Süddeutsche Zeitung

Essen zu Ostern:Diese Hasen sind Zucker

Ein Konditor aus der Oberpfalz hat die Tradition der Zuckerhasen wiederbelebt. Dafür rennen ihm die Kunden fast die Bude ein.

Von Anne Goebel

Wenn man die Sache mit den Hasen von der philosophischen Seite betrachtet, geht es um die Frage: Was zählt wirklich im Leben, ist es tatsächlich Überfluss, ständige Verfügbarkeit? Nicht unbedingt ein naheliegendes Thema für einen Konditor, nachmittags beim Kaffee. Aber der Zuckerbäcker Peter Segerer aus Neumarkt in der Oberpfalz, karierte Hosen, Glasurspritzer an der sonst blütenweißen Jacke, gerät im Hinterzimmer seines Ladengeschäfts öfter ins Sinnieren, wenn er die Zeit dazu hat und über das wachsende Angebot an Ostersüßigkeiten nachdenkt.

Zwar lebt einer wie er davon, dass die Leute schwelgen, genießen - aber "mitnehmen können wir alle nix am Ende", sagt er. Das sei eigentlich ein Widerspruch. Doch hat sein Denken in Um- und Nebenwegen mit dazu geführt, dass der Konditor Segerer eine alte, schlichte, fast vergessene Osterhasentradition wiederbelebte. Aus Liebhaberei. Und, das ist die Pointe, die Kunden rennen ihm wegen dieser Zuckerhasen fast die Bude ein.

Zuckerhasen sind tiefrot oder von cremigem Gelb, dann heißen sie Rahmhasen. Es gibt sie in verschiedenen Größen, vom Lutscher bis zum aufgerichteten Langohr, und in allen erdenklichen Posen: auf dem Schlitten, als Pärchen, im Auto oder im gestreckten Lauf.

Bei Peter Segerer und seiner Frau Rita sind die Süßigkeiten aus erkalteter Bonbonmasse in Osterwochen gleich neben dem Eingang ihrer Confiserie postiert. Wobei das als Blickfang wohl nicht nötig wäre. Denn Kunden, die in die Klostergasse kommen, wissen, was sie wollen: Ostern wie früher. Dazu gehört der Zuckerhase. "Ist halt nostalgisch", sagt Rita Segerer. Die Verkaufszahlen steigern sich von Jahr zu Jahr. Beachtliche 2000 Stück fertigt die Confiserie diese Saison, als Ein-Mann-Betrieb mit einer Auszubildenden.

Peter Segerers Erfolgsgeschichte begann vor gut zwei Jahrzehnten, aus Liebhaberei für vergessene Rezepte und Techniken. Aber die Wurzeln reichen viel weiter zurück. Bis zu den 50er-Jahren waren die Zuckerhasen, verpackt in Zellophan, die Krönung jedes Osternests. Am längsten gehalten hat sich die Tradition im Südwesten Deutschlands. Und sie wurden früher eher bestaunt als sofort aufgerissen und verdrückt.

Damals hatte die Schar der Schoko-Kaninchen unter güldener Führung eines Schweizer Herstellers noch nicht den Markt überrannt - Schokolade war für den Massenkonsum lange viel zu teuer. Aber mit dem Wirtschaftswunder geriet Essen zum Statussymbol, und zu Ostern hatte es von nun an der Kakaobraune in Silberpapier zu sein. "Das ging auf Kosten der Vielfalt", sagt Peter Segerer, der jetzt in seiner Backstube die schwere Kasserolle aus Kupfer mit Isomalt-Zucker befüllt. "Die Schokohasen heute sehen fast alle gleich aus."

Während das zahnfreundliche Süßungsmittel sich über der Gasflamme verflüssigt, ist Zeit, die Formen anzusehen. Bekanntschaft mit dem "Zuckerhas" machte Peter Segerer bei einer beruflichen Zwischenstation nahe Stuttgart, über Jahre trug er eine Sammlung zusammen, auf Flohmärkten, aus Kellern, von Kollegen, die mit dem alten Metall nichts mehr anzufangen wussten. Gut 700 Model besitzt er heute, die meisten aus Aluminiumguss, ältere Exemplare aus der Zeit um 1890 bestehen noch aus Zinn und Blei.

Von außen sehen die zweigeteilten Model unscheinbar, ja klobig aus. Aber wenn man sie nacheinander auseinanderklappt - die reinste Hasenwunderwelt: Hasen auf dem Roller, als Musikanten, beim Pfeiferauchen; ein Pärchen auf einer Wippe im Gras, ein Jüngling mit angelegten Ohren im Straßenkreuzer, Mutter Häsin schiebt den Kinderwagen. Es ist eine heile, sorglose Welt - und das Frauenbild, bemerkt Segerer trocken beim Anblick einer beschurzten Gestalt mit Kopftuch, "ist natürlich kreuzbrav".

Die Idylle ist gerade das Reizvolle an den Zuckerhasen und wohl auch der Grund für ihre Rückkehr. Ostern ufert immer mehr aus zum zweiten Weihnachten, mit Geschenken und einem fast überdrehten Kult um die feinste und meiste Schokolade. Da muss der rote oder karamellgelbe Gevatter Hase - übrigens kein niedliches Knuddeltier, sondern ein schlanker Läufer - herhalten als Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Verlässlichkeit, nach dem ursprünglich Einfachen. In Baden-Württemberg waren sie nie ganz weg, inzwischen gibt es dort sogar ein kleines Zuckerhasen-Museum namens "Zuckergässle".

Und die Segerers verschicken ihre Ware gut gepolstert in alle Himmelsrichtungen, nach Hamburg und Wien, zu Stammkunden nach Tschechien, an eine Zürcher Konditorei. "Da kostet das Porto oft das Vielfache vom Hasen", sagt Segerer. Aber Tradition bleibt Tradition. Vor allem, wenn man sie nach langen zuckerhasenlosen Jahren wiedergefunden hat. "Unseren Online-Shop haben wir vor vier Jahren gestartet. Von da an haben uns die Leute fast überrannt." Karsamstag kommen schon mal Kunden aus dem fernen München, um sich ihre Exemplare abzuholen.

Die Klientel besteht aber nicht nur aus Älteren, die nostalgische Zeilen nach Neumarkt mailen. Als saisonale Süßigkeit reiht sich der Hase auch gut ein in den ewigen Trend zum Lebensmittel mit Geschichte: All die wiederentdeckten Hausmutter-Rezepte, die klösterlich gehüteten Konfitüren und regionalen Heumilchkäse, für die sich der entwurzelte Großstädter so begeistert. Auch den Zuckerhasen umweht die Zauberformel "slow", obwohl er nicht außergewöhnlich schmeckt (je nach Variante sahnig oder nach Himbeere). Und obwohl es so wirkt, als sei er in null Komma nichts fabriziert.

Der Konditor gibt Aroma und rote Lebensmittelfarbe zum geschmolzenen Zucker und befüllt, wobei die behandschuhte Linke es zusammenpresst, den Model bis oben hin mit der zähen Masse. Rasch wird die Flüssigkeit zurück in den Kupfertopf gekippt, eine dünne Zuckerschicht bleibt haften an der Innenwand der Form. Kurzes Erkalten, dann wird eine der Metallhälfte abgehoben - und die Figur löst sich wie mühelos aus ihrer Hülle. Doch in Wahrheit erfordert die Prozedur Geschick und Geduld. Slow ist der Zuckerhase auch, weil er aus einer Zeit stammt, in der es noch Muße gegeben haben muss zum genauen Betrachten: Jedes Detail der Figuren sieht aus wie ins süße Rot gemeißelt, die pelzige Pfote, der geflochtene Korb, die Blümelein, über die Meister Lampe seine Schubkarre fährt.

Naturgetreue Skulpturen aus Zucker haben Köche schon seit der Renaissance fasziniert. Über Jahrhunderte entstanden die irrwitzigsten Schaustücke, auch Peter Segerer hat es zu einiger Kunstfertigkeit gebracht. Als vor Jahren für den Film "Die Bücherdiebin" ein Fachmann gesucht wurde, der eine opulente Konditorei-Auslage der 30er-Jahre nachbilden konnte mit Zierrat aus Kandiertem, fiel die Wahl auf ihn. Er sei froh gewesen, als er die Hakenkreuz-Torte aus der Backstube hatte, erzählt Segerer. Und dass sogar die friedlichen Zuckerhasen in der braunen Zeit als deutsche Feldtiere der deutschen Sache dienen sollten. Die Form für den Hasen am Geschütz hat er aber nicht in seiner Sammlung.

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SZ vom 15.04.2017/vs
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