Essen und Trinken:Slow Food aus Tirana

Essen und Trinken: Bledar Kola hat sein Restaurant "Mullixhiu" genannt, was "Müller" bedeutet.

Bledar Kola hat sein Restaurant "Mullixhiu" genannt, was "Müller" bedeutet.

(Foto: Matthias Haupt)

Der Albaner Bledar Kola hat in der Hauptstadt Albaniens ein Restaurant eröffnet, das internationale Aufmerksamkeit geweckt hat. Der Koch ist fest entschlossen, dem Land seine uralte Esskultur wieder nahezubringen.

Von Andrea Jeska

Bledar Kola hätte ein bequemes Leben haben können. In Schweden, zum Beispiel, wo er beim gefeierten Magnus Nilsson im Restaurant "Fäviken" kochte. Oder in Kopenhagen, wo er im weltberühmten "Noma" unter Vertrag stand. Aber Kola, 34 Jahre alt, ein Mann mit einer jugendlichen Sturheit und dem Gesicht eines Jungen, wollte zurück in seine Heimat, um dort die Küche zu revolutionieren. Jene, die es zwischen den Gipfeln der Albanischen Alpen und den Wellen der Adria schon immer gab. Es ist eine Küche der Bauern und der Armen. Von Menschen, die immer schon hart arbeiten mussten und die durch Entbehrung erfinderisch geworden sind.

Kola ist Küchenchef und Besitzer des Restaurants "Mullixhiu" - der Name bedeutet "Müller" - in Albaniens Hauptstadt Tirana. Und wenn er nun häufiger Besuch von Journalisten bekommt, dann liegt das auch daran, dass 2017 irgendein englischsprachiger Blog das Lokal unter die Top Ten aller europäischen Restaurants listete. Eigentlich keine große Sache, es gibt viele Rankings, "doch für uns änderte sich dadurch viel", sagt Kola und lächelt. Seine Küche bekam über Nacht Fans im Ausland und wurde zum Gesprächsthema in Tirana, wo man lokale Produkte bislang nicht für allzu wertvoll hielt und mit Begriffen wie "bio", "saisonal" oder "nachhaltig" nicht viel anzufangen wusste. Doch plötzlich war das Mullixhiu über Wochen ausgebucht, plötzlich gab es so etwas wie neuen Stolz auf die alte Küche.

Das Mullixhiu sieht innen aus wie eine Bauernstube, warm und gemütlich. Getäfelte Wände, die Tische handgemacht mit einer kleinen Schublade, in der die Gäste ihr Besteck und die Leinenservietten finden. Das Restaurant fasst 40 Leute, zumindest dann, wenn die bereit sind, eng aufeinanderzusitzen. Im Vorraum, durch eine Scheibe von der Gästestube getrennt, stehen die drei Getreidemühlen, die dem Mullixhiu seinen Namen geben: Eine für Roggen, eine für Weizen und eine für Mais. Daraus backt Kola sein Brot, es ist fest und sparsam gesalzen. Diese Mühlen sind auch der Grund, warum er oft mehlbestäubt durch sein Restaurant läuft, sich die Finger noch schnell an der Schürze abwischt, bevor er Gäste mit Handschlag begrüßt.

Kolas Weg über die Spitzenrestaurants der Welt bis zum eigenen Lokal in Tirana könnte Stoff für einen Film liefern. Er wuchs auf in einem Dorf in der Mitte Albaniens. Alleinerziehende Mutter, vier Geschwister. Es war eine harte Kindheit voller Arbeit, geprägt vom Wechsel der Jahreszeiten. Wollte die Familie den Winter überleben, mussten sie im Sommer genug ernten und einwecken, erzählt er. Schon als Junge half er seiner Mutter beim Kochen. "Es gab bei uns nur, was aus dem eigenen Garten kam oder von unseren Tieren. Wir buken Brot, sammelten Honig, bereiteten Joghurt, brannten Raki." Mit 15 Jahren ging Kola schließlich nach England, um Geld zu verdienen und es seiner Mutter zu schicken. Sein erster Job: Tellerwäscher in einem japanischen Restaurant. Fleiß, Durchhaltevermögen und Glück brachten ihn in die erste Riege der europäischen Köche. Vielleicht auch die Entbehrungen der Kindheit, die ihn lehrten, aus wenig viel zu machen. "Nie wurden Lebensmittel verschwendet, dafür waren wir viel zu arm."

Als Kola 2007 nach Albanien zurückkehrte, arbeitete er in einem französischen Restaurant - und war unglücklich. "Es fühlte sich falsch an. Dafür war ich nicht zurückgekommen." 2016 beschloss er endlich, ein eigenes Lokal zu eröffnen und dort nur noch regional zu kochen. Er fuhr über die Dörfer und sammelte Rezepte von den Bäuerinnen, kochte Auberginen, Kartoffeln, Polenta und Yuffka, gefüllte Teigtaschen, die seit dem 14. Jahrhundert wesentlicher Bestandteil der albanischen Küche sind. Er mixte Chutneys aus Maulbeeren, sammelte wilde Pilze und wilde Kräuter, klapperte die Winzer des Landes ab. Und er setzte um, was er als Kind gelernt hatte: "Wenn man weniger Zutaten hat, muss man mehr Fantasie entwickeln. Wenn man kein Geld für Lebensmittel hat, muss man sich nach dem richten, was die Natur hergibt. Das ist die Philosophie meiner Küche."

Den Lifestyle-Bonus, den Slow Food im westlichen Europa hat, gibt es in Tirana nicht

Die Speisekarte des Mullixhiu ist übersichtlich. Auch, weil die Küche für den Ansturm der Gäste längst zu klein ist. Das Angebot richtet sich nach dem, was die Saison bietet. Fleisch von jungen Lämmern und Ziegen, in Ton geschmorte Wachteln, viel Gemüse, Käse, Joghurt. Kolas Lieblingsgericht in dieser Saison ist Trahana: eine Suppe auf Grundlage eines Getreide-Joghurt-Breis, die auf dem gesamten Balkan und in Griechenland bekannt ist. Kola bereitet sie wie ein Risotto zu, verfeinert mit Petersilienjus und eingelegten Kirschen.

Das Mullixhiu war für seinen Gründer ein Wagnis. Den Lifestyle-Bonus, den Slow Food im westlichen Europa hat, gibt es in Tirana so gut wie gar nicht. Wer Geld hat, will Pomp, auch beim Essen. "Die Einheimischen finden es schicker, ausländisch zu essen. Die albanische Küche ist bis heute verpönt, weil sie als rückständig gilt, als Küche der Armen", sagt Kola. "Ich will das ändern, aber dafür muss ich ein Bewusstsein schaffen. Es ist ein langer Prozess."

Küche der Armen - "Cucina Povera". Diesen Begriff prägte der albanische Fernsehkoch Armand Kikino auf der Expo 2015 in Mailand. Die Weltausstellung drehte sich um das Thema Ernährung, und Kikino brachte dort auf den Tisch, was die Bauern seines Landes kochen. Der eigens angereiste albanische Landwirtschaftsminister, so erzählt man sich, soll über das Essen und den Begriff "Armenküche" außer sich vor Wut gewesen sein.

In 30 Jahren Kommunismus ging auch die Esskultur verloren

Doch die Idee der Cucina Povera war der Funken, aus dem nun ein Feuer werden soll. Und Kola war der richtige Mann zur richtigen Zeit, um es zu schüren. Unter seiner Leitung entstand die Bewegung "Rrnoe për me gatue" - "leben um zu kochen". Vereint darin sind albanische Köche aus aller Welt, deren Ziel es ist, die autochthone, viele Jahrhunderte alte Küche neu zu beleben. Eine albanische Slow-Food-Bewegung, bei der es allerdings um mehr geht als um Esskultur. "Wir brauchen Hoffnung und eine neue Verbindung mit der eigenen Geschichte. Wir brauchen Menschen, die zurückkehren in dieses Land und aus dem etwas machen, was schon immer da war."

Kola findet, es gehe dabei auch um Albanien selbst. Dieses Land, dessen Bild im Ausland von Korruption, Blutrache und Kriminalität geprägt sei, dessen historische Tragödien das Land fragmentierten und seine Bewohner von sich selbst entfremdeten. 30 Jahre Kommunismus, da ging viel verloren. Auch Selbstbewusstsein, Erinnerung und, nicht zuletzt, die Esskultur. Landreformen ließen die Bauern verarmen, nach dem Zusammenbruch des Regimes gab es Hungersnöte. In Scharen flohen die Albaner aus dem Land, ganze Dörfer verödeten, die Felder verwahrlosten.

Schon der Titel der albanischen Slow-Food-Bewegung ist ein politisches Statement. Er ist entliehen vom Buchtitel "Rrno vetëm për me tregue" - "Ich lebe nur weiter, um zu erzählen". Geschrieben hat es Zef Pllumi, ein Franziskanerpriester, der unter den Kommunisten 23 Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern verbrachte.

An einem Tag im September nun soll die albanische Küche endlich wieder auferstehen. Zwölf Küchenchefs, die wie Kola arm ins Ausland gingen und sich ihre Lorbeeren in berühmten Restaurants verdienten, hat er zurück in die Heimat geholt. Sie sind angereist aus Griechenland, Italien, Belgien, England, Schweden, Dänemark, den USA. Auf dem alten Markt, Pazari i Ri, wollen sie die traditionellen Rezepte ihres Landes interpretieren, feiern und darüber diskutieren, warum die albanische Küche alles bietet, was ein Mensch zum guten Essen braucht. Es ist auch ein Appell an die Jugend, die lieber heute als morgen in den Westen möchte, die nicht mehr glaubt an ihre Wurzeln und Traditionen, an die Geborgenheit der eigenen Kultur.

Das Ziel der albanischen Slow-Food-Bewegung: ein ganzes Land versöhnen

Mit den zwölf Küchenchefs sind zwölf ältere Damen nach Tirana gekommen, eine aus jeder albanischen Region. "Die Großmütter", wie Kola sie nennt, sollen die Gerichte auf traditionelle Art zubereiten, die Küchenchefs ihre Neuinterpretation danebenstellen. In der gemieteten Küche eines Hotels haben alle bereits am Vortag bis spät in die Nacht gekocht, haben Gemüse geschnippelt und Knoblauch zerdrückt, Pasta gewalzt und Brote gebacken, halbe Tiere zerhackt und Fische entgrätet.

Das Programm holpert zwar ein wenig, es gibt Probleme beim Soundcheck und mit dem Abspielen eines Videos über die neue kulinarische Bewegung. Doch mit zweistündiger Verspätung kann alles beginnen - mit dem Bürgermeister von Tirana, Erion Veliaj, der eine Rede über den Stellenwert der Tradition hält. Als die Jungköche und die Alten dann endlich Seite an Seite kochen, ist es lange nach Mittag. Doch die auf den Stuhlreihen ausharrenden Gäste werden bald entschädigt. Auf Plastiktellern werden Fergesa verore gereicht, geschmorte Paprika mit Käse, Filja, ein Blätterteigauflauf, Birja, ein Pilaw ähnliches Reisgericht, Maza e Zier, Käseauflauf oder geschichtete Pfannkuchen mit Kaviar.

Der Tag endet mit einem Essen im Mullixhiu, der japanische und der deutsche Botschafter sind gekommen. Es gibt Herbstgerichte mit Pilzen, Kartoffeln, getrockneten Tomaten und geschmorten Auberginen. Kola ist erschöpft, aber enthusiastisch. "Es wird noch Zeit brauchen, aber ich sehe Licht." Nicht mehr lang, so meint der Koch, und die Menschen würden wieder eines verstehen: dass Essen und Identität nicht trennbar sind. Warum sollte er nicht recht haben? Es wäre nicht das erste Mal, dass Essen im großen Stil Sinn stiftet.

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