Fashion Week:Berliner Beiläufigkeit

Neue Macher, internationale Labels, coole Locations: Endlich regt sich wieder was in der Modeszene an der Spree. Macht sich die Hauptstadt auf den Weg zur Mode-Kapitale?

Von Anne Goebel, Jan Kedves und Verena Mayer

Berliner Fashion Week - Damir Doma

Große Welt im Berghain: Mit der Schau von Damir Doma in Club-Atmosphäre haben die Veranstalter der Fashion Week einen Designer mit klangvollem Namen nach Berlin geholt.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Die Berliner Fashion Week ist vorbei - und jetzt geht's richtig los, nämlich bei den großen, echten Schauen in Paris, Mailand, New York. Dieses Gefälle galt jahrelang. Aber jetzt gibt es ein paar Anzeichen, dass sich Berlin tatsächlich auf den Weg zur Mode-Kapitale macht. Ein Überblick.

Shows

17. Januar 2018, 21 Uhr, Friedrichshain: Der Beginn einer neuen Ära? So wünscht sich das an diesem Abend wahrscheinlich jeder, dem etwas am langersehnten Berliner Mode-Neustart liegt (wenn schon der Flughafen lahmt). Damir Doma zeigt im Berliner Club Berghain, das ist doch mal eine schön griffige Tatsache und kein Wolkenkuckucksheim. Ein international erfolgreicher Designer, aufgewachsen in Deutschland, der seine Entwürfe sonst alla grande in Milano oder Paris präsentiert - und jetzt die Heimkehr. Der gebürtige Kroate schickt die Models in seinen gewohnt androgynen Looks auf den Laufsteg, viel Cord und Strick in warmen Farben, Kleider wie Schutzhüllen gegen eine kalte Zeit. Jubel im Publikum, die Frage ist: Lässt sich das Format halten, kommt im Sommer der nächste große Name? Zweitschönste Show in Berlin: Odeeh. Das Duo Otto Drögsler und Jörg Ehrlich zeigt eine sehr virtuose Mischung aus Nonchalance und weiblicher Silhouette, die Gäste belohnen es mit beifälligen Bestell-ich-Blicken. Eine stilsichere Bank für straßentaugliche Eleganz ist auch Dorothee Schumacher (diesmal viel Schwarz, feminin gegürteter Stepp). Schließlich noch Lala Berlin mit einer Textil-Kunst-Performance rund um einen seidenen Pyjama. So schreitet, tänzelt und feiert die Berliner Modefamilie durch vier Januartage. Und hofft auf einen üppig blühenden Juli.

Shops

Shopping in Berlin war lange eine eher knausrige Angelegenheit, weil man das wenige Geld, das man hatte, lieber am Wochenende im Club ausgab. Mit dem Einfall der betuchten Internationals, die sich gern auch gleich mal eine Wohnung im neuen Townhouse kaufen, ist ein Markt für Läden wie "The Corner" (am Gendarmenmarkt) oder "The Store" (im Soho House) entstanden, in denen man den teuren internationalen Standard bekommt: Balenciaga, Vetements, Loewe, etc. Man kann das ruhig schon ein bisschen zu saturiert finden. Und stattdessen zu Andreas Murkudis gehen, der Berliner Institution, die immer wieder neue Labels entdeckt und fördert. Den Designer Lutz Huelle gibt es dort schon seit Jahren, auch Kolor aus Japan. Oder man geht in Läden, die sich noch etwas von dieser speziellen Berliner Mischung aus Anti und Indie bewahrt haben: Das "Neue Schwarz" zum Beispiel, der sensationell gut sortierte Second-Hand-Laden in der Mulackstraße. Der Amerikaner David hat früher in New York bei Donna Karan gearbeitet und frönt hier seiner Liebe zu Vintage-Teilen von Helmut Lang, Comme des Garçons oder Walter van Beirendonck. Gleich nebenan: Sal Bazaar, der Shop von Andra Dumitrascu, die mit strengem Blick eine fortschrittliche Mischung aus Lemaire, Eckhaus Latta und Wendy & Jim verkauft. Ihr eigenes Label, Dumitrascu, gibt es dort auch. Ästhetisch spielt es auf internationalem Niveau. Weswegen Dumitrascu es nicht in Berlin zeigt, sondern in Paris.

Macher

Deutschland braucht Nachhilfe, um endlich zu begreifen, wie wichtig Mode ist: Das ist ein Stereotyp über unseren Aufholbedarf, ein bisschen überholt, aber etwas Wahres steckt noch drin. Folglich häuft sich bei den Machern der Fashion Week PR-Fachpersonal - Leute, die Ideen zu verkaufen wissen. Mit Marie-Louise Berg steht eine Agenturchefin an der Spitze des Fashion Council, dem Lobbyverein mit neuer Schlüsselrolle in der Hauptstadt-Mode. Quasi über dem Gremium schwebt die Präsidentin, Vogue-Chefin Christiane Arp, und mit ihr die Strahlkraft und finanzielle Potenz des Condé-Nast-Verlags. Als Geschäftsführerin der Premium-Messe ist Anita Tillmann die zweitwichtigste deutsche Modefrau. Und der Berliner Senat unterstützt die Modebranche artig mit einem jährlichen Budget von bis zu einer Million Euro. Bei Marcus Kurz, Gründer der Eventagentur Nowadays, laufen alle Nachhilfe- Fäden zusammen - er trägt Siegelring und ist Deutschlands stets dreitagebärtiger Mode-Hans-Dampf.

Medien

Vergessen wir mal für einen Moment, dass die bekanntesten Berliner Mode-Blogger Dandy Diary eigentlich gar keine Mode-Blogger sind, sondern zwei durchgeknallte und durchaus gewitzte Typen, die die Modeszene als Spielplatz für ihren Humor und Aktionismus betrachten. Gerade haben David Kurt Karl Roth und Carl Jakob Haupt den skandalösen "Coolest Monkey In The Jungle"-Pulli nachproduziert, der H&M Rassismus-Vorwürfe eingebracht hat. Mit ihm wollen sie, wie sie sagen, die Diskussion um Ethik und Rassismus in der Mode am Laufen halten. In Berlin macht man mit so etwas Welle. Wobei sich die Bedeutung einer Mode-Metropole eher an der internationalen Reichweite ihrer Medien misst. Und da schneiden zwei andere besser ab: Das Printmagazin 032c von Joerg Koch ist mit seinem Mix aus Fashion und Intellekt zum globalen Hipster-Standard geworden. Außerdem gibt es noch Highsnobiety, das von David Fischer gegründete Online-Magazin für gehobenen Streetstyle und Sneakers. Die Website beschäftigt 80 Mitarbeiter in der Berliner Zentrale und in der Außenstelle New York, zählt neun Millionen Zugriffe pro Monat und konnte sich gerade 8,5 Millionen Dollar Venture-Kapital aus London sichern. Proper. Highsnobiety und 032c sind im Gegensatz zu Dandy Diary selbstredend: englischsprachig.

Locations

In den Zwanzigerjahren war Berlin eine Stadt voller "Flappers": Schmalen Mädchen mit Bubikopf, mondän und lasziv, man fand sie in Nachtlokalen oder Lady-Clubs - jedenfalls eher in der Halbwelt als im Konfektions-Warenhaus. Es passt also gut, dass sich die Mode in Berlin auch heute gern an Schattenorten inszeniert. Schauen in pittoresk abgerockten Industrieruinen, einer DDR-Kaufhalle, einem Eisstadion mit Sechzigerjahre-Charme gab es während der Fashion Week immer mal wieder. Nur wollte das halt nicht zusammengehen mit dem B-Promi-Aufmarsch vor dem Zelt des Hauptsponsors Mercedes-Benz, das erleuchtet wie eine Jahrmarktsbude am Brandenburger Tor thronte. Jetzt bekommt die Landkarte der Locations langsam Kontur, natürlich so rau wie ein Stück Berliner Mauer. Die Stuttgarter Autobauer haben das Zentralquartier ins E-Werk verlegt (Betonwände!), als der Laufsteg etabliert sich gerade die Halle am Berghain (Techno-Tempel!), selbst Großunternehmen zeigen ihre Entwürfe neuerdings in U-Bahnhöfen (Graffiti!). Berlin arbeitet endlich an der unverzichtbaren Grundzutat jeder Modekarriere: einer eigenen DNA.

Marken

Es gibt zwei Arten von interessanten Modelabels in Berlin: Solche, die der fleißigen Teilnahme an der Fashion Week ihre Bekanntheit zu einem guten Teil verdanken - und solche, die geflissentlich jede Verbindung zum halbjährlichen Spektakel in der Hauptstadt vermeiden. Das gehypte Modekollektiv GmbH zeigt seine Street- und Workwear lieber in Paris. Und hinter der Zeichenfolge 032.c verbirgt sich nicht bloß ein Magazin, sondern neuerdings auch eine ultracoole Kollektion aus Kreuzberg: Lederne Beutelhosen, ein Jogginganzug mit barockem Kupferstich-Print - das gefällt Instagramern weltweit, Premiere war bei der Messe Pitti Uomo in Florenz. Auf der anderen Seite stehen Berliner Gewächse wie Perret-Schaad, Marina Hoermanseder oder William Fan, die mit der Fashion Week erwachsen geworden sind. Ihre Gemeinsamkeit: tragbare Entwürfe. Schließlich müssen die Geschäfte laufen. Irgendwas-mit-Mode, das reicht nicht mehr.

Street Style - Berlin Fashion Week January 2018

Ein Paar im Postsowjet-Schick auf Tour durch die Hauptstadt.

(Foto: Getty)

Coolness

Während in Paris oder Mailand bei jeder Modewoche die halbe Stadt vibriert, ist auf Berlins Straßen alles wie immer. Die Leute gehen maximal unbeeindruckt ihres Weges. Nur einmal kommt während der jüngsten Fashion Week Euphorie auf: Als die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) Adidas-Sneakers mit U-Bahnsitz-Muster, die man gleichzeitig als Jahreskarte verwenden kann, in zwei Läden bringt. Hunderte stehen tagelang dafür Schlange. Andererseits ist Berlins öffentlicher Raum seit jeher die beste Adresse, um Trends und Talente aufzuspüren. Und so wundert man sich nicht, als in der S-Bahn eine wunderschöne junge Frau mit schwarzen Braids von einer Dame mit Aktenmappe angesprochen wird. Sie habe ein so tolles Gesicht, sagt die Dame, ob sie "noch Kapazitäten" habe? Gerade als man zu überlegen beginnt, um welche Model-Agentur es wohl geht, kommt sie zur Sache: Sie sucht auf Minijob-Basis eine Babysitterin. An seinem Ruf als Casting-Metropole muss Berlin noch arbeiten.

Botschaften

Die interessantesten Dinge findet man oft dort, wo man sie nicht erwartet. Auf den T-Shirts des Künstlers Isaiah Lopaz etwa, der vor elf Jahren von Los Angeles nach Berlin zog. Er hat alle Sätze, die er als Afroamerikaner täglich zu hören bekommt, auf T-Shirts gedruckt. "Where do you really come from?", steht da, der Klassiker des Alltagsrassismus. Oder "Where do we get drugs?", denn oft wird Lopaz wegen seiner Hautfarbe für einen Drogendealer gehalten. Lopaz spielt mit dem ungebrochenen Trend, T-Shirts mit Statements oder Logos zu bedrucken. Seine Botschaft ist eindeutig: Berlin ist leider nicht immer die weltoffene Stadt, als die es sich auf der Welt gerne abfeiern lässt. Auch das Label People Design greift auf, was auf Berlins Straßen passiert: Die beiden jungen Designerinnen Ayleen Meissner und Eva Sichelstiel produzieren zusammen mit Straßenkindern Mode. Die Jugendlichen bringen ihre Erfahrungen und Sehnsüchte ein und setzen sie in Design um - jeder Entwurf spiegelt einen Lebensentwurf. Gerade haben sie ihre dritte Kollektion herausgebracht, die 2018 in Temporary Stores verkauft werden soll. Und Skateistan, eine Initiative für Skateboards und -parks in Afghanistan mit Hauptsitz in Berlin, verkauft Hoodies und Schals für einen guten Zweck.

Streetstyle

Dass man in der Hauptstadt schon als Influencer gilt, wenn man zur schwarzen Jogginghose rote Adiletten trägt, ist natürlich eines dieser Berlin-Klischees. Nicht nur, weil die Leute inzwischen Plateauschuhe, postsowjetisch aussehendes Militärzeug und Fetischartiges auf eine Weise stylen, bei der man nie weiß, ob das ironisch ist oder noch original aus den Neunzigerjahren. Sondern auch, weil der aktuelle Schick der Hauptstadt, den man mit "Berliner Brutalismus" umschreiben könnte, längst auf den globalen Laufstegen angekommen ist. So lässt sich Demna Gvasalia bei seinen Arbeiten für Vetements und Balenciaga von der Szene inspirieren, die in Clubs wie dem Berghain unterwegs ist oder auf den "Herrensauna"-Partys im Tresor. Auch personell gibt es Berührungspunkte. Leute aus dem Berliner Nachtleben laufen für Vetements über den Runway.

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