Süddeutsche Zeitung

Fashion-Geschichte:Mode vom Mond

Eine spektakuläre Ausstellung in Paris zeigt, wie das Magazin "Harper's Bazaar" viele Jahre lang den guten Stil definierte.

Von Tanja Rest

Unmöglich, diese Ausstellung zu verlassen ohne Sehnsucht im Herzen. Eine große, melancholische Sehnsucht nach der Eleganz von Mode, dem entrückten Glamour von Stars, der funkelnden Brillanz von Texten, der Radikalität von Design. So viel Raum hatte das Auge einmal, um ungestört schweifen zu können, sich hier zu stoßen und dort festzusaugen, während heute alles gleichzeitig über einem ausgeschüttet wird, Fotos, Slogans, Produktschnipsel, Textpartikel - damit man bloß nicht innehalten und womöglich selbständig anfangen müsste zu denken. Und ja, die Rede ist von einem Modemagazin. Und nein, es ist nicht Vogue.

1867 gründeten die Gebrüder Harper in New York die heute dienstälteste Modezeitschrift und tauften sie, nach dem Vorbild des Berliner Magazins Der Bazar, auf den Namen Harper's Bazar (später Bazaar); Untertitel der ersten Ausgabe: "A Repository of Fashion, Pleasure and Instruction". Das Heft erschien erst wöchentlich im Zeitungsformat, von 1901 an dann als Monatsmagazin. Die goldenen Zeiten begannen in den Dreißigern mit der Ankunft der heiligen Dreifaltigkeit, wie sie bis heute genannt werden: die kaum schlafende, selten essende, dafür mit Todesverachtung Martinis schlürfende Chefredakteurin Carmel Snow; der kettenrauchende Art Director Alexey Brodovitch, der das radikale Grafikdesign und die ikonische Typografie verantwortete; und die in der Branche ebenso panisch gefürchtete wie kultisch verehrte Modechefin Diana Vreeland mit ihrer Vorliebe für Pink, die im Musical "Funny Face" mit Audrey Hepburn ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt bekam.

Diese drei bestimmten weit über ihre Amtszeit hinaus nicht nur den Stil von Harper's Bazaar, sie definierten auch, was guter Stil überhaupt war, und dieses Credo wirkte zurück in die Fotografie und die Mode und veränderte alles, was man bis dahin unter "Gestaltung" verstanden hatte.

Für das Heft schrieben einst Simone de Beauvoir, Charles Dickens und Virginia Woolf

Das Magazin lieferte die Definition von Ästhetik; Kreative rissen sich darum, auf seinen Seiten verewigt zu werden. Die Liste der Mitarbeiter liest man heute mit fassungslosem Staunen: Illustrationen von Salvador Dalí und Andy Warhol; Fotos von Man Ray und Richard Avedon; Texte von Colette, Simone de Beauvoir, Charles Dickens, Virginia Woolf und Truman Capote. Zu den Haus-Couturiers zählten Paul Poiret, Jeanne Lanvin, Elsa Schiaparelli, Christian Dior, Cristóbal Balenciaga. Die Hollywood-Göttinnen der Fünfziger und Sechziger wurden in Harper's Bazaar ebenso gefeiert wie später Bob Dylan und Madonna, die Fernsehstars aus "Dallas" und die Supermodels von Naomi Campbell bis Kate Moss. Man hätte kurz und gut nicht in der Haut der Kuratoren stecken wollen, die diese große Geschichte auf zwei Etagen im Pariser Musée des Arts Décoratifs erzählen sollten. Und doch ist "Harper's Bazaar: Premier Magazin de Mode" spektakulär gelungen (noch bis 14. Juli).

Wenn das Magazin seine Aufgabe darin verstand, den Geschmack und die Geschöpfe der jeweiligen Ära auf seinen Seiten zu versammeln, so sind die Ausstellungsmacher den umgekehrten Weg gegangen: Ausgehend von den Titelblättern, Modestrecken und Essays lassen sie 152 Jahre Zeitgeist am Besucher vorüberziehen. Es sind also nicht nur fotografierte Kleider zu sehen, sondern auch die Kleider selbst (60 kostbare Couture- und Prêt-à-porter-Roben aus allen Epochen) sowie die Skizzen, die ihnen zugrundeliegen. Jugendstil, Orientalismus, die Swinging Sixties, Flowerpower und Pop Art flackern vorbei, unterwegs die Mondlandung, die Modemacher wie André Courrèges zu ihrem Weltraumlook inspirierten, der dem Magazin wiederum zu einigen seiner bizarr-schönsten Titelbilder verhalf. Flankierend dazu Filmausschnitte, und nicht nur die berühmte "Think Pink"-Szene aus "Funny Face": Da ist Orson Welles in "Citizen Kane", dem Bazaar-Verleger William Randolph Hearst nachempfunden, da ist Grace Kelly, die in "Fenster zum Hof" träumerisch im Heft blättert. Einmal taucht in der Fernsehserie "Bewitched" auch die Parodie auf: Harpies Bizarre.

Am eindrucksvollsten bleibt aber, wie sehr das Magazin Mode über all die Jahre als Architektur verstanden hat, wie scherenschnitthaft klar sich die Silhouette eines Kleides, eines Accessoires oder eines Gesichtes herausschält aus seiner Umgebung. Die Cover, lange Zeit noch gezeichnet, schließlich fotografiert, sind bis in die Siebzigerjahre hinein reinstes Design und nahezu unbefleckt von Schrift. Im Vergleich dazu die aktuelle März-Ausgabe: das Gesicht von Kylie Jenner, umzingelt von nicht weniger als sechs schreienden Teasern. Die Zeiten ändern sich. Stilvoller werden sie nicht unbedingt.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2020
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