Essen und Trinken:Schmeckt gut, ist blutig

Blutknödel von Koch Vincent Fricke, Barisch Stew

Für den Teig der Serviettenknödel des Münchner Kochs Vincent Fricke werden Brotwürfel in Gewürzmilch eingeweicht und später mit 150 ml Schweineblut übergossen.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Die meisten ekeln sich davor. Das ist schade, denn in der Küche ist Blut ein echter Gewinn, ob in der Soße, im Knödel oder im Kuchenteig.

Von Josef Wirnshofer

Am Anfang muss eine Alltagsbeobachtung stehen: Wer Freunde, Bekannte oder Kollegen auf das Thema Blut anspricht - also Blut im Essen -, der erntet verlässlich eine von drei Reaktionen: iiih, pfui oder bäh. Wen wundert's, haben viele doch schon mit Innereien Probleme. Gerichte mit Leber oder Niere werden auf Speisekarten gern übersprungen. "Nicht meins", ist so ein Satzfetzen, der am Tisch dann gerne fällt. Und Blut? Darüber möchten die meisten gar nicht erst nachdenken.

Vincent Fricke kennt das. Der 31-jährige Koch ist bekannt dafür, alle Teile eines Tieres zu verwenden. Er sagt: "Dass ich zum Grillen bei Freunden manchmal ein Herz mitbringe, daran haben sich die Leute inzwischen gewöhnt. Blut ist aber immer noch schwierig."

Schon paradox: Da ist in Magazinen und Kochshows ständig die Rede von Nachhaltigkeit, auf Food-Blogs stolpert man alle paar Klicks über Einträge zu verantwortungsvollem Fleischkonsum. Blut aber findet kaum den Weg auf unsere Teller. Dabei ist es nicht nur zeitgemäß, Blut in der Küche zu verarbeiten - es schmeckt auch toll.

Fricke steht in seiner Küche in der Münchner Maxvorstadt und knetet einen Teig für Serviettenknödel. Nicht irgendwelche, sondern blutige Serviettenknödel. Erst vermischt er altes Brot mit Speck, Zwiebeln, Milch, Eiern und Gewürzen. Dann kommt der Moment, in dem er einen Becher Schweineblut über den Teig gießt. Noch mal kneten, schon färbt es die Masse in ein tiefes Rot. Neben der Farbe wird das Blut den Knödeln später eine zarte Süße und einen leichten Schmelz geben.

Seit fünf Jahren beschäftigt sich Vincent Fricke mit der Frage, was man aus den Fleischteilen jenseits von Filet und Entrecôte machen kann. Mit dem Ansatz also, den der britische Koch Fergus Henderson vor Jahren unter dem Slogan "Nose to Tail" bekannt gemacht hat. Die Idee: das ganze Tier zu verarbeiten. Vom Schwein auch die Ohren, vom Lamm auch die Lymphknoten. Für Vincent Fricke ist es nur konsequent, auch das Blut zu verwenden: "Die Wegwerfmentalität, die vor allem in der Ernährung verbreitet ist, die widert mich fast schon an."

Nach einer Kochausbildung nahe seiner Heimatstadt Leipzig und Lehrstationen in mehreren Spitzenlokalen war Fricke Souschef im Restaurant "Theresa" in München. 2014 machte er sich dann selbständig. Seitdem bietet er vor allem Caterings an. Und Koch-Events in wechselnden Lokalen. Wenn er dort Gerichte mit Blut serviert, setzt er es dezent ein: "Ich stelle den Leuten nicht einfach einen halben Liter davon auf den Tisch." Stattdessen reichert er Macarons damit an, oder eben Serviettenknödel. "Mir ist wichtig, dass die Leute das probieren. Der Blutgeschmack soll dabei nicht zu wuchtig daher kommen, sondern als Nuance, als netter Begleiter."

Küchenchef: Zum Backen eignet sich Blut sehr gut

Weil Blut ein Gericht um solche Nuancen verfeinern oder abrunden kann, spielt es auch in der Gourmetküche eine Rolle. Harald Irka etwa hält es als Bindemittel für Soßen für unverzichtbar. Der 26-jährige Küchenchef der "Saziani Stub'n" in Straden gilt als einer der talentiertesten Köche Österreichs. Er findet: "Wenn ich Fleischsoße zubereite, macht es absolut Sinn, sie mit etwas Tierischem zu binden. Mehl und Butter gehen zwar auch, verfälschen für mich aber den Geschmack."

Als Soßenbinder kennt man Blut in der klassischen Küche schon lange. Etwa in der "Sauce rouennaise", die traditionell zu Entengerichten gereicht wird, oder im Hasenpfeffer. Die bekannteste Zubereitung ist natürlich die Blutwurst. Auch Harald Irka serviert sie, mit Kraut und Petersilie. Genauso gern experimentiert er aber auf anderen Gebieten mit Blut, zum Beispiel in der Pâtisserie. Unter den Teig für seinen Schokoladenkuchen etwa hebt Irka aufgeschlagenes Schweineblut, "das intensiviert die Farbe und rundet den Geschmack ab". Dazu passt Heidelbeerragout.

Blutige Serviettenknödel

Zutaten: 250 g altes Brot, 125 g geräuchertes Wammerl, 80 g Zwiebeln, Pflanzenöl zum Braten, 60 g Butter, 1⁄2 Apfel, 1⁄2 TL Senfmehl, 300 ml Milch, Piment, Wacholder, Nelke, geriebene Muskatnuss, 1⁄4 Zehe Knoblauch, Petersilie, 150 ml Schweineblut, 2 Eier, 160 g Semmelbrösel, Salz, Pfeffer

Zubereitung: Den Ofen auf 180°C vorheizen. Das Brot in 1 x 1 cm große Würfel schneiden, auf ein Blech legen und für 8 bis 10 Minuten im Ofen rösten. Dann in eine große Schüssel füllen. Die Milch mit der Butter, etwas Piment, Wacholder und Nelke aufkochen und 15 Minuten ziehen lassen. Gewürze durch ein Sieb abseien, die Milch über das geröstete Brot gießen. Mit einem Kochlöffel vermengen und weich werden lassen.

In der Zwischenzeit das geräucherte Wammerl, den Apfel und die Zwiebel in feine Würfel schneiden, Knoblauch fein hacken und alles zusammen in einer Pfanne mit etwas Öl anbraten. Danach zur Brot-Milch-Mischung geben. Das Senfmehl dazu, nach Belieben Muskatnuss hineinreiben, etwas Petersilie feinhacken und ebenfalls zur Masse geben. Erst wenn der Teig handwarm ist, kommen Blut und Eier dazu und werden mit dem Rest vermengt. Die Semmelbrösel untermischen, mit Salz und frischem Pfeffer würzen. Einzelne Teigstücke entnehmen und in einer Serviette oder in Frischhaltefolie zu länglichen Knödeln von 8 bis 10 Zentimetern Durchmesser wickeln. Einen Topf mit Wasser aufsetzen, zum Kochen bringen und die Serviettenknödel in einem Sieb über dem kochenden Wasser eine halbe Stunde dampfgaren. Dazu passen zum Beispiel ein Stück rosa gebratenes Rinderherz und Radieschengemüse.

Gerade zum Backen eigne sich Blut sehr gut, "denn es lässt sich als Alternative zu Eiern verwenden", sagt Irka. Neben dem hohen Eisengehalt, der Blut seinen charakteristischen metallischen Geschmack gibt, enthält es vor allem Eiweiß. Das bedeutet in der warmen Küche allerdings: runter von der Hitze. Wird Blut als Bindemittel verwendet, darf die Soße nicht kochen, weil bei zu hoher Temperatur sofort ein unansehnlicher Brei daraus wird. Ein Effekt, der nur beim Blutpfannkuchen gewünscht ist. Für den lässt man erst Zwiebeln in Schweineschmalz anschwitzen, gießt anschließend Schweineblut darüber, schmeckt alles mit Kümmel und Majoran ab und lässt es stocken. "Das war früher nach der Schlachtung die erste Jause", sagt Harald Irka.

Als er anfing, in seinem Restaurant Blutgerichte zu servieren, hatte Irka Skrupel. "Viele Leute sind erst mal abgeschreckt, wenn sie von Blut hören", sagt er, "man muss sie langsam heranführen". Manchmal erwähnt er deshalb gar nicht, dass ein Gang Blut enthält. Die meisten Gäste seien von dem Geschmack positiv überrascht, wenn er sie nach dem Essen aufklärt.

Je etablierter der Koch, desto eher wird probiert

Etwas leichter scheinen es Köche zu haben, die länger etabliert sind. Hendrik Otto zum Beispiel. Seit 2010 kocht der 43-Jährige im "Lorenz Adlon Esszimmer" in Berlin, mit zwei Michelin-Sternen ist er einer der renommiertesten Köche der Hauptstadt. Otto: "Je höher Sie als Koch dekoriert sind, desto mehr vertrauen Ihnen die Leute." Heute murrt deshalb keiner mehr, wenn er in seiner Taubenpraline neben dem Herz und der Leber des Vogels auch das Blut verarbeitet. Als Otto 2002 Küchenchef im Restaurant "La Vision" in Köln wurde, war das anders: "Als ich damals meine erste Karte geschrieben habe, wurden viele Gerichte mit Innereien oder Blut nicht gegessen."

Schwer zu sagen, woher die Scheu, ach was, der Ekel vor Blut kommt. Von der Assoziation mit Schmerz, Verletzung und Gefahr? Harald Irka schlägt eine andere Erklärung vor: "Blut wird immer mit der Schlachtung in Verbindung gebracht. Und viele Menschen, die Fleisch essen, wollen davon leider absolut nichts hören."

Jörg Förstera freut es, dass seine Kunden inzwischen trotzdem manchmal Blut bei ihm bestellen. Förstera, Jahrgang 1988, betreibt mit einem Geschäftspartner die Metzgerei "Kumpel und Keule" in Berlin. "So langsam werden die Leute wieder experimentierfreudiger", sagt er. Bei Kumpel und Keule verkaufen sie vor allem Schweineblut. Es ist vergleichsweise mild und lässt sich gut verarbeiten. Rinderblut sei schwieriger zu dosieren. Es schmeckt sehr intensiv, sehr metallisch. Förstera verkauft Blut nur tagesfrisch. Wer damit kochen will, sollte es deshalb zwei bis drei Tage im Voraus bestellen. "Blut ist wegen des hohen Eiweißgehaltes leicht verderblich, das kann man nicht tagelang im Kühlschrank aufbewahren", sagt er.

Das meiste Blut verwurstet Förstera in seiner Metzgerei aber selbst. Zu Blutwurst natürlich. Wozu Blut in großen, industriellen Betrieben zum Teil verarbeitet wird, dafür wäre es ihm zu schade, sagt er. Dort gewinne man daraus zum Beispiel Trockenblutplasma. Ein weißes Pulver, optisch nah am Traubenzucker, das in der Pharma- oder der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt wird. Oder es landet als energiereiches Futter in Fischzuchtbecken.

Wird Blut bald ein Renner auf Grillpartys?

Blut verfüttern? Das versteht Vincent Fricke überhaupt nicht: "Ich habe nichts gegen Tiere, im Gegenteil. Aber wieso sollen die ein solches Produkt fressen? Mit welchem Recht?" Dass die wenigsten Menschen zu Hause mit Blut kochen, wundert ihn jedoch nicht: "Das muss ja geplant werden, und alles, was mit Essen und Planung zu tun hat, verlernen wir immer mehr. Allein der Wocheneinkauf, damit sind wir Großstädter heute doch völlig überfordert."

Für Vincent Fricke hört es mit seinen ungewöhnlichen Serviettenknödeln nicht auf. Er steht mit dem Thema Blut noch am Anfang, probiert mehr und mehr aus. Und er kann sich vorstellen, dass die Gäste seine Blutgerichte bald ähnlich annehmen werden, wie es bei den Innereien der Fall war, bei den Herzen, Nieren und Lebern. Er kommt noch einmal auf die Grillparty mit Freunden zu sprechen: "Wenn sich beim ersten Mal nur einer traut, das zu probieren, sind es beim nächsten Mal schon drei, und irgendwann bleibt nur noch ein Gast übrig, der nicht zugreift."

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