Etikette:Treffen sich drei Männer...

Etikette: Karikatur: Til Mette

Karikatur: Til Mette

Fast niemand erzählt mehr Witze. Dabei könnte gerade diese Small-Talk-Technik zur Entspannung beitragen. Ganz besonders der Herrenwitz.

Von Jakob Schrenk

Für das Jahr 2016 hat sich die Menschheit vorgenommen, das Weltklima, den Feldhamster und "Historische Stätten der Rohstoffgewinnung" zu schützen und zu bewahren. Das alles sind ehrbare und wichtige Ziele. Leider fehlt bei den Schutzbemühungen ein gefährdetes zivilisatorisches Erbe. Es hat eine große Geschichte: Der Herrenwitz droht zu verschwinden!

Wie ernst es um ihn steht, kann man schon daran sehen, dass sich viele Menschen unter dem Begriff nichts mehr vorstellen können - und wenn doch, dann nichts Positives. Der Duden definiert den Herrenwitz als einen derben, frivolen Spaß, den üblicherweise Männer von sich geben. Der Bremer Kulturhistoriker und Witz-Experte Rainer Stollmann setzt ihn mit der Zote gleich. Er werde manchmal als besonders niederträchtige Form der Anmache auch Frauen erzählt.

Im Jahr 2013 berichtete die Zeitschrift Stern unter der Überschrift "Der Herrenwitz" über Rainer Brüderle, damals 67 Jahre alt und FDP-Fraktionsvorsitzender. Brüderle hatte nachts in einer Bar zu einer jungen Reporterin gesagt, dass sie gut ein Dirndl ausfüllen könne. Beim Anblick einer Kuh mit großen Eutern hatte Brüderle vermutet: "Das ist Körbchengröße 90 L". Busenfreund Brüderle war ruiniert. Auch Thomas Gottschalk und Jürgen von der Lippe gelten als Zeremonienmeister der Zote. Ist es Zufall, dass sich ihre Karrieren dem Ende zuneigen? Wer traut sich noch anzügliche Bemerkungen? Kennt irgendwer einen guten Herrenwitz? Hin und wieder tritt auf Familienfeiern noch ein Onkel mit Betablockerabonnement auf und gibt einen auswendig gelernten Spaß zum Besten, woraufhin er verkniffenes "Höhö" erntet. Das war es schon. Auf Facebook unterhält man mit Anekdoten, die man selbst erlebt hat (angeblich). Das wirkt individuell und authentisch. Kein Mensch tippt standardisierte Schwänke in die Kommentarmaske, schon gar keine schlüpfrigen.

Wie schade es wäre, wenn der anständig auswendig gelernte Witz verschwindet - und damit natürlich auch der Herrenwitz - beweist der US-amerikanische Autor Jim Holt in seinem großartigen Buch "Kennen Sie den schon?", eine Aufarbeitung der Geschichte des Witzes. Die älteste Witzsammlung der Menschheit, lernt man bei Holt, ist in griechischer Sprache geschrieben, stammt aus dem fünften Jahrhundert nach Christus, heißt "Der Lachfreund" und umfasst 265 Gags. Einen großen Teil würde die Duden-Geschmacksjury als derb und frivol einstufen. Sie handeln von großen Weinkrügen, weil man mit dem Wort auch den Penis bezeichnen konnte. Viele der Zoten sind rührend harmlos. Ein Mann fragt seine Frau: "Herrin, was sollen wir tun. Wollen wir essen oder der Liebe pflegen?" Sie antwortet: "Wie du willst. Brot ist keins da." Manche Witze sind bösartiger. Ein Mann sagt zu einem anderen: "Ich habe deine Frau umsonst gehabt". Der Angesprochene antwortet: "Ich bin freilich gezwungen, dieses große Übel zu ertragen. Du aber - wer zwingt dich?"

Es ist laut Jim Holt eine Tatsache, dass sich die überwältigende Anzahl der mündlich weitergegebenen Witze um Sex drehen. Anders als man meinen könnte, wird die Frau dabei selten als passives Sexobjekt charakterisiert. In vielen Gags geht es um die Angst der Männer vor der aktiven, unersättlichen Frau. Manchmal machen sich auch die Männer über ihre Impotenz, ihre Sexbesessenheit oder beides lustig. Jim Holt beschäftigt sich in seinem Buch auch mit den Gags der Banker an der Wall Street. Ein Mann (nicht Rainer Brüderle) fragt eine Frau an der Bar: "Willst du mit mir schlafen?" Sie fragt: "Bei dir oder bei mir?" Er antwortet: "Wenn das jetzt auch noch kompliziert wird, vergiss es!"

Der schmutzige Witz, glaubt Sigmund Freund, ist ein Grundbedürfnis, er entlastet unser Unbewusstes. Der Mensch zähmt mit ihm seine Begierde. Wer einen schmutzigen Gag erzählt, so Freud, kann seine Lust auf den Gesprächspartner übertragen und dabei zur Not auch noch vorgeben, dass es nur um den Gag geht, nicht um den Schmutz, und man sich außerdem den Gag ja gar nicht selbst ausgedacht hat.

Doch man muss gar nicht so psychoanalytisch tief graben, um den Herrenwitz im Jetzt zu verteidigen. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller zum Beispiel argumentiert, dass dem modernen Menschen die Fähigkeit zum Genuss gerade abhanden kommt. Wir fürchten uns vor Zigaretten, vor Alkohol - und vor der Erotik. "Das Knisternde des Charmes, der Flirt, die Koketterie mit fremden Menschen geht verloren." Genuss, so Pfaller, ist immer zwiespältig. Alkohol verschafft frohe Stunden, aber auch Kopfschmerzen. Ein Flirt macht Spaß, hinterher schämen wir uns. Der moderne Mensch, der immer ganz authentisch und ganz er selbst sein will, kann bestimmte Bedürfnisse nicht mehr ins korrekte Selbstbild integrieren und versucht deshalb, ganz auf sie zu verzichten. Umso wichtiger sind Small-Talk, Höflichkeitsregeln und Rituale, die von außen kommen und unser erlauben, mit unserer eigenen Korrektheit zu brechen. Wer einen guten Herrenwitz erzählt, verwandelt sich in einen Schauspieler, der nicht im Bühnenlicht, sondern im Zwielicht steht und der im besten Fall seine Mitmenschen zu Mitspielern einer Komödie macht, deren Ausgang niemand kennt.

Das Grundsatzprinzip eines Witzes ist einfach: Wir lachen, wenn zwei Dinge zusammengebracht werden, die nicht zusammengehören. Ein Herr im Frack und in aller Würde rutscht auf einer Banane aus. Witze lassen nicht nur die Bauchmuskeln erzittern, sondern auch die Verhältnisse. Der Herrenwitz propagiert Klischeevorstellungen von Männern und Frauen, er macht sich aber auch über genau diese Klischees lustig. Das kann hilfreich sein in einer Zeit, in der wir mit heiligen Ernst darüber streiten, was Männer und Frauen können, dürfen, sollen oder müssen und wer denn jetzt nun den Bio-Müll rausbringt. Nur weil es in jedem Spruchkalender steht, ist es noch lange nicht falsch: Humor hilft. Lachtränen sind eine Art natürlicher Weichzeichner, wir sehen die Welt wie durch einen Schleier, werden milde und nehmen uns selbst nicht mehr so wichtig.

Die witzgescheite Komödiantin Amy Schumer erzählte in ihrer sehr erfolgreichen TV-Show "Inside Amy Schumer" von einer Auseinandersetzung mit ihrem Freund. Im Bett machte der immer wieder das Licht an, Schumer löschte es jedes Mal. Am nächsten Morgen sagt der Freund zu Schumer, die eine recht dralle Person ist: "Sei doch nicht so schüchtern, du hast einen wunderbaren Körper". Schumer entgegnete: "Wie niedlich, du glaubst, dass du mich nicht sehen sollst!" Es wäre eine ganz gute Pointe, wenn die Frauen den Herrenwitz retten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: