Fashion:Bangen und hoffen

Fashion: Zum Abschluss der New Yorker Fashion Week zeigte Christian Siriano eine Kollektion im Grünen. Die Models trugen Masken, die Zuschauer auch.

Zum Abschluss der New Yorker Fashion Week zeigte Christian Siriano eine Kollektion im Grünen. Die Models trugen Masken, die Zuschauer auch.

(Foto: Charles Sykes/AP)

Der September ist für Modeunternehmen der wichtigste Monat, eine Show jagt die nächste. Doch nun verzichten viele Designer auf eine Teilnahme in New York, Mailand oder Paris. Über eine Branche, die sich gerade selbst infrage stellt.

Von Tanja Rest

Der tragikomischste Moment, den dieses heillose Modejahr bisher hervorgebracht hat, ist der Vogue zu verdanken - und man würde eine bauneue Birkin Bag darauf verwetten, dass er so nicht geplant war. April 2020, die Geschäfte sind geschlossen, die Lieferketten gekappt, ganze Frühjahrskollektionen unverkauft, und in New York beschließt die Oberste Strippenzieherin, dass jetzt aber dringend frischer Wind und Zuversicht herrschen muss. "Vogue Global Conversations" heißt das von Anna Wintour ersonnene Videoformat, in der ersten Folge interviewt der britische Vogue-Chef Edward Enninful den amerikanischen Designer Marc Jacobs. Thema: "Die Zukunft der Kreativität".

Jacobs sitzt in einer Suite des New Yorker Mercer Hotels totenbleich allein vorm Bildschirm, er hat die Augen mit Kajal umrandet, die Nägel rot lackiert, um seinen Hals hängen Perlen. Er sieht aus wie die sprichwörtliche schöne Leiche, bei der die Bestatter extra dick aufgetragen haben, damit sie später im offenen Sarg was hermacht. Jacobs ignoriert Enninfuls Plauderton. Er sagt, dass er in Trauer sei. Oho, in Trauer, warum denn das?! "Ich trauere um meine Arbeit, wie sie einmal war. Weil ich gerade nicht in der Lage bin, eine Zukunft zu erkennen. Ich meine, es ist doch nicht menschlich, wie ein Roboter immer stur nach vorn zu schauen! Wie soll ich kreativ sein in einer Blase, ohne physischen Kontakt zu meinem Team, den Models, Fotografen, zu all meinen Erfahrungen?"

Enninful verschlägt es die Sprache. Er weiß hier einen Moment lang nicht weiter. Diesem klugen Modemann dabei zuzusehen, wie er erschrickt und sich windet, weil einer die Wahrheit formuliert, dass Corona nämlich erst mal keine Chance ist, kein Aufbruchsfanal, schon gar nicht die Zukunft der Kreativität, sondern schlicht und einfach große Scheiße: Da kann einem angst und bange werden um die Branche.

Fashion: "Wie soll ich kreativ sein in einer Blase, ohne physischen Kontakt zu meinem Team, den Models, Fotografen, zu all meinen Erfahrungen?" Marc Jacobs, Modedesigner.

"Wie soll ich kreativ sein in einer Blase, ohne physischen Kontakt zu meinem Team, den Models, Fotografen, zu all meinen Erfahrungen?" Marc Jacobs, Modedesigner.

(Foto: Vogue/Youtube)

Nun soll Jacobs aber bitte sagen, ob er bereits über die Kollektion nachdenkt, die er im Herbst in New York zeigen wird, und Jacobs sagt, dass es eine solche Kollektion nicht geben wird. "Wenn wir sie auf die alte Art entwickeln würden - was die einzige Art ist, von der ich etwas verstehe -, dann weiß ich nicht, wie das gehen soll."

Dann wurde es wider Erwarten tatsächlich September. Fashion Month. Der Monat, in dem in den alten Zeiten die dicksten, mit Luxusanzeigen vollgestopftesten Modehefte erschienen und Tausende Einkäufer, Journalisten, Models ihre Rimowa-Koffer vollluden und die Grand Tour antraten, die sie von New York über London, Mailand und Paris an Hunderten Laufstegen entlangführte. Vorbei.

Zuschauer und Streetstyle-Fotografen: Auf beiden Seiten wurden in New York 30 Seelen verzeichnet

Die auf vier Tage eingedampfte Modewoche von New York begann mit der Show von Jason Wu, bei der sich die Zahl der Zuschauer mit jener der Streetstyle-Fotografen die Waage hielt: Auf beiden Seiten wurden etwa 30 Seelen verzeichnet. Dann kamen viele Videoformate, in denen die Kollektionen für Frühjahr/Sommer 2021 inszeniert oder einfach nur abgefilmt wurden oder Designer sich auf irgendeinem Podium von irgendeinem Moderator interviewen ließen. Es folgte die Abschluss-Show von Christian Siriano. Die im Abstand von 1,5 Metern auf den Rasen gezimmerten Zuschauer trugen Masken, die Models auch. Dann war es überstanden. Ralph Lauren hatte nicht gezeigt, Michael Kors, Tory Burch, Oscar de la Renta auch nicht. Und Marc Jacobs sowieso nicht.

Die deutsche Elle behauptete tapfer, in der allgemeinen Tristesse die Frühjahrstrends erspäht zu haben, nämlich Midikleider, Hosenanzüge, Volants und Maxikleider mit bunten Mustern. Tatsache war, dass über die Kleider kaum jemand sprach. Wer wissen wollte, was Sache war, musste in New York an den Kiosk gehen, denn dort lag nun mal die US-Vogue.

Das September-Cover 2020 ist nicht fotografiert, sondern gemalt. Eigentlich sind es sogar zwei Titel, beide zeigen eine schwarze Frau und sind spektakulär ästhetisch. Die Titelzeile lautet "Hope", erstmals einheitlich in allen 26 internationalen Septemberausgaben. Für wie viele Seiten die Hoffnung der Amerikaner diesmal gut war, das allerdings ließ sich von München aus zunächst nicht einmal googeln.

Die US-September-Vogue hat diesmal nur 313 Seiten, Anzeigen inklusive - so wenig wie noch nie

Erstaunlich. Die Seitenzahl der wichtigsten Monatsnummer der wichtigsten Landesausgabe des wichtigsten Modeheftes des Planeten hatte einen früher im Netz und in Pressemitteilungen regelrecht k. o. gehauen. 2007 etwa war die US-September-Vogue 2,6 Kilogramm schwer und 840 Seiten dick, davon 727 Seiten Werbung. In diesem Jahr musste man sich bei Amazon schon ins Kleingedruckte verirren, bevor da plötzlich stand: 313 Seiten. Anzeigen inklusive. Ein Heft wie ein Offenbarungseid.

Dass die Luxusmode einen Haufen hässlicher Probleme hat, darüber sprachen sie in der Branche seit Jahren. Aber nun, da Covid-19 den Hochglanz-Firnis erst mal abgetragen hat, liegen sie offen da, für jeden erkennbar. Die Überproduktion. Die Umweltverschmutzung. Der latente Rassismus. Das menschenverachtende Tempo. Die Sinnlosigkeit. Daheim in der behaglichen Quarantänehöhle saßen die früheren Kundinnen nun in Wohlfühlklamotten und begannen sich zu fragen, warum sie ein seidenes Cocktailkleid für 2500 Euro kaufen sollten, in dem sie ohnehin keiner sehen würde. Und in ihren menschenleeren Ateliers saßen die Designer und zerbrachen sich die Köpfe, was das eigentlich noch bedeuten konnte: "Spring/Summer 2021". Masken, Hauskleider, Jogginghosen? Oder doch die Eleganz, die Pracht, das schultertätschelnde Wird-schon-wieder? Was erwarten Kunden in diesem Herbst von der Mode: Realismus oder Illusion? Man selbst könnte diese Frage nicht beantworten.

Burberry Spring/Summer 2021 Collection

Noch eine Show im Grünen: Burberry zeigte die Frühjahrskollektion als Livestream aus einem nicht näher verorteten Wald und ohne Publikum.

(Foto: Burberry/Reuters)

In diese ungute Gemengelage fällt der Fashion Month, der mittlerweile London hinter sich gelassen hat (bei Burberry liefen die Models durch einen nicht näher verorteten Wald, im Livestream, ohne Publikum) und in Mailand Station macht. Auch hier nur wenige Shows vor wenigen Zuschauern. Das aufsehenerregendste Debüt der Saison, die Prada-Doppelspitze mit Raf Simons und Miuccia Prada, war am Donnerstag online zu besichtigen. Gucci zeigt gar nicht. Die Stimmen, die nicht mehr nur von einem unglücklichen Intermezzo sprechen, sondern vom Ende der Institution Fashion Week, sind laut wie nie.

Warum sollen überhaupt noch ein paar Tausend Menschen zweimal jährlich umweltverpestend um den Globus jetten, um zehnminütige Fashion Shows zu besuchen, deren Produktion Hunderttausende (bei einem Giganten wie Chanel Millionen) Euro verschlingt, und Kleider begutachten, die erst sechs Monate später erhältlich sein werden und die streng betrachtet kein Mensch braucht? Und, wenn es das nicht mehr ist: Was ist die Alternative?

Ein Anruf bei Karla Otto. Sie leitet eine der größten Kommunikationsagenturen im Luxussektor, mit Niederlassungen in zwölf Metropolen weltweit. In Mailand ist sie für den Auftritt von Hugo Boss, Jil Sander und Moncler verantwortlich, in Paris für Valentino, Givenchy und Off-White. Damit ist die gebürtige Bonnerin, obwohl in der Heimat nahezu unbekannt, die wohl mächtigste Deutsche in der Mode.

"Jeder Designer, jeder CEO, mit dem ich gesprochen habe, hofft, dass sich die Situation normalisiert", sagt die PR-Frau Karla Otto

Man erreicht sie in ihrem Mailänder Büro. Wie sich die Stadt in diesen Tagen anfühlt? Nun ja. "Normalerweise ist sie zur Fashion Week knallvoll. Diesmal sind die Amerikaner nicht gekommen, die Franzosen nur vereinzelt, von den Engländern ist kaum jemand da. Das Ganze spielt sich weitgehend vor lokalen Journalisten und Einkäufern ab. Es ist sehr ruhig." Wenn auch nicht für Karla Otto, die Firma. Denn wie die neuen Kollektionen aussehen, welchen Vibe sie verströmen, was sich die Designer dabei gedacht haben - all das also, was 500 oder zweitausend Menschen bisher nonverbal erfahren haben, im Kontext der Show -, das müssen die PR-Leute jetzt an die Einkäufer und Journalisten einzeln kommunizieren. Es gibt Streams, Handouts, One-on-one-Meetings, virtuelle Frage- und Erklärrunden mit den Kreativen. Es ist alles recht mühsam. Aber die Stimmung sei nicht schlecht, sagt sie. "Alle finden, das ist nun mal die Situation. Wir können sie nicht ändern, wir müssen da jetzt durch, mit möglichst kreativen Lösungen. Und trotzdem: Jeder Designer, jeder CEO, mit dem ich gesprochen habe, hofft, dass sich das möglichst bald normalisiert."

Zwei, drei, im dümmsten Fall vier Saisons könne man digital bestimmt überbrücken. Aber das Ende der Fashion Week? Hält Karla Otto für undenkbar.

Es gehe ja nicht allein um die Präsentation der Kleider, die auf dem Bildschirm elend platt und leblos seien. Es gehe um die Fashion Week als Kontaktbörse und Arena kollektiver Emotionen. "Die Einkäufer und Journalisten zusammen in der Show, man kennt sich, tauscht Meinungen und Neuigkeiten aus. Hinterher geht man backstage, sieht die Kleider aus der Nähe, fasst sie an, sieht das Mood Board, man spricht mit dem Designer. Und dabei entsteht etwas", sagt Karla Otto. "Ich meine, wir sind als Menschen doch energetische Wesen. Wenn du zu Hause allein vorm Bildschirm sitzt, passiert gar nichts."

Seit fast vierzig Jahren ist sie im Geschäft. Dass Jil Sander damals den Schritt von Hamburg nach Mailand wagte und, indem sie vor internationalem Publikum zeigte, eine Weltmarke des eleganten Luxus wurde, ist maßgeblich ihr Verdienst. Umgekehrt hat sie auch dies oft erlebt: dass ein anerkannter Designer auf Shows verzichtete und innerhalb weniger Saisons in der Bedeutungslosigkeit verschwand. "Das Interesse nahm jedesmal rapide ab. Weil dieses kollektive Momentum für die Mode letztlich unverzichtbar ist."

Und in Paris? Chanel, Dior und Louis Vuitton planen Shows, die Kleinen irgendetwas Digitales

Ab kommendem Montag nun: Paris. Zielmarke und Vollendung des Fashion Month. Unbestrittene Kapitale der Mode, in der die Infektionszahlen zuletzt allerdings so enervierend in die Höhe geschossen sind, dass die meisten Besucher wegbleiben werden. Die Großen - Chanel, Dior, Louis Vuitton, Chloé - planen analoge Shows vor reduziertem Publikum, der Livestream als Back-up. Die Kleinen planen Video-Events und Podiumsgespräche und können auf Zuschauer nur hoffen.

Man selbst wird die Pariser Modewoche nach zehn Jahren zum ersten Mal vom Bildschirm aus betrachten. Es wird nicht das Gleiche sein. Wie sagte Marc Jacobs im April vor der Laptop-Kamera, einen rot lackierten Zeigefinger auf das digitale Abbild von Edward Enninful stoßend?

"Man hat uns beigebracht, diese Maschine zu benutzen. Diese Computermaschine, diesen Laptop, dieses Zoom und Facetime, das ganze Zeug. Und ich glaube, genau das macht dieses Virus so gefährlich. Wie wir Social Distancing lernen. Dass wir alles bei Amazon bestellen können und unser Haus nicht mehr verlassen und andere Menschen nicht mehr treffen müssen. Weil wir uns ja auf dem Bildschirm sehen. Das halte ich für gefährlich. Wenn uns an menschlichem Austausch etwas liegt, also an echtem menschlichem Austausch: Dann müssen wir uns darum kümmern."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: