Süddeutsche Zeitung

Fashion Week:Lauter Mannsbilder

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Bei der Modewoche in Mailand schwanken die großen Marken zwischen kindlicher Romantik und maskuliner Tatkraft.

Von Dennis Braatz

Am zweiten Nachmittag der Mailänder Modewoche ereignet sich in der Viale Umbria eine verrückte Szene: Statt hundert schwarzer Limousinen, mit denen sich die Modeleute von Termin zu Termin bewegen, belagern auf einmal Tausende Zahnspangen-Teenies den Eingang zur Show von Calvin Klein Collection. Sie kreischen nicht, sie schreien, halten Smartphones in die Luft. Für die Gäste bahnen eiserne Balustraden den Weg durch die Masse. Frage an den überforderten Security-Mann: Welcher Star kommt denn? "Cameron Dallas." Sie meinen die Schauspielerin Diaz? "Nein, den aus dem Internet." Drinnen kennt ihn niemand, weshalb es angenehm ruhig bleibt, als der junge Mann in der ersten Reihe Platz nimmt. Dafür weiß Google, dass Cameron Dallas 21 Jahre alt ist und auf der Onlineplattform Vine mit Kurzfilmen berühmt wurde, in denen er seine Freunde reinlegt. Auf Instagram hat er 9,6 Millionen Follower, sein Selfie mit der Bildunterschrift "I like pizza" über 720 000 Likes. Dass an diesem süßen Milchbubi nun breitschultrige Models in derben Jeansjacken und aufgepumpten Bomberjacken vorbeigehen - so richtig passt das nicht zusammen.

Es ist gleichzeitig die Szene, die wohl am besten beschreibt, worum es in Mailand ging. Für die nächste Wintersaison präsentierten die Designer dort völlig unterschiedliche Männerbilder, vom androgynen Jüngling bis zum Muskelprotz. Das mag zunächst gar nicht so spektakulär wirken, sondern viel mehr nach moderner Vielfalt aussehen (was es auch durchaus ist). Allerdings sah vor einem halben Jahr noch alles anders aus. Nachdem der neue Gucci-Designer Alessandro Michele mit Spitzenhemden und Schluppenblusen den Boykott der Geschlechtergrenzen gefordert hatte, sprangen auch die anderen Häuser mit auf den Gender-Zug auf, wenn auch dezenter. Vor allem liefern sie nun das Gegenteil. Bei Dolce & Gabbana ist aus der bunten Peacock- eine Western-Kollektion geworden, zusammengestellt aus schweren Boots, weiten Fellmänteln und Colt- und Kaktus-Prints. Der Laufsteg ist eine Schotterpiste mit kleinen vertrockneten Pflanzen. Versaces orientalische Longtops vom letzten Mal? Vergessen. Stattdessen wird ein Ausflug ins All unternommen, mit Mänteln im Hightech-Look und Lammfelljacken und Hosen, die so silbrig wie die Isolationsfolie von Satelliten glänzen.

Manche Designer kümmern sich um den klassischen Mann, manche um den Exzentriker und ein paar nur ums eigene Image

Cowboys (auch bei Antonio Marras und Etro) und Astronauten sind furchtlose Abenteurer, aber keine geschlechtslosen Wesen. Den ein oder anderen Gast erinnern diese Helden vielleicht an die eigene Kindheit. Womit gleich in doppelter Hinsicht ein bisschen Wehmut aufkommt: Was nämlich ihr Dasein in der Mode betrifft, so sind sie gelernt und schon öfters da gewesen, so stimmig und ironisch wie die Kollektionen auch aufgebaut sind.

Anders ist das bei Alessandro Michele. Seine Gender-Idee hält er konsequent aufrecht, mit Mänteln, die vor Blumenmustern nur so explodieren, handgelenklangen Ärmeln und gerüschten Krägen. Neu ist das Denim, das so kunstvoll mit Schmetterlingen und Blumenranken bestickt ist, dass man gar nicht an seinen Verkaufspreis denken mag, ein Snoopy-Shirt und die vielen Inka-Mützen mit Zöpfen. Da ist eine Lederjacke mit "BOWIE"-Schriftzug, Sakkos mit Fransen, einem Samtanzug mit asiatischer Stickerei folgt ein doppelreihiges Sakko mit Pailletten-Fisch folgt ein seidener Pyjama mit Grafik-Druck. So gleicht kein Outfit dem nächsten, und so kann es sich eigentlich kein Gast erlauben, zwischendurch mal aufs Handy zu schauen (wie sonst üblich). 58 Looks dauert dieser Wahnsinn. Und er ist perfekt.

Gucci ist vielleicht nichts mehr für Männer, die gern als Astronaut oder Cowboy die Welt erobern würden. Aber es ist für Jungs, die hinter all seiner Opulenz vor ihr in Deckung gehen möchten. Viel gefühlsbetonter und sensibler. In einem Interview nach der Show sagt Michele: "Es gibt viele Stereotypen in der italienischen Mode, in Häusern wie Gucci. Aber wir haben mehr zu bieten, als die Leute glauben. Klar, das Archiv habe ich immer im Kopf, aber ich will nicht in der Vergangenheit gefangen sein." Wie gut das funktioniert, zeigen die Verkaufszahlen, die mit seinem Start steil nach oben gegangen sind.

Bei Prada sind sie zuletzt gefallen. Die nächste Kollektion könnte das wieder ändern, das Haus hat die stärkste von allen gezeigt. Ganz einfach deshalb, weil sie beide Männerbilder, also das alte und das neue, das harte und das zarte, miteinander verbindet. Die Models verkörpern Matrosen, mit Kappen, Seemannskrägen, doppelreihigen Mänteln und Jacken und weiten Capes. Es gibt weite Hosen und Hemden mit Motiven des Künstlers Christophe Chemin, die mal historische Krieger und mal Einhörner zeigen, oder ein Paar, dass sich küsst, als ob es sich nach langer Zeit endlich wiedersehen würde. Das wirkt mal entschlossen klar, dann wieder mystisch schön und sehnsuchtsvoll - und wird vom hölzernen Setting aus Balkonen, Geländern und flackernden Glühbirnen unterstützt (Vorbild: die Zeiten der spanischen Inquisition). Natürlich klingt das jetzt alles verrückt und von allem zu viel. Aber Mode ist immer erst dann richtig gut, wenn jemand alles in einen Topf wirft. Und so kommt es, dass am Ende, als "Where the Wild Roses Grow" von Nick Cave und Kylie Minogue eingespielt wird, selbst ein paar gestandenen Männern im Publikum ein paar Tränen in die Augen schießen.

Miuccia Prada ist eine Designern, deren Arbeit schon immer ganz konkret von der Welt um sie herum beeinflusst wurde. Backstage gibt sie zu der neuen Kollektion entsprechende Stichworte: "Zuwanderung, Hungersnöte, Anschläge, Pessimismus." Eine Pessimistin wolle sie aber nicht sein. Sie ist in Mailand diejenige, die das aktuelle Zeitgeschehen stilistisch und inhaltlich am besten getroffen hat. Auf ihre Stichwörter haben in Mailand übrigens viele lange gewartet.

Noch ein paar Tage zuvor haben die Designer der Londoner Männermodewoche mit ihren Kollektionen nämlich ganz direkt und trotzig auf die bedrückende Weltlage reagiert. In Mailand blieben diese klaren Botschaften größtenteils aus. Die Helden von Dolce & Gabbana und Versace, oder Gucci, das vor Schnelligkeit und Einflüssen nur so platzte, können im Vergleich nur als leise Reaktionen wahrgenommen werden.

Immerhin einen gab es noch, der so laut brüllte, wie er nur konnte: Thom Browne. Der Amerikaner entwirft für Moncler Gamme Bleu, den Luxus-Ableger des französischstämmigen Jackenherstellers. Letzte Saison schickte er noch College Boys in Pastellfarben mit Fischerhüten vors Publikum. Dieses Mal war jeder einzelne Look der Kollektion komplett in grauem Camouflage gehalten, darauf rote, weiße und blaue Tupfen, also in den Nationalfarben Frankreichs. Die Models hat er mit Sturmhauben unkenntlich gemacht. Selbst ihre Gesichter dahinter sind im Tarnmuster bemalt, dazu wird klassische Musik gespielt. Anstatt einfach vom Laufsteg abzutreten, setzen sie sich aufgereiht in einen Kasten aus Milchglas. Es regnet Tricolore-Konfetti. Ende der Show. Entsetzen im Publikum, das nun am Kasten vorbei muss: "Was soll das heißen? Dass wir trotz der Anschläge in Paris weitermachen müssen? Dass die Terroristen jetzt unter uns sind? Das wissen wir längst!"

Stimmt. Trotzdem lieferte Thom Browne einen nicht unwichtigen Beitrag zu den Mailänder Schauen. Seine Mode ist sicherlich nichts für den klassischen Mann, aber auch nichts für den Exzentriker. Sie dient allein dem Image. Und auch das gehört nun mal bei Modewochen dazu. Gesucht werden nicht nur neue Trends, sondern auch neue Adressaten, an die man sie in Zukunft richten kann. Manche Marken beherrschen dieses Spiel mittlerweile so clever, dass es auf den ersten Blick gar nicht mehr auffällt. Zwar kannte niemand aus der Mode Cameron Dallas , dafür sagt jetzt Calvin Klein Collection garantiert Millionen Teenies etwas.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2016
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