Fashion Week:Die italienische Oper

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Schlicht war gestern: Für den kommenden Winter zeigen die Mailänder Designer bis auf wenige Ausnahmen lieber Protz, Pelz und Pantoletten. Die Modewoche in neun Akten.

Von Dennis Braatz

1. Renzis Botschaft

"Italy has come back!", Italien ist zurück. Gleich am ersten Tag der Mailänder Modewoche, zuletzt im Vergleich mit Paris und London etwas abgeschlagen, ist das schon mal ein selbstbewusster, wenn auch grammatikalisch leicht zweifelhafter Satz. Vor allem vom Premierminister höchstpersönlich. Matteo Renzi schmettert ihn beim Lunch Journalisten entgegen, umringt von den Modegrößen Giorgio Armani, Donatella Versace, Renzo Rossi, Patrizio Bertelli und den Valentino-Designern, die ihre Kollektion streng genommen erst diese Woche auf der Messe in Paris zeigen. Egal, so zwischen Hummer und Salat ist das trotzdem ein starkes Bild. Für Italien ist die Mode das, was für Deutschland die Autoindustrie ist. Und Renzi hat für sein Land so viel Fortschritt wie kaum ein anderer vor ihm bewirkt. Doch viel wichtiger als seine Gesetze zum Kündigungsschutz oder zur Senatsreform ist für die Modewelt der Coup, den er am zweiten Tag der Modewoche verkündet: dass er seinen Kampf für die Homo-Ehe notfalls mit der Vertrauensfrage verknüpfen will. Seitdem brüstet sich die Mode sehr gerne mit ihrem Premier.

2. Der Hype geht (noch) weiter

Keine Regeln, keine Orientierung, stattdessen das blanke Chaos: Was Italien lange war, hat Alessandro Michele für Gucci zu seinem Design-Prinzip erklärt. Dieses Mal hat er es "rhizomatisch" genannt. Der Begriff, der aus der Pflanzenwelt stammt, beschreibt ursprünglich wirre Wurzelgeflechte - bekannt gemacht haben ihn die französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari. Bei Gucci heißt das: auf Seventies-Pelze folgen Renaissance-Roben, Biker-Jacken, Brokat-Mäntel, und Smokings. Immer wieder Nerd-Brillen. Die Kollektion vereint die wichtigsten Trends der Saison: die lange Länge (gilt für Mäntel, Röcke Kleider und endlose Schals), Strumpfhosen als Fashion-Statement und natürlich Produkte, die bis kurz vorm Overkill hoch dekoriert sind - und denen man sofort ansieht, wer sie gemacht hat. Mit diesen in Modemagazinen und -metropolen omnipräsenten Pelz-Puschen, Männer-Schluppenblusen, Bienen-Drucken und Tiger-Stickereien hat Michele für Gucci gerade das umsatzstärkste Quartal der letzten drei Jahre eingefahren. Mittlerweile setzt deswegen halb Mailand auf sein Prinzip, zum Beispiel auch Dsquared2 (Samurais, Military und das viktorianische Zeitalter), oder No. 21. (viel Grunge, ein bisschen Romantik und Los Angeles). Genau hier liegt die Gefahr: Es droht Übersättigung, nach gerade mal etwas mehr als einem Jahr, das Michele im Amt ist. Aber wer keine Regeln kennt, kann ja rein theoretisch auch schon bald wieder etwas völlig anderes machen.

3. Der wahre Luxus

Bei allem Protz und Pomp auf den Laufstegen gibt es zwei Kollektionen für den nächsten Herbst, die für Frauen Oasen der Ruhe sein werden. Erstens Jil Sander, weil hier hauptsächlich mit Schwarz und Weiß gearbeitet wird und die Blazer und Mäntel so präzise geschnitten sind, dass Designer Rodolfo Paglialunga glatt auf Schmuck verzichten kann. Zweitens Bottega Veneta, wo Tomas Maier so viel Detail- und Handwerksversessenheit besitzt, dass seine extrem leichten Strickkleider und so gut wie nahtlosen Lederpatchworks die höchste Form des Luxus definieren. "Sie sind eine private experience", sagt er. "Du musst sie spüren und fühlen, nur sehen reicht nicht. Erst dann begreifst du, warum ein gut gemachtes Produkt Zeit braucht." Das klingt jetzt natürlich ein bisschen so, als wolle Maier einen bekehren. Während nämlich gerade viele Designer immer mehr Produkte auf den Markt werfen und das gängige Modesystem angreifen, indem sie alles neuerdings schon direkt nach der Show über den Online-Shop ausliefern wollen, bleibt bei Bottega Veneta (und dem darüber wachenden Kering-Konzern) vorerst alles beim Alten. Und Maier hat ja recht: "Wer viel Geld ausgeben will, macht das auf lange Sicht nur für etwas, das auch lange hält. Alles andere macht keinen Sinn."

4. Designer zum Anfassen

Interessant ist, dass sich in dieser Saison viele Modemacher überraschend volksnah geben. Bei Fendi flitzt Karl Lagerfeld mal eben gemeinsam mit allen Gästen durch den Haupteingang. Rodolfo Paglialunga gibt am Tag nach der Show zur Kollektionssichtung persönlich die Hand. Aber das ist natürlich alles nichts gegen den Schwarm Peter Dundas. Er hat seine zweite Kollektion für Roberto Cavalli gezeigt, die jetzt doch wieder mehr bohemian als urban ist. Zur Präsentation der jüngeren und rockigeren Zweitlinie Just Cavalli bedient er das Publikum hinter der Bar selbst, und zwar nicht fürs Pressefoto, sondern zwei Stunden lang. So manch ein Groupie bleibt da auf dem Trockenen, weil sie (oder er) sich einfach nicht an den blond gelockten Norweger rantraut. Diese Scheu ist natürlich übertrieben, schon weil Dundas wahrscheinlich auch nur ein Mensch ist und erst letzte Saison in seiner Wohnung eine Party schmiss, über die heute noch alle reden. Dieses Mal aber ging das nicht, weil der Designer zur Oscar-Verleihung jetten musste. Wie auch Alessandro Michele, den man am Vorabend beim Dinner am Nebentisch erleben konnte.

5. Die Ausnahme-Kollektion

Nur eine Designerin lässt die echte Welt mal wieder bis auf den Laufsteg: Miuccia Prada. Schon zur Show ihrer Herrenkollektion im Januar lieferte sie folgende Stichworte: "Zuwanderung, Hungersnöte, Anschläge". Diese Themen werden mit der Frauenlinie nun weitergeführt, gut zu erkennen am ähnlichen Matrosen-Styling. Es gibt abgewetzte Lederjacken, Brokatröcke, Pelzcapes und die schönsten Strumpfhosen der Saison, mit Rauten und ohne Rock oder Kleid darüber gestylt. "Die Geschichte der Frau, unterschiedliche Momente, unterschiedliche Dramen", sagt die Designerin nach der Show etwas allumfassend. Bei den Taschen, klimpernden Schlüsseln und Büchern an den Gürtelschlaufen und Hälsen der Models, denken viele Gäste konkreter: Diese Frauen tragen die wichtigsten Dinge eng am Körper; ihre Erinnerungen. Sie sind unterwegs, haben noch viel Weg vor oder schon hinter sich. Prada nennt sie "Vagabunden". Auf ihren Röcken stehen Schriftzüge: "Germinal", "Nivôse" oder "Vendémiaire". Es sind die Monatsnamen aus dem Französischen Revolutionskalender. Ob das jetzt eine Analogie zur heutigen Zeit sein soll, ob überhaupt und wenn ja, sich die Mode oder die Welt gerade neu ordnet, muss jeder selbst interpretieren. Wichtig ist, dass Miuccia Prada sich solche Gedankenspiele überhaupt traut. Dass der Laufsteg nicht nur dem Verkauf von Kleidung dient.

6. Einmal Prinzessin sein?

In dunklen Zeiten gibt es natürlich auch immer Designer, die den textilen Euphemismus leben. Schon Dolce & Gabbanas Einladung kündigt ein Modemärchen an. "Jedes Mädchen will heute eine Prinzessin sein", erklärt Stefano Gabbana bei der Preview. Jetzt bitte also einmal alle tagträumen: von spiegelglatten Marmorböden, Glitzerkleidern mit Katzen und Mäusen darauf, Mänteln mit pinken XXL-Rosenapplikationen, Krönchen und Diademen. Wer noch kann, summt im Hintergrund Sias Show-Soundtrack mit ("Unstoppable - I'm a Porsche with no brakes"). Moderne Frauenbilder sehen anders aus. Für Dolce & Gabbana ist Mode aber eben vor allem etwas, das die Kundin unterhalten soll - und ihre Kundinnen sind in den vergangenen Jahren stetig mehr geworden.

7. Der Schuh der Saison

Am Ende macht das Rennen um den meist beachteten Schuh immerhin auch eine Cinderella-Pantolette, im Fashion-Vokabular übrigens "Mule" genannt. Verziert bis zur Sohle mit Volantsbändern aus Satin und einer kleinen Schleife auf der Rückseite des Absatzes. Das Rokoko lässt hier grüßen und natürlich auch Prada, wo Volants schon vor ein paar Jahren auf Schuhen saßen. Aber da denkt während der Show von Marco de Vincenzo, dem größtem Talent unter Italiens Nachwuchsdesignern, erst mal niemand dran. Er zeigt die Mules zu wadenlangen Printhosen, dicken Strickmänteln und Maxiröcken. Die echte (und zugegeben modebegeisterte) Frau da draußen würde vielleicht eher einen schwarzen Bleistiftrock oder eine blaue Jeans mit weißem Herrenhemd dazu tragen. Aber sie will diesen Schuh! Das hört man selbst Tage nach der Show immer wieder.

8. Der Fell-Wahnsinn

Ob die echte Frau all den Pelz und Persianer will? Zumindest fragt man sich das als westeuropäischer Gast dieser Modewoche, in Zeiten von Veganismus und ethischem Konsum. Es gibt Mäntel zu sehen, quietschbunt, naturbelassen oder so zottelig, dass die Models darin wirken wie Leonardo DiCaprio in "The Renevant". Es gibt aber auch Nerzstreifen als Minihut (Antonio Marras), Nerzstreifen als Kette (Fendi) und Nerz-Einkaufstüten (Blumarine). Die Betreiber der Showrooms bestätigen, dass sich so etwas hierzulande nicht mehr gut verkaufen lässt. Dafür lief so etwas aber schon immer bestens in China und Russland, wo die Märkte eingebrochen sind und man nun auf die sichere Bank setzen will. Was die Ketten und Minihüte angeht, suchen viele PR-Manager Schutz bei dem Argument von der möglichen Verwertung von Pelzabfällen, die man sonst ja weggeworfen hätte. Tatsächlich ist Recycling ein immer größeres Thema. Man kann es aber trotzdem wie der Sitznachbar in Blumarines Frontrow sehen, als ein Model mit kuscheligen Zehnzentimeterhacken vorbei läuft: "Also, für einen Absatz sollte wirklich kein Fuchs sterben."

9. Der Dauerregen

Die fremden Felle wären in Mailand eh jedem davongeschwommen. Drei Tage lang hat es am Ende ohne Pause geschüttet. Das beschwört nicht nur den Müffelgeruch feuchter Vintage-Kleider auf den dicht gedrängten Publikumsrängen herauf, sondern auch ein idiotisches Bild, nämlich das der hemmungslosen Streetstyle-Industrie. Bei windigen sieben Grad Celsius haben sich ihre Ikonen wie Anna Dello Russo klatschnass, aber dafür im Mini und mit Sonnenbrille ablichten lassen. Auf diese Weise haben sie den gesamten Verkehr aufgehalten und andere Kollegen im Regen stehen lassen. Hauptsache, man landet irgendwo auf Instagram. Das Unwetter, es hätte der Moment sein können, in dem sich die Branche endlich mal wieder geschlossen auf das konzentriert, was drinnen auf dem Laufsteg passiert.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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