Essen und Trinken:Der neue Maßstab

Silio del Fabro

Kocht auf höchstem Niveau in historischem Ambiente: Silio Del Fabro.

(Foto: restaurant esplanade)

Immer wieder muss das Saarland für Größenvergleiche herhalten. Dabei spielt es in Genussfragen längst in einer eigenen Liga.

Von Patricia Bröhm

Donnerstags ist Biomarkt auf dem Max-Ophüls-Platz im Saarbrücker Nauwieser Viertel. Unter den alten Platanen haben Produzenten aus der Region ihre Stände aufgebaut. Ein junger Mann mit schwarzem Bart, schwarzgerahmter Brille und schwarzer Kochkluft probiert bei der "Bliesgaumolkerei" hochkonzentriert verschiedene Ziegenkäse durch. Silio Del Fabro ist Stammkunde hier, sein Restaurant Esplanade liegt in der imposanten Gründerzeitvilla, an die der Markt angrenzt. 1890 als Schulhaus erbaut, wurde sie von einem Saarbrücker Unternehmer aufwendig restauriert und beherbergt heute neben dem Gourmetrestaurant auch 16 stilvolle Hotelzimmer.

Fast täglich fährt vor dem Haus ein Mitarbeiter der solidarisch bewirtschafteten "Stadtgärtnerei" mit dem Lastenfahrrad vor, reich bepackt mit Gemüse und Kräutern. "Die Gärtnerei liegt fünf Fahrradminuten entfernt am Stadtrand", sagt Del Fabro. "Frischer geht es nicht." Den Spinat serviert er, à la minute sautiert, zum Kalbsbries mit Salzzitrone und Trüffeljus, aus dem Spitzkohl bereitet er ein Kimchi, das perfekt zum Schweinebauch passt. Und die Honigtomaten kocht er zur intensiv duftenden, mit französischer Salzbutter aufgemixten Nage ein, die den bretonischen Rochenflügel mit geschmolzenem Kalbskopf umspielt.

Wie viele Küchenchefs der jungen Generation setzt der 33-Jährige, wo immer es geht, auf heimische Produkte. Sein Lamm etwa stammt aus der Biosphärenregion Bliesgau: "Die Tiere grasen dort frei auf der Weide, wir nehmen sie grundsätzlich im Ganzen ab und verarbeiten alles." Für sein "Duett vom Lamm" brät er den Rücken rosa, die Schulter schmort er und packt sie in ein kleines Dim Sum, dazu gibt es Artischockenvariation, Zwiebelcreme und den mit Estragon verfeinerten Lammjus. Maître-Sommelier Jerôme Pourchère schenkt dazu einen 2014 Cru Bourgeois vom Château Rollan de By aus dem Médoc ins Glas. Die Gäste schätzen Del Fabros zeitgemäße Interpretation klassischer Haute Cuisine, die verrät, dass der gebürtige Saarländer viel Zeit in einigen der profiliertesten Küchen Deutschlands verbracht hat: bei Helmut Thieltges im Eifler Waldhotel Sonnora, bei Heinz Winkler im oberbayerischen Aschau und zuletzt sechseinhalb Jahre beim Saarbrücker Drei-Sterne-Koch Klaus Erfort, dessen Souschef er war.

Im Grenzgebiet zu Frankreich und zu Luxemburg hat Genuss schon immer eine Rolle gespielt

"Hauptsach, gudd gess", so bringen die Saarländer von jeher ihre genussfreudige Lebenseinstellung auf den Punkt. In der Grenzregion zu Lothringen und Luxemburg spielte französisches Savoir-vivre und damit auch die Wertschätzung guter Küche schon immer eine wichtige Rolle. Im Bliesgau, der idyllischen Hügellandschaft im Südwesten von Saarbrücken, setzen engagierte Produzenten zunehmend auf nachhaltige Wirtschaftsweise. In der Käserei Neukahlenberger Hof lässt man Bergkäse aus Bio-Weidemilch im Gewölbekeller reifen, die Ölmühle auf Gut Hartungshof erzeugt Leindotter-, Mariendistel- sowie Walnussöl, und Peter Dawo vom alten Forstgut Lindenfels beliefert Saarbrückens Restaurants mit Wild.

Neu im winzigen Saarland, das nicht mal ein Prozent der Fläche Deutschlands ausmacht, ist dagegen die ausgesprochen dynamische Entwicklung auf Gourmetniveau, seit gleich drei junge Talente ihren ersten Michelin-Stern erkochten. Die Küchenstile von Silio Del Fabro, Martin Stopp und Marc Pink sind unterschiedlich, aber es gibt einen gemeinsamen Nenner: Alle drei gingen durch die Schule von Klaus Erfort, der 2007 seinen dritten Stern erkochte und Saarbrücken damit auf die kulinarische Landkarte setzte.

Essen und Trinken: Der Pate: Klaus Erfort hält drei Sterne und setzte Saarbrücken auf die kulinarische Landkarte.

Der Pate: Klaus Erfort hält drei Sterne und setzte Saarbrücken auf die kulinarische Landkarte.

(Foto: Axl Klein)

Das Gästehaus Klaus Erfort ist bestes Beispiel dafür, wie ein einzelnes Restaurant die gastronomische Kultur einer ganzen Region prägen und vorantreiben kann. In der schneeweißen Villa an der eher nicht so pittoresken Mainzer Landstraße werden nach wie vor kulinarische Maßstäbe gesetzt, ein Besuch hier ist Pflicht, um die Entwicklungen an der Saar zu verstehen. Drinnen erwarten den Gast blankgewienertes Parkett und weißgedeckte Tische, die Sonne fällt durch die bodentiefen Fenster zum grünen Garten. Erfort zählt zu den größten Köchen Deutschlands, aber die Atmosphäre ist so saarländisch unprätentiös wie der Chef. Der 48-Jährige ist keiner jener Köche, die das Rampenlicht suchen und mehr Zeit vor Fernsehkameras oder auf Events aller Art verbringen als in der eigenen Küche. Statt große Worte zu machen, lässt er lieber seine Teller für sich sprechen.

Ein Klassiker ist der Kaisergranat auf Meersalz, der im gußeisernen Topf serviert wird. Das im Dampf nur ganz kurz gar gezogene Schalentier ist innen noch glasig und schmeckt so intensiv nach Meer, dass man sich für einen Moment an der bretonischen Küste glaubt. Ein leichtes, modernes Gericht, dabei urklassisch zubereitet. In seiner Reduktion auf das Wesentliche ist es geradezu exemplarisch für Erforts Stil, der auch seine Schüler prägte. Silio Del Fabro beeindruckte vor allem "die unfassbare Klarheit der Aromen", Martin Stopp der "Purismus und die Präzision auf dem Teller". Für Marc Pink sind es "der Perfektionismus und die Leidenschaft für das Produkt", er erinnert sich noch gut an das Funkeln in den Augen seines Lehrmeisters, wenn ein perfekter Rehrücken oder ein bretonischer Steinbutt angeliefert wurden.

Hotel Restaurant Landwerk - Wallerfangen Saarland

Marc Pink

Mark Pink kocht in Wallerfangen und zählt zu den Shooting Stars der Region.

(Foto: Jennifer Weyland)

Auch der erst 29-jährige Marc Pink, dessen Arme großflächige Tattoos schmücken, zählt zu den Shooting Stars der Region. Er kocht im beschaulichen Wallerfangen, wo man als Besucher überrascht ist, in einer ruhigen Wohnstraße ein Konzept wie das Landwerk zu entdecken. In einem denkmalgeschützten Gebäude, einst Teil des Keramikimperiums von Villeroy & Boch, entstand ein ambitioniertes Restaurant mit Hotelzimmern und coolem Loungebereich. Eine Original-Leuna-Zapfsäule steht in der Ecke, die Wände schmücken Kaffeesäcke aus aller Herren Länder - ein sehr urbanes Ambiente. Auch das Restaurant nebenan wirkt mit dunklem Dielenboden und Designerlampen cool durchgestylt, Pinks Küche wiederum verrät den Streifzug durch die Küchen großer Lehrmeister (neben Erfort auch Christian Jürgens und Sven Elverfeld): sein pochiertes Störfilet, auf Spinat gebettet und von Austern-Beurre Blanc umspielt, trifft perfekt die Balance zwischen Zartheit und Biss, sein Pfirsich Melba ist eine zeitgemäße Neuinterpretation mit federleichter Vanille-Espuma und hausgemachtem Himbeersorbet.

Im benachbarten Saarlouis, das seinen Namen der Gründung durch Sonnenkönig Ludwig XIV. verdankt, war man zwar schon immer stolz auf die Genussfreude à la française, die sich nicht zuletzt in einer dynamischen Kneipen- und Barszene ausdrückt. Aber als Besucher erwartet man im 35 000-Einwohner-Städtchen definitiv kein Haus von der Klasse des La Maison: Günther Wagner aus der gleichnamigen Pizza-Dynastie verwandelte das historische Gebäude des ehemaligen Oberverwaltungsgerichts in ein urbanes Designhotel mit 50 Zimmern und Suiten, dazu ein französisches Bistro sowie das Gourmetrestaurant Louis. Im ehemaligen Richtersaal sitzen die Gäste abends auf schilfgrünen Samtpolstern unter einer imposanten Lampenskulptur und grillen Häppchen vom japanischen Wagyu-Rind am Tisch über Binchotan-Holzkohle, um sie anschließend in ein Shisoblatt zu wickeln und mit fermentiertem Knoblauch und Wassermelone zu genießen.

Essen und Trinken: Bedient sich gern aus der globalen Aromenkiste: Martin Stopp in Saarlouis.

Bedient sich gern aus der globalen Aromenkiste: Martin Stopp in Saarlouis.

(Foto: Steve Herud/La Maison Hotel)

Eine ganze Parade solch gewitzter Amuse-Bouches bildet die Vorhut zu Martin Stopps Gourmetmenü, das sich gern aus der globalen Aromenkiste bedient - katalonischen Thunfisch serviert er mit Sojamarinade und Sudachi-Zitrone glasiert, die Wildentenbrust im Hauptgang glasiert er mit Thymian und Orange, um sie dann mit arabischem Baharat-Gewürz abzurunden. Eine Weltläufigkeit, die im kulinarischen Grenzverkehr auch viele Franzosen und Luxemburger ins Haus bringt.

Vor Corona fand das Saarland nicht die touristische Beachtung, die es verdient hätte. Jetzt entdecken viele seine Schönheit

Die Saarländer sehen ihr Land gern als "geographisch im Herzen Europas gelegen". Tatsache aber ist, dass das Mini-Bundesland mit knapp einer Million Einwohner bundesweit als touristisches Ziel lange wenig Beachtung fand. Das ändert sich gerade, nicht nur dank der engagierten Unternehmerpersönlichkeiten, die neuerdings in Gourmetrestaurants und Boutiquehotels investieren, sondern auch durch Corona. Die Pandemie bringt die Deutschen dazu, lieber die Schönheiten des eigenen Landes zu entdecken, als in den Ferienflieger an die Costa Brava oder auf die Malediven zu steigen. Und so gewinnt auch Saarlouis neue Fans. "Neulich stieg ein junges Pärchen aus der Berliner IT-Szene eine ganze Woche bei uns ab, um hier Urlaub zu machen", sagt Wagner. Die beiden besuchten Weingüter an der Saar und die Völklinger Hütte, als Industriedenkmal ist sie Unesco-Weltkulturerbe. "Das wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen."

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