Essen und Trinken:Weihnachten ohne Wein? Ganz schwierig!

Illu Stil

Wer selbst mit edlen Lagen nichts anfangen kann, dem macht der Geist in der Flasche ziemliche Kopfschmerzen. Illustration: Stefan Dimitrov

Unser Autor mag keinen Wein. Nicht einmal richtig guten. Damit macht er sich und seinen Gastgebern das Leben schwer - gerade an Weihnachten.

Von Marc Baumann

Jetzt kommen die ganz schweren Geschütze: In der linken Hand halte ich ein Glas 2009er Saint-Romain La Perrière, sorgfältig karaffiert, in der rechten eine Gabel mit aufgerollten Tagliatelle und zwei frisch gehobelten weißen Trüffelscheibchen darauf. "Das ist erste Liga, ein Spitzenwein, dürfte ich nur zwei Flaschen auf die einsame Insel mitnehmen, der wäre dabei", sagt Herbert, mein guter Freund und ausgebildeter Sommelier. Seit mittlerweile sieben Jahren versucht er meine große Gleichgültigkeit dem Thema Wein gegenüber zu beenden. Darum wollte er mich diesen Artikel nicht schreiben lassen, ohne einen letzten Versuch zu starten, mich umzustimmen.

Wir fahren in ein Restaurant in München-Bogenhausen, kleiner, feiner Laden, mit die beste Weinkarte der Stadt, sagt Herbert. Er glaubt, dass ich Wein nur deshalb nicht mag, weil ich noch nicht den richtigen für mich gefunden habe. Ich bin mir sicher, dass mir Wein generell nicht schmeckt. Keiner und nie. Leider, denn ich würde mich so gerne für Wein begeistern können, mein Leben wäre einfacher. Meine Freundin könnte im Restaurant endlich mal eine ganze Flasche bestellen, statt nur ein Glas vom offenen Wein. Ich müsste nicht jedem Gastgeber erklären, dass es nicht an seinem Wein liegt, dass ich beim Wasser bleibe. Und ich hätte ein hervorragendes Small-Talk-Thema für Stehpartys und Geschäftsessen.

Zurück im Restaurant, wir sind beim dritten Gang und der zweiten Flasche Wein. Jetzt also: Trüffel zu Saint-Romain La Perrière. Was für ein Paar! Herbert zufolge müsste in meinem Mund jetzt eine Hochzeit der Geschmäcker stattfinden, eine Orgie der Aromen, eine alle Vorbehalte gegen Wein sprengende Geschmacksexplosion. Ich schmecke: Nudel mit Wein. Stilles Kauen. Ich müsste jetzt schwärmen, ich schweige. Rolle mir schnell noch eine Tagliatelle auf, ziehe sie noch tiefer durch die verbleibende wirklich leckere Soße, spieße alle übrigen Trüffeln auf, leere dazu das Weinglas. Wieder keine Orgie. Ich greife, bereits leicht angetrunken, direkt noch mal zur ersten Flasche, gieße den Rest von Egon Müllers Scharzhof Riesling ein, vom sehr guten 2004er Jahrgang. Ich versuche, etwas über den Wein zu sagen, etwas Gehaltvolles, Kluges, ich sage: "Dieser Wein schmeckt zu den Nudeln fruchtiger als vorhin."

Fruchtiger! Was für ein erbärmlich eindimensionales Urteil. Zu Hause lese ich später eine Weinkritik zu besagtem Riesling nach: "Herrlich fruchtige, elegante Auslese. Blasse, leicht grünlich schimmernde Farbe, intensives Bukett. Erst Apfel, dann wunderbar reife, sinnliche Riesling-Frucht mit feinwürziger Schiefernote und Honig. Am Gaumen leichtfüßig, sehr verspielt, süß, saftig, sinnlich, dabei filigran und finessenreich; herrliches Säurespiel, animierend, perfekte Balance. Honig im langen Finish."

Am Gaumen leichtfüßig! Warum fallen mir nicht solche Sätze ein? Dabei schwärme ich gerne für Lebensmittel: Ich habe eine Lieblingsapfelsorte, die man nicht in Supermärkten findet, ich bestelle Saftorangen direkt aus Sizilien, ich habe im Sommerurlaub 15 Kilogramm reife Tomaten aus der Toskana über den Brenner gefahren, um sie daheim einzukochen.

Und ich mag Weintrauben, die ohne Kerne, im Herbst esse ich sie kiloweise. Im Urlaub in Südtirol habe ich freiwillig eine Führung durch Weinkeller mitgemacht, ich wandere gerne durch Weinberge und ich habe mir kürzlich eine tolle anderthalbstündige Wein-Dokumentation angesehen, in der ein Winzer den schönen Satz sagt: "Wir übergeben den Wein der Zeit."

Ich glaube, ich verstehe die Faszination für Wein, es ist nur so: Wein zum Essen zerstört mir den Geschmack des Gerichts, weil er sich zu sehr in den Vordergrund drängt. Und ohne Essen gibt Wein mir auch nichts.

"Können wir die Nachtischkarte haben?", fragt Herbert, mein Begleiter, "und bitte noch einmal die Weinkarte." Ich habe mit Herbert jahrelang Fußball gespielt, er ist ein sehr leidenschaftlicher Mensch, er kämpft bis zum Schlusspfiff, auch heute Abend. Wir wählen Soufflé, Sorbet, Schokoladentarte. Erneuter Blick in die Weinkarte, scharfes Nachdenken, abwägender Blick zu mir, dann werden zwei Flaschen bestellt. Zuerst ordert er einen 2015er Drautz-Able Gewürztraminer (ich habe gesagt, dass ich, wenn überhaupt, nur süße Weine trinken kann). Obendrein bestellt er, als vierte Flasche des Abends, einen 1997er Pojer e Sandri Merlino. "Einen allerletzten Versuch habe ich noch", sagt Herbert und schenkt mir ein. Ich bemerke einsetzendes Lallen, als ich antworte.

Am Nachmittag haben wir uns bei ihm getroffen, er hat mir die Temperaturzonen seines Weinkühlschranks erklärt, den Zusammenhang von Holzfässern und Aromen und mit mir Weinkataloge mit Jahrhundertjahrgängen studiert. Wir sind durch mehrere Jahrtausende spannender Weingeschichte gereist, und dann erzählte er, wie der Vater einer Ex-Freundin ihn einst zum Wein geführt hat, "mir die Tür geöffnet hat". Zu einer Welt, die mir verschlossen bleibt. Sommeliers sind gute Geschichtenerzähler, Herbert kann von Wein wie von der großen Liebe reden, so zärtlich, so euphorisch.

Immerhin erspare ich mir den schlechten Wein

Ich merke mir zwei, drei Anekdoten, damit ich an Weihnachten etwas zu erzählen habe, wenn zum Gänsebraten der gute Rotwein geöffnet wird. Seit zwölf Jahren reise ich regelmäßig zu den Eltern meiner Freundin, bis heute werde ich bei jedem Abendessen gefragt, ob ich roten oder weißen Wein möchte, obwohl sie den Apfelsaft und das Wasser schon an meinen Platz gestellt haben. Manchmal sage ich "Weißwein bitte, aber wenig" und nippe am Glas, um ihnen einen Gefallen zu tun.

Bei festlichen Abendessen stoßen nur drei Familienmitglieder mit Saft an: ein Sechsjähriger, eine Siebenjährige und ich. Zumindest kriege ich nicht auch einen bunten Plastikbecher dazu, sondern ein Weinglas. Stellen Sie mal auf einen weihnachtlich und liebevoll gedeckten Tisch ein Tetra Pak Saft und dann versuchen Sie, sich nicht vollkommen stillos dabei vorzukommen. Früher war mir meine Weinunlust unangenehm. Mit Anfang 20 habe ich einen Artikel aus dem Männermagazin GQ auswendig gelernt, in dem es darum ging, wie man beim Abendessen Weinkenntnisse vortäuscht. Später habe ich versucht, wenigstens Weinschorle zu trinken.

Um mich zu verteidigen: Ich verpasse vielleicht das geschmacksintensivste und kultivierteste Getränk überhaupt, aber dafür erspare ich mir all den mittelmäßigen bis schlechten Wein, den man oft auf Partys, Vernissagen oder in Restaurants bekommt. Da wurde die Flasche günstig im Großhandel, bei Lidl oder eben noch an der Tankstelle als Mitbringsel gekauft. "Weihnachten versuchen alle, groß aufzufahren - und nehmen teuren, aber nicht guten oder passenden Wein", sagt Herbert. Weihnachtsweine seien oft zu schwer, das lähme. Stimmt, in den Mitternachtsgottesdienst gehe ich immer alleine, weil der Rest vom Rotwein dämmrig ist.

Ich kenne niemandem in meinem Alter, Ende 30, der so offen wie ich zugibt, von Wein keine Ahnung zu haben - und ihn auch nicht zu mögen. Obwohl viele gerade mal den Unterschied kennen zwischen trocken oder süß, und im Lokal nur "Wird schon passen"-Rebsorten wie Chardonnay bestellen. Wenn der Kellner die Flasche öffnet und das Probierglas einschenkt, wird hineingerochen, das Glas geschwenkt, ein kurzer Schluck durch die Mundwinkel gespült - dabei besteht die vermeintlich eingehende Prüfung nur darin zu schauen, ob man Korkstücke im Mund findet.

"Was schmeckt, hat recht", tröstet mich mein Freund Herbert, der Weinkritiker

"Wein ist kein Teil der Allgemeinbildung", tröstet mich mein Freund Herbert, "was schmeckt, hat recht." Die Kellnerin bringt die Flaschen drei und vier an diesem Abend, ich verschiebe per SMS einen Termin am nächsten Morgen von zehn Uhr auf elf Uhr. Erst probieren wir die Drautz-Able Auslese edelsüß, Herbert erzählt, dass "deutscher Wein das einzig Erfreuliche am Klimawandel ist". Die heißeren Sommer stellen südländische Winzer vor Probleme, hier profitiert man davon. Dann kommt noch der Rote, der Pojer e Sandri Merlino. München sei übrigens eine gute Stadt für Weintrinker, sagt Herbert. Die Menschen hier seien offener für Weine aus dem Ausland als jene in anderen europäischen Großstädten.

Ich schenke nach. "Über Wein kann man wie sonst nur über Fußball reden", findet Herbert. Er tröstet mich damit, dass Bier, Wasser, Tee und Kakao gerade dabei sind, der neue Wein zu werden: mit Verkostungen, Sommeliers und ambitionierten Anbauern. Meine Wahl fiele dann aufs Wasser, wobei ich meist 2016er Schwabinger Erdgeschosslage trinke und maximal etwas zum hohen Kalkanteil der Voralpenlandleitungen beitragen könnte.

Der Abend endet mit einer Rechnung, die mich fast wieder nüchtern macht, Herbert übernimmt, was ich nur zulasse, weil mir das Reden schwerfällt. Vor der Tür ein kurzer, schwankender Abschied in der kalten Nacht, wir vereinbaren eine Revanche-Einladung, Herbert kennt da noch ein Restaurant in Giesing mit exzellenter Weinkarte, und er wüsste noch eine Flasche, mit der könnte er mich doch noch kriegen. Für die Feiertage hat er noch einen Tipp: PriSecco der Manufaktur Jörg Geiger, die aus alten Apfelsorten perlenden Saft macht und in Sekt- und Weinfläschchen verkauft. Ich werde einfach das Etikett abkratzen.

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