Süddeutsche Zeitung

Fashion Week:Läuft doch!

Gucci zündet ein Deko-Feuerwerk, Dolce & Gabbana geben ein opulentes Dinner und Marni zeigt einfach nur gute Mode. Die Mailänder Trends im Überblick.

Von Dennis Braatz

Die Ausgangslage

Mailands größter Laufsteg liegt in der Via Valtellina 7. Dort eröffnet Gucci seit ein paar Saisons in einer stillgelegten Fabrikhalle die Modewoche. Davor stöckeln und posieren zum Takt klickender Streetstyle-Kameras auf der 200 Meter langen Pflasterauffahrt die meisten Influencer. Wer mit ihnen bislang nichts zu tun haben wollte, lief Slalom um sie herum. Dieses Mal aber ist es so voll, dass ein Tunnelblick kaum noch hilft. Sally Singer von vogue.com ist von dem Betrieb so genervt, dass sie folgende Sätze ins Netz schreibt: "Es ist ein schizophrener Moment und das kann nicht gut sein. (Notiz an die Blogger, die sich dafür bezahlen lassen, dass sie stündlich andere Designeroutfits tragen: Hört auf damit. Sucht euch einen anderen Job. Ihr seid die Vorboten vom Tod des Stils.)" So einfach ist das aber nicht. Die Ikonen der sozialen Medien und ihr schnelles Publizieren gehören gerade zur Mode, wie einst der Fächer zu Karl Lagerfeld.

Die neue und die alte Welt, sie sind in Mailand so heftig aufeinandergetroffen wie schon lange nicht mehr. Müssen Kollektionen schon am Tag nach der Schau ausgeliefert werden, wenn ihre Fotos längst durchs Netz gegangen sind? Wie zeitgemäß sind Schauen überhaupt noch, vor allem, wenn sich die meisten Leute nur für den Zirkus davor interessieren? Gucci kann es egal sein. Alessandro Micheles Kollektionen verkaufen sich an alle Meinungsmacher gleich gut, und beim Kunden da draußen sowieso immer rekordverdächtiger. Auch nächsten Sommer: Mit Achtzigerjahre-Schultern und -Ärmeln, Pailletten, Leggings und Sohlen so dick wie Briketts. Michele schafft die größte Schnittmenge an Trends, seinen Deko-Wahnsinn entwickelt er weiter, zum Beispiel schnallt er Nieten-Epauletten auf einen Abendmantel. Wo das stilistisch enden soll, weiß niemand. Aber seine Mode macht Spaß, wie schon lange keine mehr zuvor.

Das Dinner

Noch mehr Unterhaltung können in dieser Saison nur Dolce & Gabbana bieten. Die beiden haben zuletzt mit Prinzessinnen, Zitronen und Sizilien ein Traumbild von Italien geschaffen. Nun reißen sie es ein. Die Models tragen Leuchtkronen und -schuhe ("Tabacchi"), Hotelschlappen mit D&G-Logo und Kleider mit Nudelprints. Auf einem T-Shirt steht "Docce & Gabinetti", übersetzt: Duschen und Toiletten. Dolce & Gabbana gehören aktuell zu den meistkopierten Marken der Welt. Die T-Shirts (es gibt auch "Dolce & Gabbaba") sind eine Anspielung darauf. Während andere Designer das Thema totschweigen, erheben es die beiden Designer zu Stil. Nicht umsonst macht sich Stefano Gabbana gern mal auf seinem Instagram-Account über solche Fälschungen lustig. Am Ende der Show versucht eine Horde Tänzer aus Neapel das Publikum zu animieren. Vielen Kritikern ist das alles zu sehr Jahrmarkt. Die "Millennials", wie Dolce & Gabbana ihre Gäste in der ersten Reihe nennen, also Instagram-Größen wie Cameron Dallas (15,7 Millionen Follower), aber tanzen mit. Am Abend sitzen 400 Menschen in Mailands teuerster Einkaufstraße, der abgeriegelten Via Montenapoleone, an einem Dinnertisch unter freiem Himmel. Der neue Store soll gefeiert werden. Dass dabei alle auch auf die beleuchteten Schaufenster von Prada, Hermès und Co. schauen, wäre früher undenkbar gewesen. Genauso, dass nach dem Champagner auf Silbertabletts Pommes mit Ketchup und Mayo serviert werden. Bravissimo!

Der Geburtstag

Bei Bottega Veneta geht natürlich alles viel gesitteter zu. 50 Jahre wird die Marke alt, 15 Jahre davon ist Tomas Maier der Kreativdirektor. Gefeiert wird mit einer Show, bei der erstmals Herren und Frauen gleichzeitig gezeigt werden, in neuer Location, nämlich der Accademia di Brera. Die Mode bleibt wie gehabt: zeitlos, still, voller Handwerk, schön. Zum ausgestellten Denimrock kombiniert Maier transparenten Strick. Applaus gibt es vor allem für Lauren Hutton, die als Model mitläuft. Die weinrote Clutch, die sie unterm Arm hält, ist eine Neuauflage jener, die sie 1980 im Film "American Gigolo" trug. Beim großen Schlussdefilee läuft Hutton (72) Arm in Arm mit Gigi Hadid (21), dem derzeit erfolgreichsten Model. Das Publikum hält die Handykameras auf das Duo, bald flutet das Bild durchs Netz. Bottega Veneta hat das, was man in der Branche einen "Instagram-Moment" nennt (siehe auch Naomi Campbell für Versace).

Die Kehrtwende

Kein Designer hat sich in den letzten Saisons so konsequent mit dem aktuellen Weltgeschehen beschäftigt wie Miuccia Prada. Sogar Stichwörter wie Migration und Anschläge nannte sie zeitweise. Wer die Fortsetzung erwartet, wird enttäuscht. Prada schaut lieber wieder zurück auf die Neunzigerjahre, jene Dekade, die gerade ein Supercomeback erlebt und in der sie aus einem einfachen Nylon-Rucksack ein Must-Have machte. Daran erinnern die ersten techno-inspirierten Looks der Kollektion. Später sitzen asymmetrische Federborten auf Röcken und asiatischen Anzügen. Die Zwanziger- und Dreißigerjahre sind Pradas weitere Vorlieben. Dazu läuft ein Zusammenschnitt von David O. Russells Kurzfilm "Past Forward". Er zeigt Frauen in sich wiederholenden Sequenzen, wie sie sich erschrecken, fliehen, aber irgendwie nicht weiterkommen. Passt!

Die stärkste Kollektion

Am vorletzten Tag der Modewoche glaubt man schon nicht mehr daran, dass sich ein Designer damit auseinandersetzt, was Frauen in ihrem Leben wirklich brauchen. Aber dann kommt Marni. Consuelo Castiglionis Plissé-Kleider sind nicht einfach nur die, die Issey Miyake schon mal gemacht hat (wie bei Jil Sander). Sie sind völlig eigen, legen sich asymmetrisch und luftig um den Körper. Castiglioni bringt beutelartige Taschen an Hosen und Jacken an oder schnallt sie als Stoffgürtel um die Hüfte. Das wirkt wie ein Abgesang auf die Handtasche, sozusagen die letzte Geißel der Frau auf dem Weg in die Freiheit. Sie muss heute die Hände frei haben, denn sie ist auf dem Sprung. Ihr Körper ist nicht eingeschnürt und wirkt trotzdem anziehend. Wie Funktionalität superweiblich aussehen kann, müsste eigentlich das Thema dieser Modewoche sein.

Die Deutschen

Für die deutsche Modepresse ist Mailand seit jeher die wichtigste Stadt. Die meisten Luxuslabels, die in Deutschland eigene Shops betreiben, kommen aus Italien. Wieso also nicht mal unsere Nachwuchsdesigner mitbringen? Das FCG (German Fashion Council) hat es zum ersten Mal gemacht. Präsentiert werden Nobi Talai, Marina Hoermanseder und William Fan, dessen leichte Oversize-Entwürfe am meisten versprechen, weil sie sich perfekt der Bewegung des weiblichen Körpers anpassen. Christiane Arp, FCG-Präsidentin und Chefin der deutschen Vogue, sagt: "Natürlich wollen wir unsere Talente international bekannt machen. Aber wir wollen hier auch noch mehr internationales Interesse für Berlin wecken." Die italienische Vogue und Elle waren da, sogar der Präsident der hiesigen Modekammer. Ein guter Anfang.

Die Zukunft

Auch für Diego Della Valle läuft es. Obwohl der Tod's-Chef in dieser Saison ohne Designer dasteht. Die Kollektion wurde vom Team gestaltet, ist klassisch, aber gut, weil sie nicht vorgibt, fashion zu sein. Und weil Della Valle den Laufsteg gestrichen hat, stattdessen veranstaltet er jetzt ein "Happening". An mehreren Stationen werden Entwürfe gezeigt, mal mit Models, mal mit Tänzerinnen, mal allein. "Die etablierten Redakteure wollen die Kollektion sehen und wieder gehen. Die jungen Leute wollen bleiben und Fotos für Social Media machen", erklärt er. Der Raum ist so voll, dass mal wieder kein Durchkommen ist. Aber auch für dieses Problem hat er schon die Lösung. Schon das nächste Mal wird das Happening in der großen Riva Calzoni stattfinden, Mailands ehemaliger Turbinenfabrik.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2016
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