion: Man sieht sie überall. Frei nach diesem Gesetz dürften dann in der nächsten Saison alle Designer Cord machen. Braune Cordanzüge, Blousonjacken mit breiten Cordbündchen und Cordmäntel - Prada zeigt sie zu Leder und Wolle rauf und runter.

Ganz schön raffiniert: Dolce & Gabbana holen die Internet-Stars auf den Laufsteg

Berührungsängste mit dem Softie-Stoff der Siebziger hin oder her: Wirklich spektakulär sehen die Outfits nicht aus. Zumindest nicht nach Pradas Maßstäben. "Mein Gefühl sagte mir, vom ganz Großen zum Kleinen gehen zu müssen", erklärt die Designerin nach der Show. Deshalb wurde auch auf aufwendige Show-Deko verzichtet. Prada-Kollektionen sind eigentlich nicht auf den ersten Blick schön, diese ist es. Sie ist tragbarer und einfacher als sonst, leider auch weniger intellektuell.

Das Gros der italienischen Modemacher serviert für den kommenden Herbst und Winter textilen Durchschnitt. Viel Sportswear, Steppwesten und -jacken (MSGM), immer noch die Kreuzung von Glamour und Grunge (Dsquared2) oder mal wieder Bomber- und Daunenjacken (No. 21).

Wenn Designer sich so einmütig zurückhalten, wird das in den Kritiken gern mit unsicheren Zeiten begründet. Mode als Ruhepol, sozusagen. Und Terroranschläge, Flüchtlingsströme sowie Donald Trump sind wahrlich kein gutes Omen für 2017. Noch auf der Londoner Männermodewoche haben das die Designer ganz offen thematisiert. Mit riesigen Kampf- und Outdooranzügen, als wollten sie ihre Kunden für einen nahenden Krieg ausstatten. In Mailand: nichts davon.

Die Ausnahme ist der Amerikaner Jeremy Scott, der für Moschino designt. Er zeigt Militärrucksäcke, Barrette, Armeestiefel, Cargopants, kombiniert sie zu bunten Pelzen und Blumenmustern und macht sogar vor Abendkleidern nicht halt: Fallschirmgurte und -westen werden einfach drübergeschnallt. "Wir müssen für alles kämpfen, woran wir glauben", sagt Scott. Tragbarkeit der Entwürfe? Gleich null. Dafür hat ihre Aussage der Stimmung gut getan. Mehr davon!

Zwei, die ebenfalls Mut beweisen, sind Dolce & Gabbana. In ihren Shows haben sich die Influencer immer weiter nach vorn gearbeitet. Influencer sind Leute, die in den sozialen Medien so unanständig viele Follower haben, dass sie von Modefirmen zur Produktplatzierung genutzt werden. Zuletzt verdrängten Cameron Dallas (17,5 Millionen Abonnenten auf Instagram) oder die Deutsche Caro Daur (880 000 Abonnenten) sogar Dolce & Gabbanas Stammgäste in der Front Row.

Prominenter geht's nicht? Oh, doch. Diesmal sind die Netz-Stars auf den Laufsteg vorgerückt, ein paar Dutzend von ihnen präsentieren die Kollektion. Das Thema: Prinzen. Also Kronendrucke, Brokatanzüge und eine Menge Samt. Der Laufstil der Influencer muss als unbeholfen bezeichnet werden, aber das macht die Show sympathisch.

Raffiniert ist, dass auch ein paar Sprösslinge von Dolce& Gabbanas Couture-Klientel mitlaufen dürfen. Die Kollektion selbst mag kein Geniestreich sein, ihre Inszenierung aber schon: Über die Selfie-schießenden Instagram-Helden werden nicht nur Millionen potenzieller Neukunden erreicht, sondern hier werden gleichzeitig auch die kaufkräftigsten Kunden überhaupt gebauchpinselt. Gefällt nicht jedem im Publikum, klar. Aber in unsicheren Zeiten zählt der Umsatz, und der ist hier vielversprechend.

Völlig offen ist dagegen die Zukunft bei Marni. Gründerin und Branchen-Darling Consuelo Castiglioni hat das Haus im Oktober verlassen. Weil schon am Tag ihres Abgangs der Nachfolger bekannt gegeben wurde, ist davon auszugehen, dass sie geschubst wurde. Keine gute Ausgangslage für den Neuen: Francesco Risso, aus dem Kreativteam von Prada. Sein Debüt startet gut, mit der typischen Marni-Mischung aus Jugendlichkeit und Erwachsensein: weite Wollhosen (immer noch ein Riesentrend), dazu ein giftgrün karierter Mantel. Dann wird es allerdings clownesk: Pelzquadrate sitzen auf Ärmeln, den Models hängen außerdem bunte Pelzperücken ins Gesicht. Clownesk war Marni nie.

Unterm Strich sind es Tage voller Fragezeichen in Mailand. All die leeren Posten: Wer entwirft nächste Saison für Roberto Cavalli, wer für Brioni? Entwirft da überhaupt noch mal jemand? Wer sind die Beiden, die jetzt bald bei Jil Sander übernehmen sollen? Und Hand aufs Herz: Wenn nach Gucci und Bottega Veneta noch mehr große Designer ihre Männer- in die Frauenlinie integrieren oder ihre Show auf die Vorlieben der Instagram-Gemeinde zuschneiden - wie viel Sinn hat so eine Männermodewoche dann überhaupt noch? In der Branche weiß auf diese Fragen keiner eine Antwort. Und die Ratlosigkeit scheint es diesmal bis auf den Laufsteg geschafft zu haben.

Am letzten Abend glaubt man eigentlich nicht mehr daran, dass ein Designer hier noch eine Kollektion abliefern wird, die einen aus den Latschen haut. Und dann kommt Fendi. Zu Disco-Beats zeigt Silvia Venturini Fendi eine Neuinterpretation der Sportswear aus den Achtziger- und Neunzigerjahren. Sie mischt Trainingsjacken und Skisweater mit Animalprints und kombiniert sie mit leuchtenden Rucksäcken, Badeschlappen, Shoppern und Stirnbändern in sattesten Farben. Darauf stehen Motti wie: "Love", "Think", "Try" oder einfach nur "Fantastic". Der Optimismus und die Energie der Kollektion rast sofort in die Gäste. Beim Rausgehen sagen es ihre Blicke: Das war jetzt mal was. Etwas, das in Mailand sehr gefehlt hat.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2017
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