Fashion Week Berlin:Die größte Herausforderung für die Visagistin: ein Model mit Pickeln

Lena Hoschek Backstage - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin A/W 2017

Backstage bei Lena Hoschek

(Foto: Getty Images for Lena Hoschek)

Vorne Glamour, hinten Impro-Theater: Drei Stunden hat ein Designer, um seine Show auf der Fashion Week vorzubereiten. Ein Nachmittag hinter den Kulissen.

Von Felicitas Kock, Berlin

So muss ein Backstage-Eingang aussehen: ein unscheinbares Tor, ein grauer Innenhof, Holzplatten, die jemand über den löchrigen Boden gelegt hat. Durch ein dunkles Treppenhaus geht es zwei Stockwerke nach oben, dann steht man hinter den Kulissen des großen Fashion-Week-Laufstegs.

Ein paar junge Frauen in Jeans und T-Shirt sitzen im Flur auf zwei Bänken und reden leise miteinander. Die sogenannten Dresser, hauptsächlich Modestudentinnen, helfen den Models beim Anziehen. Maike aus Paderborn wird später am Boden kauern und einer Blondine die Schuhe zubinden, die sich in ihrem Outfit nicht mehr bücken darf. Kein besonders glamouröser Job. Trotzdem ist die Studentin glücklich, weil sie die Kleider aus der Nähe sieht - und dabei vielleicht sogar etwas lernt.

Die Designerin Dorothee Schumacher hat die Fashion Week am Vormittag eröffnet. In dem Backstage-Raum, in dem ihr Team gerade noch zusammengepackt hat, macht sich jetzt die Entourage der Österreicherin Lena Hoschek breit. Um 15 Uhr ist Showtime. Drei Stunden werden jedem Designer für die Vorbereitung zugestanden.

"Das geht, wir haben ja alles durchgeplant", sagt Hoscheks Chefdesigner, Thomas Kirchgrabner. Welches Model welchen Look trägt, Make-Up, Haare, Musik und Laufsteg-Deko stehen seit mindestens einer Woche fest. Trotzdem geht unmittelbar vor der Show oft etwas schief. "Du denkst, alles passt, und dann platzt plötzlich ein Reißverschluss", sagt Kirchgrabner, "oder ein Rock sitzt am Model auf einmal nicht mehr richtig." Tatsächlich flickt hinter den Kulissen immer jemand noch schnell etwas zusammen, näht ein paar Pailletten an ein Kleid oder befestigt eine abstehende Borte am Kragen.

Noch während Kirchgrabner erzählt, bricht hinter ihm Hektik aus. Kleiderstangen werden hereingeschoben. Pinke Felljacken, hellblaue Kleider, Glitzerschuhe in Plastiktüten. "Das ist alles durcheinander", stellt eine Frau im blauen Paillettenblouson fest. Die Dame ist Chefdresserin bei Lena Hoschek und hat jetzt keine Zeit mehr für Gespräche mit Journalisten. Mit einer Kollegin beginnt sie, das Durcheinander zu sichten. Nebenan stehen, zunehmend von Kleiderstangen eingekeilt, vier Leute um ein Bügelbrett und eine Bügelmaschine und glätten die Falten aus der edlen Garderobe, die durch den Transport hineingeraten sind.

Anschließend werden die Looks - also die kompletten Outfits inklusive Accessoires und Schuhen - verteilt. Jedes Model bekommt eine Kleiderstange, einen Stuhl und einen Dresser zugewiesen - und einen halben Quadratmeter Platz zum Umziehen. Ein Pappschild mit Fotos gibt vor, wie Kleider, Jacken, Stolas, Socken und Schuhe getragen werden. Beim ersten Outfit können sich die Dresser noch an die Designer wenden. Wenn sich die Models für die zweite Laufsteg-Runde umziehen, ist keine Zeit mehr für Fragen.

Lena Hoschek Backstage - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin A/W 2017

Wer ist schon frisiert, wer muss noch in die Maske? Model-Checkliste bei Lena Hoschek.

(Foto: Getty Images for Lena Hoschek)

Für Thomas Kirchgrabner und seine Chefin Lena Hoschek ist es die stressigste Phase der Show. Der Chefdesigner hilft bei schwierigen Outfits, großen Roben oder Kleidern mit vielen Haken. Hoschek selbst steht am Ausgang und überprüft alle Looks, bevor die Models auf den Laufsteg treten.

Bis es soweit ist, bleibt an diesem Nachmittag noch viel zu tun. Eine Probe steht an, ein letzter Soundcheck. Zwei Stunden vor der Show sitzen die Models in der Maske. Wie geschminkt und frisiert werden soll, haben die Designer in der vergangenen Woche mit den Make-Up- und Coiffeur-Chefs abgesprochen. Diese weisen jetzt vor jeder Show ihre Teams ein. Wie sind die Haare zu föhnen und hochzustecken? Wie lang soll der Lidstrich sein, wie dunkel der Lippenstift, wohin gehört der Goldstaub?

Modezirkus unter erschwerten Bedingungen

Lauren Wright versteht kein Wort und guckt deshalb besonders aufmerksam. Die Britin ist unter den 18 Visagisten die einzige, die kein Deutsch spricht. In London begleitet sie Fotoshootings für Mode- und Beautymagazine. In Berlin feiert sie Fashion-Week-Premiere und ist dankbar für die netten Kollegen, die für sie übersetzen und ihr unauffällig das richtige Make-Up zustecken, wenn sie mal nicht weiter weiß.

Auf Wrights Stuhl verbringen die Models zwischen zehn und 25 Minuten - je nachdem, wie aufwendig der Look sein soll und ob die Damen zuvor schon bei einer anderen Show im Einsatz waren. Dann muss Wright erst einmal abschminken. In Stress geraten ist die Londonerin bislang nicht. "Die Models hatten alle wirklich gute Haut, dann geht es etwas schneller", sagt sie. Wenn ein Model viele Pickel habe, der Designer sich aber ein leichtes, transparentes Make-Up wünsche, sei das oft die größte Herausforderung.

Im Bild: Modemenschen bei der Arbeit. Make-Up Artist Lauren Wright (oben), Hoschek-Chefdesigner Thomas Kirchgrabner (links) und Friseur Ralf Suchomel (rechtes Foto, ganz links)

Eine weitere Herausforderung ist zweifellos die Enge, mit der die Visagisten zurechtkommen müssen. Sie arbeiten in einer langen Reihe im hinteren Teil des Raums. Gegenüber haben die Friseure ihre Arbeitsplätze aufgebaut, in der Mitte bleibt nur ein schmaler Gang, in dem sich Kollegen, Models und Fotografen drängen.

In dieser Saison arbeiten die Teams unter erschwerten Bedingungen. Nach vielen Jahren im großen Zelt am Brandenburger Tor ist die Fashion Week in ein ehemaliges Kaufhaus in Berlin Mitte gezogen. Für die Besucher ist das durchaus angenehm, das Foyer ist groß und luftig, es gibt mehr Sitzgelegenheiten als früher. Nur im Bereich um den Laufsteg ist weniger Platz. Die Designer müssen die Zahl der Akkreditierungen für ihre Show deutlich beschränken. Für die kleinen mag das gut sein, weil keine Sitzreihen leer bleiben. Für die großen ist es schwierig.

Noch schmaler bemessen ist der Platz hinter der Pressspan-Fassade, die den Glamour des Laufstegs von der Hektik hinter den Kulissen trennt. Natürlich müsse man sich erst an die neue Umgebung gewöhnen, sagt Ralf Suchomel. Der Dresdner Hairstylist gehört zum 20. Mal in Berlin zum Friseur-Team. In seiner Heimatstadt bestimmt er über die Frisuren der Debütanten beim Semperopernball, bei der Fashion Week arbeitet Suchomel in einem Team mit fast 30 Leuten.

Bis das Haar sitzt, kann es bis zu 25 Minuten dauern. Wenn das Model sich dann umzieht, schaut Suchomel lieber nicht mehr so genau hin. Zu oft hat er gesehen, wie seine Meisterwerke ramponiert wurden. Bei Hoschek kann das heute nicht passieren. Die Haare werden eng am Kopf festgesteckt, dann kommt ein Netz darüber - und schließlich eine schwarze Perücke mit Pony.

Wenn er über die neue Location spricht, zuckt Suchomel mit den Schultern. Sei eben alles sehr berlinerisch hier. Das hört man häufig in diesen Tagen auf der Fashion Week. Die Leute verdrehen die Augen über die unverputzten Wände, den engen Raum, die teils chaotischen Abläufe. Gleichzeitig schwingt Bewunderung mit für eine Stadt, in der so vieles improvisiert wirkt. Gute Improvisation ist schließlich eine Kunst - das zeigt sich hinter den Kulissen der Fashion Week jeden Tag.

Wenn das letzte Model den Laufsteg verlassen hat, dringt der Applaus nach hinten in den Backstage-Bereich, wo schon die nächsten Models in der Maske sitzen. Das ist die Belohnung. Dann wird zusammengeräumt.

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