Süddeutsche Zeitung

Fashion Week:Aus dem Nähkästchen

Die Londoner Modewoche beschäftigt sich neben Satin, Spitze und Kristall auch mit Kaufverzicht, mit der britischen Gesellschaft und den "Spice Girls" - nur der Brexit ist "so last season".

Von Silke Wichert

Womöglich auch eine Form von britischem Humor: Den Vorschlag, Nähen und Flicken verstärkt an Schulen zu unterrichten, um den Appetit auf immer neue Klamotten zu drosseln, just dann zu platzieren, wenn im eigenen Land die Fashion Week läuft. Wenn also gerade haufenweise neue Kleider über den Laufsteg gejagt werden, die Fotos davon um die Welt gehen und Begehrlichkeiten nach "neuen Looks" wecken. Die Initiative starteten britische Abgeordnete am vergangenen Dienstag, dem letzten Tag der Londoner Modewoche. Frei nach dem auf der Insel während des Zweiten Weltkriegs propagierten Motto "make do and mend" ("aus Alt mach Neu") sollten Kinder "den Spaß am Nähen" entdecken und Kleidung wieder mehr zu schätzen lernen. Denn kein anderes europäisches Land shoppt so hemmungslos wie die Briten, 1,1 Millionen Tonnen Klamotten allein 2016, ein Großteil davon landet kurze Zeit später auf der Müllhalde.

Natürlich zielt die Idee vor allem auf Fast Fashion ab, das schnelle Konsumieren von Trends bei Topshop oder Zara, aber auch die Luxusindustrie hat in der Vergangenheit bekanntlich heimlich und massenhaft ihre zu viel produzierten Klamotten verbrannt. Insgesamt müsste weniger konsumiert werden, und irgendwo muss man ja anfangen - also warum nicht den Teenagern schon mal zeigen, wie man das Loch, das man gerade kunstvoll in die Jeans gerissen hat, irgendwann wieder eigenhändig zunäht?

Vivienne Westwood, die Grande Dame des Punk, geht die ganze Sache erwartungsgemäß etwas radikaler an. Sie predigt schon seit Jahren "Kauft weniger!" Ihre Modenschau drei Tage zuvor in einer alten Kirche in Westminster entpuppte sich als Protest-Performance im Zeichen der bevorstehenden Apokalypse. Rose McGowan, Greenpeace-Chef John Sauven, Aktivisten und Schauspieler riefen zwischen den Models dazu auf, das "Rotten Financial System" zu zerstören, den Regenwald zu retten und keinen "Scheiß" mehr zu kaufen. "Wenn wir jetzt nichts tun, ist es zu spät!", sagte Westwood und tanzte zum Finale schief singend über den Laufsteg. Einer der rührendsten, nachdenklichsten Momente der Fashion Week, aber leider nicht lange "talk of town".

Das war dann doch eher die Party von Victoria Beckham, die sie am Sonntagabend anlässlich ihres neuen Youtube-Channels gab. Nein, das ist kein herkömmlicher Shopping-Kanal, sondern ein direkter Draht in die Welt von "VB", mit privaten Einblicken und Beauty-Tutorials, denn Beckham designt jetzt nicht nur, eine eigene Kosmetiklinie ist ebenfalls in Arbeit. Sicher wird man auf Youtube bald auch nachschauen können, was die Gäste in Mark's Club live erlebten: Ein Minikonzert der Spice Girls. Nur dass es beim genauen Hinsehen gar nicht die echten, sondern als Posh & Co. verkleidete Drag Queens waren, die da "Spice Up Your Life" schmetterten. Die echte Victoria Beckham hüpfte engagiert im Takt, trotzdem glänzte hinterher nicht eine einzige Pore im Gesicht - Buchmacher aufgepasst, diese Make-up-Linie ist ein ganz sicheres Ding.

Westwoods Show ist ein Protestauftritt im Zeichen der bevorstehenden Apokalypse

Darf man jetzt trotzdem noch über die Mode reden? Mit dem Hinweis auf maßvollen Konsum wie beim Alkohol vielleicht? Es gab nebenbei nämlich ein paar wirklich gute Kollektionen zu sehen in London. Allen voran Christopher Kane, dessen Label der französische Luxuskonzern Kering vergangenes Jahr aussortiert hat, was in der Modewelt heißt: "an ihn zurückverkaufte". Im Nachhinein hatte das eine befreiende Wirkung. Der Schotte zeigte eine raue, drahtige Sexiness: Satin mit Spitze kombiniert, Kleider und Jacken mit dicken Kristallketten, Hemdkleider mit Gummiaufnähern und flachen Nieten darauf. Als Inspiration nannte er "Kindergeburtstag": das Einpacken und Auspacken, Cupcake-Silhouetten, Plastiktaschen mit Seifenblasen-Flüssigkeit darin. Wenn Kindergeburtstage tatsächlich so aussehen würden, die Geburtenrate ginge durch die Decke.

Was London nach wie vor von anderen Modestädten unterscheidet, ist die Fülle an neuen Talenten, die von den Modeschulen meist mithilfe des British Fashion Councils schnurstracks ins Rampenlicht befördert werden. Grace Wales Bonner ist so ein Fall, die Tochter eines Jamaikaners und einer Engländerin entwirft vor allem Männermode, die aber so gut geschnitten und so wenig machohaft ist, dass auch Frauen sie tragen möchten. Lange Oversized-Jacketts mit Federn, die aus Taschen und Ärmeln herauslugen, College-Jacken, lässige Anzughosen. Die 28-Jährige präsentierte ihre Kollektion in der Serpentine Gallery, weil man ihrem kreativen Prozess dort mal eben eine eigene Ausstellung gewidmet hat. Bevor die Models durch den Raum liefen, trug der schwarze Dichter Ben Okri ein für Wales Bonner geschriebenes Gedicht vor und sagte eine "neue Art des Träumens" voraus. Zum Beispiel eine, in der schwarze Designer und Models in der Modewelt endgültig ebenbürtig wären? Sicherlich kein Zufall, dass Sidney Toledano vom LVMH-Konzern im Publikum aufmerksam zuschaute.

Außerdem sollte man auf dem Radar haben: Rejina Pyo aus Südkorea, die mit ihren tragbaren, aber trotzdem nie anspruchslosen Designs kommerziell immer erfolgreicher wird. Und natürlich Molly Goddard, deren grelle Taft- und Tüllkleider durch die Serie "Killing Eve" gerade weltberühmt werden. Noch so ein neues Frauenbild, das feminin, aber nicht übertrieben weiblich, sinnlich, aber nicht klassisch sexy ist.

Goddard zeigte ihre Kollektion übrigens einen Steinwurf vom Parlament entfernt, im Atrium des Foreign Office - doch noch ein kleiner Wink auf den Brexit? Dieses unschöne Ereignis, das nur noch ein paar Wochen entfernt ist, war zwar vorher in aller Munde, weil es die Modewelt, in der Designs ständig hin und her geschickt werden, durch mögliche Einfuhrzölle empfindlich treffen könnte. Doch backstage bei den Designern wurde das Wort gemieden wie billiger Polyester. Die Mode ist schnelle Trendwechsel gewohnt, der Brexit aber begleitet einen jetzt schon locker sechs Saisons. Kurzum: Er langweilt die Branche zu Tode. Molly Goddard sagt achselzuckend: "Wie sollen wir uns auf darauf vorbereiten, wenn nicht einmal die Politiker wissen, was wird?" Lediglich der türkisch-zypriotische Designer Hussein Chalayan, der dieses Jahr sein 25. Jubiläum in London feiert, wagt eine Prognose: "Es wird unseren Handel beeinflussen. Wir sollten alle beunruhigt sein."

Unterschwellig sind sie das wahrscheinlich sogar. Denn die Londoner Designer beschäftigen sich zwar generell gern mit ihrer (Wahl-)Heimat, diesmal aber noch einmal mehr. Selten waren so viele Argyle-Muster zu sehen, bei Preen, A.W.A.K.E. Mode, sogar bei Victoria Beckham. Hier und da sah man dekonstruierte Schottenröcke, Rosetten wie bei Ascot auf der Brust, JW Anderson setzte den Models aufgebockte Jockey-Kappen auf, Richard Quinn zeigte glänzende Mäntel mit Tartanmuster.

Selbstreferenz kann aber auch anders aussehen. Der Italiener Riccardo Tisci, der vorige Saison sein Debüt bei Burberry gab, hat im London der Neunzigerjahre studiert. Die Freiheit, die er damals gehabt habe, vermisse er bei der aktuellen Jugend, sagte er. "Ich hatte kein Geld, aber eine Stimme." Hat er mitbekommen, dass britische Schüler gerade lautstark gegen den Klimawandel protestierten? Vielleicht meinte Tisci, dass viele Jugendliche kaum Chancen mehr bekommen, weil die Einkommensschere immer weiter auseinandergeht. Jedenfalls beschäftigte sich seine zweite Kollektion "Tempest", zu Deutsch "Sturm", mit Kontrasten - denen in der britischen Gesellschaft und im Inselwetter. Dazu teilte er seine Gäste in der Tate Modern gleich mal in unterschiedliche Show-Settings auf: Die eine Hälfte saß in einer Art Ghetto-Käfig, an dem Jugendliche während der Show hinaufkletterten, die andere in einem bourgeois beigefarbenen Auditorium mit Sesseln und Teppichware. "Establishment und Jugendkultur" - darin liegt für Tisci das Spannungsfeld in Großbritannien, also zeigte er wieder viel elegantes Beige wie vergangene Saison, und im Kontrast dazu Luxus-Streetwear mit mehrlagigen Jacken, gigantischen Kapuzen, Slipdresses und mit Swarovski-Stein eingefasste Korsagen darüber. Das sah schon weniger nach Burberry, sondern mehr nach "Tiscerry" aus, manches erinnerte an gute alte Givenchy-Zeiten, was nicht das Schlechteste sein muss: Die Seidenschals von Burberry in Knallorange waren die folgenden Tage bereits bei vielen Modeleuten zu sehen.

Hätte der Designer nur dieses andere Accessoire dafür weggelassen. Ein Model hatte beim Defilee einen Strick um den Hals getragen, der Shitstorm folgte prompt. Burberry entschuldigte sich, die Idee habe zum "maritimen Thema" gehört und keineswegs Selbstmord verherrlichen wollen. Alle Fotos des betreffenden Looks wurden umgehend gelöscht. So ein Sturm war mit "Tempest" vermutlich nicht gemeint.

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SZ vom 23.02.2019
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