Süddeutsche Zeitung

Essen und Trinken:Des Strudels Kern

Lesezeit: 5 min

Wie macht man einen perfekten Apfelstrudel? Das ist gar nicht so leicht wie es klingt. Wir haben drei Meister der traditionellen Mehlspeise nach ihrem Geheimnis gefragt.

Von Titus Arnu

Susi Schafhuber streichelt den Teig. Nicht wie einen Hund, sondern eher so, wie man eine Zeitung am Frühstückstisch glattstreicht. Energisch, schnell, aber gleichzeitig vorsichtig und respektvoll. Das Geräusch ihrer Handflächen auf dem Teig klingt, als wische sie über Papier. Nach ein paar Minuten ist sie zufrieden mit dem Ergebnis: Der Strudelteig liegt rechteckig, platt und transparent auf der Arbeitsfläche. Die Chefin des Landhotels Schafhuber im österreichischen Hinterthal steht in ihrer Küche und zeigt dem Besucher, wie der perfekte Strudelteig aussehen muss: dünn, durchsichtig, elastisch und reißfest. Wie Esspapier, nur weicher und leckerer.

Das Motto von Susi Schafhubers Urgroßmutter lautete: "Heiratsreif bist du, wenn du den Strudelteig so dünn ausziehen kannst, dass du einen Liebesbrief durchlesen kannst." Die Schafhuber-Oma kam aus der Steiermark und betrieb dort schon ein Hotel, Elisabeth Schafhuber gab das Rezept an ihre Tochter Susi weiter, deren Tochter Laura, 23, arbeitet auch schon im Gasthaus mit. "Sie muss noch üben, um den perfekten Strudel hinzukriegen", sagt ihre Mutter. 1971 hatte Elisabeth Schafhuber ihr Hotel in Maria Alm am Hochkönig eröffnet, Spezialität in der Gaststube war von Anfang an die Neuinterpretation von Omas Apfel- und Topfenstrudel. Stammgäste sagen schlicht: Bei den Schafhubers gibt es den besten Apfelstrudel der Welt. Nun sind Stammgäste natürlich immer besonders überzeugt. Doch Tatsache ist: Viele Gäste kommen vor allem wegen des Strudels zu den Schafhubers, nehmen dafür auch weitere Anfahrten in Kauf, und das seit Jahrzehnten.

Im Gasthaus Alpenrose backt nur die Oma des Kochs Strudel. Sie ist 97. Und sie ist die Beste

Was einen Apfelstrudel zum besten seiner Art macht, wird immer auch eine Geschmacksfrage bleiben. Über wenige Gerichte diskutiert man im Alpenraum so leidenschaftlich. Doch wer jetzt im Frühherbst, wenn es die besten Äpfel gibt, in Backstuben nachfragt, die für ihren Strudel berühmt sind, der erhält einen guten Überblick, worauf es ankommt. Wo die Regeln für ein gutes Rezept enden und wo das Geschmäcklerische beginnt.

Auch im Gasthaus "Alpenrose" am oberbayerischen Samerberg servieren sie einen Strudel, über dessen Güte auch schon mal im 80 Kilometer entfernten München geschwärmt wird. Maria Wörndl, mittlerweile 97 Jahre alt, backt dort jeden zweiten Freitag mehrere Bleche Strudel, an den anderen Freitagen macht sie Dampfnudeln. Ihr Strudel ist außen knusprig und zartwandig, innen weich und nicht zu süß, und wenn er auch nicht kalorienarm ist, so wirkt er doch auf eine seltsame Art leicht. Es gibt ihn traditionell freitags als Hauptgericht, nicht als Dessert. "Keine Vanillesauce, kein Schnickschnack!", lautet das Motto von Wörndls Enkel Florian Lerche, der heute die Küche in der Alpenrose führt. Die besondere Note bekomme der Strudel dadurch, dass er im Holzofen gebacken werde, verrät er, und durch eine spezielle Zutat für die Füllung, von der später noch die Rede sein wird. Vorerst aber bleibt festzuhalten, dass es drei Strudelgeheimnisse sind, die sowohl in der Alpenrose ernstgenommen als auch bei den Schafhubers von Generation zu Generation weitergereicht werden: viel Butter, hauchdünner Teig und dünn geschnittenes Obst. Damit kommt ein Strudelbäcker schon mal sehr weit.

Der Strudel stammt vermutlich aus dem arabischen Raum und ist eine Weiterentwicklung eines gefüllten Fladenbrotes, gesichert ist das aber nicht. Nach der Eroberung Konstantinopels gelangte er über die Türkei und die Balkanroute nach Ungarn und Österreich - ursprünglich als besonders haltbare Marschverpflegung. Viele behaupten deshalb, dass man nur in Wien den einzig wahren Apfelstrudel finde. Und als eine der ersten Adressen gilt bis heute das Hotel Sacher. Da werden jeden Monat 1,3 Tonnen Apfelstrudel hergestellt, für durchschnittlich 250 Portionen am Tag. Der junge deutsche Chef-Patissier Michael Klein wacht streng darüber, dass seine Gehilfen das Originalrezept einhalten. Alle Zutaten werden aufs Gramm genau nach den traditionellen Vorgaben des Hauses abgewogen.

Wie bei den meisten vermeintlich einfachen Dingen kommt es beim perfekten Apfelstrudel auf die Feinheiten an, auf die richtigen Zutaten und das gewisse Händchen. Aber was ist perfekt, und was sind die richtigen Zutaten? Es geht schon mit der Auswahl der Äpfel los. Und da haben die Bäcker unterschiedliche Vorlieben. Sie sollen eher sauer sein als süß, nicht mehlig, aber auch nicht zu hart, sagt Susi Schafhuber aus Hinterthal. Boskop sei eine ideale Sorte. Wenn es eher süßere Äpfel gibt, nimmt sie mehr Zitronensaft für die Füllung. Maria Wörndl verwendet in der Alpenrose nur Äpfel, die sehr fest sind, zum Beispiel Elstar, eine Sorte, die beim Backen wenig Flüssigkeit verliert. Michael Klein dagegen kauft für den Sacher-Strudel süßliche Sorten wie Golden Delicious ein, die dann mit Zitronensaft beträufelt werden. "Wichtig ist, dass die Äpfel immer ganz frisch verarbeitet werden und knackig bleiben, die Füllung soll sich nicht wie Apfelmus anfühlen", sagt er.

Beim Teig ist Geduld und Fingerspitzengefühl gefragt. "Er muss möglichst lange rasten, sonst wird er nicht geschmeidig genug", sagt Susi Schafhuber. Außer Mehl, Wasser, etwas möglichst geschmacksfreiem Öl und einer Prise Salz kommt nichts hinein. Sie knetet den Teig am Vorabend von Hand und lässt ihn dann bis zum nächsten Morgen ruhen. Nach dem Frühstück geht es dann ans Ausziehen - ebenfalls von Hand, ein Nudelholz kommt nicht zum Einsatz. Auch im Gasthaus Alpenrose zieht die Oma den Teig von Hand aus. Maria Wörndl verwendet Öl, um ihn elastisch zu machen, zum Ausfetten der Form nimmt sie dagegen Butter. Im Hotel Sacher wird der Teig von der Maschine geknetet, aber von Hand mit einer speziellen Hausmethode behandelt: Zwei Personen ziehen den Teig über einen Tisch, bis er vier Meter lang ist, das grenzt an Akrobatik.

Zusammensetzung und Würze der Füllung ist dann am ehesten eine Geschmacksfrage. "Sie soll nicht zu dick sein, nicht matschig werden und hauptsächlich nach Apfel schmecken", finden die Frauen aus dem Hause Schafhuber. Die einen nehmen Mandeln, die anderen Walnüsse, Susi Schafhuber aber schwört auf grob gehackte Haselnüsse. Um den austretenden Saft aufzufangen, kommen außerdem Semmelbrösel in die Füllung. Auf Äpfel und Nüsse streut sie eine halbe Handvoll (dunkle) Rosinen, darüber zwei bis drei Esslöffel Zucker. Zimt verwendet sie nie für ihren Strudel, weil der den Apfelgeschmack zu stark überlagert.

Zimt und Zucker? Für den einen Bäcker ein Muss, für den anderen eine Sünde

Der klassische Sacher-Apfelstrudel dagegen wird mit Zimt und Zucker gemacht, das Besondere an der Füllung sind die Rosinen, die mehrere Tage lang in Rum eingelegt werden. Im Gasthaus Alpenrose setzt Maria Wörndl andere Prioritäten. Sie verzichtet ganz auf Rosinen und verwendet nur ganz wenig Zimt und Zucker für die Füllung. Ihr Geheimnis aber ist eine andere Zutat: Sie reichert die Apfelfüllung mit Sahne an, die nicht ganz steif geschlagen ist. Das gibt eine cremige Bindung. Dafür kommt keine Butter in die Füllung des Alpenrose-Strudels.

"Mit der Butter nicht sparen, hat meine Mutter immer gesagt", kommentiert dagegen Susi Schafhuber in Hinterthal, während sie den Strudel eine Handbreit einschlägt und mithilfe eines Küchentuchs vorsichtig einrollt. Das hat sie sich sehr zu Herzen genommen. Sie greift nach einem kleinen Topf mit geschmolzener Butter und gießt eine ordentliche Portion davon auf das duftende Apfel-Nuss-Gemisch. Susi Schafhuber ist tatsächlich eine Strudel-Virtuosin, für die Zubereitung braucht sie höchstens zehn Minuten. Drei bis vier verschiedene Sorten backt sie jeden Morgen, je nach Saison stehen neben Apfel- und Topfen auch Zwetschgen-, Marillen-, Rhabarber-, Erdbeer-, oder pikanter Eierschwammerlstrudel auf der Karte.

Der Strudel liegt nun auf einem Backblech, das mit Backpapier ausgelegt ist, und wird von Susi Schafhuber nochmals versüßt. Sie kocht Butter und Honig zusammen auf und pinselt den Strudel großzügig mit der klebrigen Masse ein - ein weiterer Schafhuber-Kniff. Nach einer Stunde im Rohr bei 160 Grad steht das Ergebnis dampfend und wunderbar duftend auf dem Tisch, zusammen mit einer ordentlichen Portion Sahne und Kaffee.

Streng genommen entspricht schon die Sahne als Beigabe nicht unbedingt der österreichischen Tradition, ebenso wenig wie Eis oder Vanillesauce. Doch auch im Hause Schafhuber ist natürlich vor allem entscheidend, was schmeckt. "Wir werden das Rezept nicht verändern", sagt Susi Schafhuber, und auch ihre Tochter Laura will alles so belassen, wenn sie einmal die Strudelhoheit in Hinterthal übernimmt. Am Ende ist der perfekte Apfelstrudel eben auch eine Glaubensfrage. Er wird so gemacht, "wie wir es immer schon gemacht haben". Überall. Und überall ein kleines bisschen anders.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4136910
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.09.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.