"Ich möchte irgendwas für dich sein", sang einst Dirk von Lowtzow von Tocotronic. Der Sänger der Hamburger Indieband blieb damit einigermaßen unkonkret, aber in der Liebe entsteht Anziehung ja häufig gerade dadurch, dass Gefühle für eine Weile in der Schwebe gehalten werden.
Beim Essen hingegen hört die Toleranz fürs Nebulöse auf. Gerade der Deutsche will nicht "irgendwas" auf dem Tisch haben. Sondern genau das, was er bestellt hat. Wenn auf der Speisekarte ein "Riesenschnitzel" angepriesen wird, dann hat das Ding gefälligst über den Tellerrand hinauszulappen.
Nun können Nahrungsmittel nicht selber über ihre Existenzform entscheiden. Daher mussten das an diesem Mittwoch die Richter am Europäischen Gerichtshof übernehmen. In Luxemburg ging es um die Frage, ob ein Lebensmittelbetrieb aus der Eifel seine pflanzlichen Produkte als "Veggie-Cheese" oder "Tofu-Butter" anpreisen darf.
Darf etwas Käse heißen, auch wenn es sich nach herkömmlichem Verständnis nicht um ein Milchprodukt handelt? Darf es nicht, haben die Richter entschieden. Geklagt hatte ein Verband von Lobbyisten aus der Lebensmittelindustrie. Die Buchstaben des Gesetzes waren ohnehin klar auf deren Seite. Die EU-Verordnung Nr. 1308/2013 ist unbarmherzig: Käse muss Milch enthalten, und Milch ist nun mal definiert als "durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenes Erzeugnis der normalen Eutersekretion". Basta.
Unterstützung für ihre Argumente finden die Lobbyisten darüber hinaus in der Lebensrealität. Soziologen sprechen in so einem Fall von Komplexitätsreduktion. Das bedeutet, dass der Mensch auf gewisse Konstanten bauen kann und nicht jeder Schritt im Leben eine Überraschung darstellt. Auch der Kunde im Supermarkt braucht Struktur. Er muss schließlich einschätzen können, was er sich da in den Einkaufskorb legt.
Wo käme man da hin! Man schätzt es ja auch nicht, wenn man Besuch von Freunden erwartet - und stattdessen der Gerichtsvollzieher an der Tür klingelt. Erst recht also lässt man sich nicht von einem Käse überraschen, der gar keiner ist.
Doch Strukturen, das wissen auch Soziologen, ändern sich mit der Zeit. Wo früher ein ß stand, steht heute häufig ein ss. Und während man früher davon ausging, dass ein Paar aus einem Mann und einer Frau besteht, sind heute auch andere Variationen möglich.
Warum also sollte nicht auch Käse neu definiert werden können? Eine Idee: Etwas ist dann Käse, wenn es die Funktionen erfüllt, die einem Käse in der Regel zugeschrieben werden. Wenn sich damit Brot belegen lässt, es beim Erhitzen schmilzt und es gut zu Rotwein passt, dann ist es Käse.
Vorerst jedoch bleibt es dabei, dass die Hersteller von Veggie-Käse andere Namen für ihre Produkte finden müssen. Das ist so wie beim Gesellschaftsspiel Tabu, wo jedes Mal eine Tröte ertönt, wenn ein verbotenes Wörter fällt. Ähnlich verkrampft ist es, Österreich nicht Österreich zu nennen, sondern Alpenrepublik. Oder einen Hund als Vierbeiner zu bezeichnen, was ihm jegliche Würde nimmt.
Auch für Käse ist noch kein sinnvolles Synonym gefunden. Die pflanzliche Variante gibt es ja allein deshalb, weil sie das tierische Produkt imitiert. Anders als gefälschte Markenkleidung, die man an dubiosen Touristenständen erwirbt, besteht beim Veggie-Käse kaum Verwechslungsgefahr. Fast jeder, der solche Produkte kauft, tut das gezielt und weiß genau, dass er ein veganes Produkt erwirbt. Doch selbst der überzeugteste Veganer ist eben von unserer in Jahrhunderten entwickelten Esskultur geprägt. In dieser ist das Käsebrot fest etabliert - und es ist verständlich, dass sich Alternativprodukte am Original orientieren, so lange eine völlig andere Ernährung auf Gemüsebasis noch nicht massenhaft verbreitet ist.
Wenn Veggie-Käse jetzt verboten ist, dann heißen die pflanzlichen Alternativen jetzt vielleicht "Scheiben aus Pflanzenfett", "Brotbelag aus nicht-tierischen Bestandteilen" oder "Irgendwas mit Tofu und Gewürzen". Doch ein Packungsaufdruck sollte konkreter sein als ein Tocotronic-Song. Sonst bleibt die Liebe zum Essen auf der Strecke. Und das Produkt im Kühlregal liegen.