Dabei hatten weder sie noch Wassmer je vor, Karriere als Köche oder gar Autoren zu machen. Aus Ehrgeiz, Neues zu kreieren und sich mit anderen zu messen, meldeten sie sich bei Wettbewerben an. "Diese fanden auch immer an so tollen Orten statt", sagt Scheidel. So kochten sie sich nach Barbados, Andalusien und Zypern. Drei Mal erreichten sie das Finale beim "Cooking Star", dem wichtigsten Rezeptwettbewerb für Hobbyköche, zwei Mal gewannen sie die Auszeichnung "Beste Hobbyköche Deutschlands". Irgendwann dachten sie: All die Rezepte könnte man doch teilen. Es schmeckte ja auch immer allen Freunden, Bekannten und Verwandten, die sie bekochten.
Das mag simpel klingen, war es aber nicht. Keiner derjenigen, denen sie von ihrem Traum erzählten, nahm sie ernst. Die Verständnisvollsten trauten ihnen zu, ein kleines Heftchen rauszubringen. Höchstens. Doch Manuel Wassmer und Verena Scheidel sind ehrgeizig. Wettbewerbstypen eben. Sie wollten kein dünnes Heft, sondern ein dickes Buch. Eines, das man auch mal als Souvenir verschenkt, statt der Kuckucksuhren, die Touristen nimmermüde aus dem Schwarzwald wegschleppen. Sie wollten die typische Küche ihrer Heimat in die Welt transportieren und dabei zeigen, dass diese Küche eben weltläufig und modern sein kann. Warum also sollten Wassmer und Scheidel diese Küche nicht mit ihrer gemeinsamen Leidenschaft verbinden: mit spanischen Tapas?
Nun glauben viele, dass Tapas einfach sein müssen. Sind sie manchmal auch. Doch das aus den üblichen Bars bekannte uniforme Angebot hat wenig mit der Kunstform zu tun, zu der die Spanier ihre Häppchen erhoben haben. Es gibt landesweit beachtete Wettbewerbe, bei denen sich die Teilnehmer gegenseitig mit aufwendigsten Inszenierungen überbieten. Auch die Schwarzwälder Version ist vielschichtig - aber, und das ist sehr wichtig, trotzdem auch für Koch-Laien realisierbar.
Das gilt für das Forellen-Lachs-Tatar auf Graupenpuffern genauso wie für die Morchelrahm-Panna-Cotta mit Petersilienöl, die Schnitzelmuffins mit Kartoffeltopping, die Zwetschgenknödel in Specksoße - oder die gratinierten Garnelen von damals, die sie für ihr Buch durch Flusskrebsfleisch ersetzt haben. Dafür brauchen Wassmer und Scheidel zum Beispiel eigentlich keine High-End-Küche. Er dreht die Stiele aus einigen Champignonköpfen, kratzt mit einem Löffel die Lamellen heraus und tupft die übrigen Köpfe mit Küchenpapier sauber. Sie häckselt eine Schalotte, schwitzt sie in Butter an und gibt die Flusskrebsschwänze hinzu. Dann streut sie Mehl ein, löscht das Ganze mit Weißwein und gießt Sahne an. Ein paar Gewürze gibt Scheidel dazu, dann verteilt sie die Masse in die von Wassmer kurz angebrateten Champignonköpfe. Dafür brauchen die beiden etwa fünf Minuten, Messer, Brettchen, Zutaten aus dem Supermarkt um die Ecke und sehr wenig Worte.
Längst hat sich eine Fanszene gebildet, die Schwarzwälder-Tapas-Partys veranstaltet, inspiriert von Rezepten aus Bühl, wo regelmäßig Beweisfotos eintrudeln. "Es ist schon abartig, wie viele Rückmeldungen wir bekommen", sagt Wassmer. Er ist immer noch erstaunt über den Verkaufserfolg ihres Buches: "Desch eingeschlage wie nix." Ein Buch, das sie selbst herausgeben. Einen einflussreichen Verlag mit Marketingmaschine im Hintergrund haben sie nicht.
Das Buch verstößt gegen alle Regeln des Marktes. Vermutlich ist es deshalb so erfolgreich
Damit ist Wassmer und Scheidel noch ein Coup gelungen: Sie etablierten sich mit ihren im Selbstverlag veröffentlichten Büchern auf einem Markt, der zwar riesig ist, aber nicht mehr wächst. Auf dem ein Thema und Autor nach dem anderen verbrannt werden und die meisten Bücher nach einem Jahr aus dem Sortiment fliegen. Das Angebot verwässert. "Inzwischen gibt es etliche Verlage, die eher für Belletristik bekannt waren, nun aber Kochbücher ins Portfolio nehmen", sagt Monika Schlitzer, Geschäftsführerin bei Dorling Kindersley - dem Verlag, in dem Jamie Oliver jährlich ein Buch veröffentlicht. "Kochbücher gehören schon lange zur Alltagskultur", so Schlitzer. Es gehe um Lifestyle, Eskapismus, Party-Inhalt: "Die Leute reden unentwegt über's Kochen, und sie essen lange nicht mehr nur, um satt zu werden." Erfolg am Markt versprächen derzeit vor allem drei Themen, sagt die Verlagschefin: Die Küche bekannter Autoren, die Küche interessanter Länder und die gesunde Küche. Angesichts dessen habe sie "großen Respekt vor der Leistung von Wassmer und Scheidel".
Womöglich hat den Autoren geholfen, dass ihre Bücher gerade keines der üblichen Trendthemen wie Grillen oder Superfood bedienen. Wo zu viele Trittbrettfahrer um Communitys konkurrieren, wird eine Währung immer wichtiger: Glaubwürdigkeit. Die ist auch im Netz Mangelware. "Ich glaube, im Internet gibt es einfach zu viel", sagt Wassmer. "Ihr Lieblingsessen rauszufiltern ist den Leuten irgendwann zu anstrengend." Er und seine Partnerin nehmen diese Mühe auf sich - und werden dafür mit Autogrammwünschen bedacht.
Was bleibt, ist die Frage, wie es mit den beiden weitergeht. "Noch ein Tapas-Buch machen wir eher nicht", sagt Scheidel. Und ein neues Thema hätten sie aktuell auch nicht. "Wir könnten sofort einen Partyservice aufmachen", sagt Scheidel. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich die Catering-Anfragen. Oder ein Lokal eröffnen - "aber wir wollen Neues kreieren, nicht täglich Massen produzieren." Sie spüren keinen Druck, nach dem Erfolg nachzulegen. Sie müssen nicht kochen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auch an Wettbewerben wollen sie erst mal nicht teilnehmen. Nach vier Jahren, in denen sie ihre komplette Freizeit in der Küche verbracht haben, steht etwas anderes auf dem Programm: Urlaub machen.