Süddeutsche Zeitung

Essen:Da ist der Wurm drin

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Die Insektenküche ist die Zukunft heißt es immer. Aber schmecken Gerichte wie Muffins aus Larvenmehl und Bolognese mit Buffalowürmern wirklich? Wir haben uns mal an den Herd gestellt

Von Anne Goebel

Die Zukunft unserer Ernährung hat einen knapp anderthalb Zentimeter langen Körper, einen flachen Kopf, eine dunkle Färbung und braune Fühler. Nein, der Schwarze Mehlkäfer, Tenebrio molitor, ist nicht gerade eine Schönheit, und bisher ist er den Menschen auch eher unangenehm aufgefallen, als sogenannter Vorratsschädling in Mehl und anderen Getreideprodukten. Doch neuerdings hat sich die robuste Kreatur aus der Ordnung der Coleoptera in schicken Foodblogs und Rezeptsammlungen eingenistet. Besser gesagt: ihre Vorstufe. Die Larven des Käfers nämlich, wegen ihrer länglichen Form Mehlwürmer genannt, werden gerade zur Lieblingszutat einer kulinarischen Nischenbewegung - dem Kochen mit Insekten.

Denn das ist nach Einschätzung von Trendforschern das nächste ganz große Thema beim Essen. Genau genommen befinden wir uns schon mittendrin. "Insect Food" oder, wie der Fachbegriff lautet, die Entomophagie, also der Verzehr von bodennahen Vielbeinern, ist keine Utopie mehr, sondern eine Welle, auf der immer mehr Anbieter mitreiten. Eiweißriegel aus gemahlenen Grillen oder Snacktüten mit gerösteten Larven haben es vom Sortiment obskurer Online-Shops in die Supermarktregale von Lidl, Metro und dm geschafft.

Und ausnahmsweise ist das ja auch ein Nahrungsmittel-Trend, der nicht bloß hip klingt, sondern konkrete Ziele im Blick hat: die Verbesserung des Weltklimas durch weniger Fleischkonsum. Die Schonung von Umwelt und Ressourcen, weil Insekten sich ohne großen Aufwand züchten lassen und sie uns mit Eiweiß versorgen könnten, ohne dass wir darüber Nachhaltigkeitsdebatten führen müssten.

Ganz klar: Kaum ein Protein-Lieferant ist so nachhaltig wie Insekten

So viel Bodenhaftung lässt sich von Worthülsen wie "Healthy Hedonism", angeblich auch eine gerade sehr angesagte Ernährungsmode, oder von dem Tamtam um die schlank machende Schokoladenfrucht Schwarze Sapote nicht behaupten. Da geht es eindeutig um den Hype - bei Mehlwurm und Grille hingegen geht es um Größeres. Was bedeutet, dass sich eine Frage umso dringender stellt: Schmeckt das denn wirklich? Ist zum Beispiel das Mehl aus Insektenlarven eine nicht nur nahrhafte, sondern kulinarisch sinnvolle Option für Kuchen und Brot, oder wird der Genuss bislang eher von Marketingexperten und Weltrettern herbeigeredet?

Treffen im Münchner Studio von Hans Gerlach, der als Koch, Rezeptentwickler und Foodstylist über die nötige Geduld und Furchtlosigkeit für Insektenexperimente verfügt. Auf der Arbeitsfläche sind Zutaten und Gerätschaften für das Exotenmenü bereitgestellt. Die Rezepte - von Salat mit Heuschrecken bis zur Bolognese mit Käferlarven - stammen aus einschlägigen Blogs und Broschüren. Auf dem Holztisch am großen Fenster liegt, das ist ein Zufall, die Zeitschrift Beef. Titelthema: Grillen mal anders, zum Beispiel Vogelspinnen und Skorpione - wie passend.

Dagegen fallen die Einkäufe von Gerlach zwar ein wenig ab: getrocknete Würmer, Grillen ohne Beine, Nudeln aus Larven. Dafür macht sich der Weltretter-Anspruch schon beim ersten Handgriff bemerkbar. Das Mehl von Isaac Nutrition aus pulverisierten Buffalowürmern für die "herzhaften Muffins mit getrockneten Tomaten" ist in einer weißen Pappbox verpackt. Sie sieht edel aus, der Aufdruck lautet "The future is in your hands". Hans Gerlach studiert diesen Satz mit einem schwer zu deutenden Lächeln, versenkt seine Nase in dem geöffneten Behältnis und sagt schließlich: "Bisschen muffig."

Im nächsten Schritt macht sich ein Mitarbeiter seines Kochteams daran, den gemahlenen Würmern verborgene Nuancen zu entlocken. Gerlachs Assistent Nils Lichtenberg röstet hellgraues Insektenmehl in einer Pfanne, um den Muffinteig in zwei Varianten anzurühren, mit angebräuntem und unbehandeltem Pulver. Schließlich ist das hier für alle neues Terrain, man will den fremdartigen Zutaten die Chance geben, ihr Potenzial zu entfalten. Vom Herd geht ein angenehm nussähnlicher Geruch aus. Um es vorwegzunehmen: Der Zwischenschritt hat trotzdem nicht viel gebracht. In beiden Versionen ist der Geschmack der Muffins enttäuschend dumpf. Und das gilt, um noch weiter vorzugreifen, für alle zubereiteten Speisen. Nudeln, Sauce, süße Bällchen: Eine fahle, stumpfe Note macht sich bei jedem Bissen bemerkbar. Die Gerichte aus der Insektenküche schmecken nicht gut, ohne wirklich schlecht zu schmecken.

Klar ist: Beim Verzehr von Insekten sind die inneren Barrieren groß. Wer sich von Berufs wegen durch Küchen rund um den Globus isst, lernt Gewohnheiten als alltäglich kennen, die aus europäischer Sicht grenzwertig sind. Hans Gerlach hat in Australien Witchetty-Raupen probiert, bei Lichtenberg war es allerhand eingelegtes Getier in Bangkok. Hierzulande habe man die Scheu vor ungewohntem Getier nur in Notzeiten überwunden, sagt Gerlach. Er sei in alten Aufzeichnungen zum Beispiel auf "Maikäfersuppe" gestoßen als Nährstofflieferant während bettelarmer Kriegsjahre.

Es gibt Gründe dafür, dass sich der Mehlwurm-Burger noch nicht überall durchgesetzt hat

"Natürlich ist das Interesse an Insekten-Produkten aus ökologischen und ernährungsphysiologischen Gründen sinnvoll", so der Koch. Insekten sind Lieferanten von Protein und ungesättigten Fettsäuren. Im Unterschied zur verheerenden Umweltbilanz der Fleischproduktion kommt ihre Zucht mit viel weniger Land, Wasser, Futter aus. Der aktuelle Fleischatlas des Bund Naturschutz zeigt, dass Rinder bis zu 100-mal mehr Treibhausgase pro Kilogramm Körpermasse verursachen als Insekten.

Das sind einleuchtende Vorteile. Und in Zeiten von "Fridays for Future" lassen sich ökologisch vernünftige Nahrungsmittel junger Start-ups nicht mehr als abstruse Nischenprodukte abtun - die Insektenpasta aus Pforzheim von Plumento oder "Bugfoundation" mit ihren Mehlwurm-Burgern. Die deutschlandweit erfolgreiche Restaurantkette "Hans im Glück" hatte die alternativen Bratlinge während einer Probephase Anfang des Jahres vielversprechend getestet, demnächst sollen die Burger wieder auf die Speisekarte kommen.

Beim Zubeißen knackt es leicht, das Aroma ist angenehm nussig und wird dann irritierend muffig

Eine andere Sache ist, selbst mit Zutaten zu kochen, die noch in der Entwicklung stecken. "Das Ganze steht erst am Anfang", sagt Hans Gerlach, als wolle er damit seine mäßige Begeisterung versöhnlicher klingen lassen. Während die Muffins auskühlen und die "Energy Balls" als appetitliche Kugeln aus Datteln, Quinoa-Körnern und Insektenmehl für das Dessert angerichtet sind, geht es sozusagen ans Eingemachte: die Krabbeltiere in toto und nicht unkenntlich zerstoßen zu Proteinstaub. Auf Wiesenkräuter-Salat richtet Nils Lichtenberg gebratene Grillen und Heuschrecken an, die erstaunlich groß sind, wenn man sie auf der Gabel hat. Ein Knacken beim Zubeißen, der Geschmack ist erst nussig, bekommt aber sofort wieder diese irritierend muffige Note, die zunehmend scharf in die Nase steigt. Der Biss in eines der frisch gebackenen Küchlein, die den Salat begleiten, hilft da nicht wirklich.

Mehr Freude hat Gerlach dann an den kleinen Mehlwürmern, die - als Topping für die Nudeln mit Basilikumpesto - geröstet aus der Pfanne kommen. "Salzig. Knusprig. In einer Liga mit Erdnussflips", bekundet er. Ein schönes Lob, das am Ende nicht viel hilft. Die Buffalowurm-Pasta mit gerade mal 14 Prozent Insektenmehl nimmt nach dem Garen eine graue Farbe an und übertüncht geschmacklich sogar Erdnuss, Basilikum, Pinienkerne und Olivenöl. "Schmeckt nach nasser Wellpappe", sagt Gerlach mit einem Blick, der eher interessiert aussieht als enttäuscht.

Inzwischen ist auch die Insekten-Bolognese fertig. Statt Hackfleisch ringeln sich getrocknete Buffalowürmer im Topf, die sich mit den restlichen Zutaten nicht verbinden, dafür durch die Hitze an Größe gewinnen und auf irritierende Weise lebendig aussehen. Lichtenberg nimmt ein paar Gabeln und schüttelt den Kopf. Zum Abschluss allgemeine Einigkeit, dass die Energy Balls nicht übel sind. Sofern sie in viel Kokosraspeln gewälzt werden.

Das Fazit? "Man kann daran arbeiten", sagt Hans Gerlach. Die knusprig getrockneten Tiere als Ganzes findet der Koch am gelungensten. Doch um Insekten als Zutat in privaten Küchen geschmacklich überzeugend zu verwenden, müsse wohl noch ordentlich an den Rezepturen gefeilt werden. Das Verhältnis zwischen den überreich vorhandenen Proteinen und Fett etwa, müsse man überdenken. Die Reaktionen auf Hitze und Feuchtigkeit besser kennenlernen und einkalkulieren. Nur ist der Koch skeptisch, ob sich die Mühe lohnt. Schließlich existierten hervorragende heimische Eiweißquellen wie Linsen, die "in vielen Haushalten viel zu selten auf den Tisch kommen. Das ist schade". Und wem es vor allem darum geht, den Fleischkonsum zu reduzieren, der habe eine einfache Möglichkeit, findet Hans Gerlach: weniger Fleisch essen.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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