Süddeutsche Zeitung

Fashion Week in Mailand:Armani zieht schließlich die Reißleine

Lesezeit: 5 min

In Mailand war die Modewelt erst noch in Ordnung. Vielen italienischen Marken geht es hervorragend. Aber dann kam alles anders.

Von Silke Wichert

Für die hübschen Coffee Table Books der Mode ist das natürlich nichts, aber in den richtigen Geschichtsbüchern kann man gleich mal ein paar Seiten frei räumen für diese seltsame Mailänder Modewoche aus dem Februar des Jahres 2020. Fiebermessen am Flughafen, eine mysteriöse Pressekonferenz bei Prada, ein durchgeknallter Hase bei Marni, Giorgio Armani als Geistershow ohne Publikum - an das, was da vergangenen Sonntag zu Ende ging, wird man sich noch lange erinnern.

Dabei war eigentlich der folgende, auch nicht uninteressante Plot vorgesehen gewesen: Mailand, die alte Dame unter den Fashion Weeks, über die noch vor ein paar Jahren offen gelästert wurde, weil sie zu lahm, zu langweilig, ohne frisches Blut sei, hat sich plötzlich wieder berappelt. Gucci ist unter Alessandro Michele zur fantastischen Wundertüte geworden, Miuccia Prada wieder in Hochform, Fendi auch ohne Lagerfeld relevant, Bottega Veneta mit dem gerade mal 34-jährigen Daniel Lee zum Kassenschlager durchgestartet.

Marke der Stunde: Bottega Veneta läuft unter dem neuen Designer Daniel Lee sensationell gut.

Irgendwas im Mailänder Wasser? Fransen tauchten in jeder Form auf, hier als Goldketten von Paul Andrew für Salvatore Ferragamo.

Haute Bohemian: Etro, wie es die Fans der Marke lieben.

Marni zeigte verstörend gutes Patchwork.

Das nächste neue Tod's: Der Mailänder Designer Walter Chiapponi arbeitete zuvor längere Zeit bei Bottega Veneta.

Und Miuccia Prada schlitzt die Röcke so hoch, dass Beinfreiheit eine völlig neue Bedeutung bekommt.

Colville gehört zu den wenigen neuen Labels auf dem Mailänder Kalender. Die Handschrift ist eindeutig die der ehemaligen Marni-Designerin Molly Molloy und der früheren Vogue-Modechefin Lucinda Chambers.

Geometrie für Fortgeschrittene: Angela Missoni verwebt die hauseigene DNA in unendliche Varianten.

Wenn mit China gerade kein Staat zu machen ist - welches Land hat Donatella Versace hier offensichtlich im Auge?

Und obwohl oder gerade weil überall der technologische Fortschritt Einzug hält, lässt sich in der Mode eine Rückkehr zum aufwendigen Handwerk beobachten. Da liegt "made in Italy" immer noch ganz weit vorn. Marken wie Brunello Cuccinelli melden also eines der besten Ergebnisse ihrer Firmengeschichte, Etro läuft konstant geschmeidig, Salvatore Ferragamo auch wieder besser. Mag Paris die ewige Hauptstadt der Mode sein - Mailand bleibt dran!

Entsprechend ambitioniert ging es gleich los: Bei Gucci platzten die irritierten Gäste mitten in den Make-up-Bereich hinein, wo die Models vor der Show geschminkt und frisiert werden. Kein Versehen natürlich, aus Backstage war kurzerhand "Frontstage" gemacht worden, um den Leuten einen ganz besonderen Empfang zu bereiten. Die Mode gibt sich so nahbar wie nie zuvor. Alles, was früher hermetisch abgeriegelt wurde, wird nun auf dem Präsentierteller serviert, weil "teilen" (oder irgendwie teilhaben) im Social-Media-Zeitalter nun mal alles ist.

Schon die Einladung zum Defilee war von Designer Alessandro Michele "persönlich" gekommen, per Massen-Whatsapp mit Sprachnachricht und Foto. Einigen soll vor Schreck das Telefon aus der Hand gefallen sein, als ihnen vermeintlich der Maestro selbst schrieb.

Der ewige Takt der Mode: Bei Gucci thront ein Metronom aus Neonröhren über allem

Ähnlich intim wurde auch die eigentliche Show inszeniert: in der Mitte eine runde, sich drehende Bühne hinter Glas. Als der Vorhang fällt, kann das Publikum live miterleben, wie die Models von den Mitarbeitern des Ateliers die neue Herbstkollektion angezogen bekommen. Über allem thront ein riesiges Metronom aus Neonröhren - der ewige Takt der Mode, ein nie enden wollendes Ritual aus Entwerfen und Präsentieren, wie Michele hinterher erklärt. Im "echten" Backstage-Bereich laufen den Mitarbeitern vor Stolz die Tränen über die Wangen. So viel Leidenschaft gleich am ersten Tag - das zumindest gibt es nur in Italien.

Die Kleider gehen bei alldem ein bisschen unter, was nicht so schlimm ist, weil Gucci vor allem über ein Lebensgefühl verkauft, in das man vorzugsweise mit Taschen und Schuhen schlüpft. Wo vergangene Saison noch "der neue Minimalismus" von Alessandro Michele konstatiert wurde, steht nun wieder ausgelassener, eklektischer Maximalismus wie gehabt, nur diesmal mit vielen weißen Kommunionskragen.

Und natürlich sind auch die meisten anderen Kollektionen in Mailand nicht wirklich überraschend, aber eben verlässlich gut gemacht: Max Mara zeigt lange Ponchos und Mäntel mit tief überschnittenen Schultern, Silvia Fendi setzt auf starke Schulterpartien mit voluminösen Ärmeln, die irgendwie an Gorilla-Arme erinnern, dazu gibt es so sexy Kleider (sogar an üppigeren Models) wie selten. Der neue Designer von Tod's, Walter Chiapponi, hat noch nicht die endgültige Lösung für die Marke gefunden, aber ein paar erste gute Looks im maskulinen Stil von Ali MacGraw.

In diesem Fahrwasser fallen besonders gute Kollektion logischerweise besonders auf. Nach einer detailverliebten und trotzdem durchweg runden Präsentation von Lucie und Luke Meier für Jil Sander stürmt eine der wichtigsten amerikanischen Einkäuferinnen auf das Ehepaar zu und japst: "Das wollen wir alles tragen!" Die Models laufen in langen Woll- oder fließenden Seidenkleidern durch eine weiße Halle, voluminöse Plissees und zarte Seidenrüschen fließen wie Schaumkronen unter maskulinen Blazern und Mänteln hervor. Dann setzen sie sich auf Stühle, weil die Meiers ihre Entwürfe in Stillstand und Bewegung zeigen wollten. Einerseits sind wir heutzutage ja festgenagelt an unseren Schreibtischen, andererseits so viel unterwegs wie selten, die Welt mehr in Bewegung denn je. Denken deshalb so gut wie alle Designer gerade an wehende Fransen?

Neben Jil Sander auch bei Ferragamo, Bottega Veneta - überall Fäden, Stränge, Tentakel. Bei Prada hängen sogar an den Schuhen Ketten, die an diese italienischen Fliegengitter erinnern, die Röcke unter den taillierten Power-Blazern sind bis zum Schritt wie mit dem Reißwolf geschlitzt.

Da wusste man noch nicht, dass einen Tag später die halbe Lombardei unter Quarantäne gesetzt würde, Journalisten wie Einkäufer ihre Flüge vorverlegen, um bloß schnell aus Mailand herauszukommen. Im Zeichen des Coronavirus kriegt dieser Fransen-Trend unfreiwillig noch eine andere Note: Der Mode stehen harte Einschnitte bevor, in jeder Hinsicht.

Die große Ausnahme in Mailand ist Marni, eigentlich passt der Sarde Francesco Risso nicht so richtig hierher, weil er mit seinen Ideen gerne dahin geht, wo es weh tut. Diesmal in das Kaninchenloch von "Alice im Wunderland", ein psychedelischer Horror- wie Erweckungstrip - und genau so sieht die Kollektion dann auch aus: Patchwork-Kleider und -Mäntel aus alten und auf alt getrimmten Lederfetzen, zerflossenes Metall, kostbarer Brokat von Webstühlen, die angeblich noch von Leonardo da Vinci entworfen wurden. Risso sucht einen Ausweg aus der Falle, in der die Modeindustrie steckt. Er sieht sie im Wiederverwerten, Bewahren, Neuzusammensetzen, am Ende rennt der 37-Jährige mit weißem Hasenkopf über den Laufsteg.

Aufgebockte Bikerstiefel mit engem Lederschaft werden wohl bald überall zu sehen sein

Bequem ist das Ergebnis freilich nicht, genauso wenig wie die arg tief liegenden, durchgesessenen Sitzpolster, aus der die Gäste wie Anna Wintour nur schwer wieder hochkommen. Der größtmögliche Kontrast zur rosa Sofalandschaft bei Fendi. Aber was wollen die Leute am Ende wirklich? Die ständig geforderte Kreativität, die auch mal dahin geht, wo es weh tut? Oder die gefällige, zeitlose Eleganz, die sich verkauft?

Das Modevolk will gerade vor allem Bottega Veneta. Gefühlt die Hälfte des Publikums trägt bereits die geflochtenen Sandalen oder schweren Boots der Marke, nächsten Herbst dürften, jede Wette, die aufgebockten Bikerstiefel mit engem Lederschaft in die Schuhschränke wandern. Daniel Lee kam bekanntlich von Celine, vor allem stammt er aber aus Bradford im englischen Norden. Nicht das typische Pflaster für Schöngeister, deshalb sind seine Entwürfe nie ganz aalglatt, eher sperrig-cool. Nicht alles davon funktioniert auch abseits des Laufstegs, aber die Mäntel mit einzelnem Goldknopf-Detail, die Neunzigerjahre-Glitzerkleider, Flechttaschen mit kleinen Schellen oder Clutches, die an buntes Baiser aus der Spritzpistole erinnern, dürften den Massengeschmack treffen.

Vielleicht sind es aber auch die Schaffell-Nappaleder-Taschen mit diesen langen Tentakeln, die wir bald überall sehen werden. Schon die knapp 2000-Euro-Pouch aus Lees erster Kollektion wurde zur bisher meistverkauften Bottega-Tasche, weil die Leute sich so gern an diesem butterweichen Ding festhielten. Womöglich sind Knuddel-Rettungsringe genau das, was wir im Augenblick brauchen.

Kurz danach an diesem Freitagnachmittag geht das eigentliche Script von Mailand endgültig den Bach runter. Prada verschickt eine mysteriöse Mail an ausgewählte Journalisten zu einer geheimen Pressekonferenz am nächsten Tag und stiehlt mit den damit entfachten Spekulationen der Konkurrenz die Show. Verkauft Miuccia wie die Gerüchteküche sagt? Oder holt sie wirklich Raf Simons ins Boot? Mamma mia, wann war in Mailand zuletzt so viel los!

Am Ende wird es bekanntlich Letzteres: Simons und Prada machen in Zukunft gemeinsame Sache. Bei Boss, die fast gleichzeitig zur Pressekonferenz am nächsten Tag ihre Kollektion präsentieren, sitzen Orlando Bloom und Cara Delevingne, aber kaum Zeitungsjournalisten.

Bei Giorgio Armani, dem Krankheitsphobiker, gab es eine Geistershow vor leeren Rängen

Das Timing von Prada, irgendwie rätselhaft. Zum Grübeln bleibt dann keine Zeit, weil es nun den zweiten Corona-Toten in Italien gibt und Giorgio Armani deshalb die Reißleine zieht. Armani, 85, bekennender Krankheitsphobiker, hatte sich die ganze Modewoche über tapfer durchgerungen. Seine Emporio-Armani-Show präsentiert, persönlich den frisch renovierten 1200-Quadratmeter-Laden eröffnet, sogar in die Menschenmenge zum Gianna-Nannini-Konzert in seinem Club hatte er sich gewagt. Aber was zu viel ist, ist zu viel.

Beim Finale der Fashion Week laufen die Models durch das abgedunkelte Armani-Theater um einen künstlichen Lotusblütenteich. Im Livestream sieht alles wie immer aus, aber die dunklen Ränge sind in Wirklichkeit leer. Eine Geistershow. Ohne Viren, aber auch ohne Emotionen. Hoffentlich nicht das Schauenmodell der Zukunft.

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Quelle:
SZ vom 29.02.2020
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