Essen und Trinken:Die Frau, die israelische Küche hip machte

Essen und Trinken: Haya Molcho ist das Aushängeschild der Neni-Restaurantgruppe, ihre Söhne sind das Rückgrat, ihr Mann ist die moralische Stütze.

Haya Molcho ist das Aushängeschild der Neni-Restaurantgruppe, ihre Söhne sind das Rückgrat, ihr Mann ist die moralische Stütze.

(Foto: Nuriel Molcho/Brandstätter Verlag)

Alles begann in Wien auf dem Naschmarkt. Inzwischen führt Haya Molcho mit ihren Söhnen erfolgreich ein Restaurant-Imperium.

Von Claudia Fromme

Ein paar Schritte sind es nur von der Straße in den Garten, und sofort ändert sich die Geruchskulisse. Die Straße hier in Klosterneuburg nahe Wien riecht nach Sommerhitze, die auf Asphalt brennt, staubig und ölig von den parkenden Autos. Durchschreitet man das kleine Tor der Jugendstilvilla, ist es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Ein Feigenbaum wiegt seine milde duftenden Früchte im Wind, sein Nachbar ächzt unter der Last reifer Quitten. Tomaten würzen die Luft, Basilikum, marokkanische Minze. Alles wächst übereinander und untereinander und nebeneinander.

Mitten im Beet steht Haya Molcho, 63, und blickt zufrieden auf Maispflanzen, die sich staubtrocken in die Luft recken. "Die Kolben sind jetzt genau richtig", ruft sie und rupft an den Blättern. Für Freunde exakter Pflanzreihen ist ihr Garten nichts, für Menschen, die verstehen wollen, warum Haya Molcho so erfolgreich ist, gibt das kuratierte Chaos gleichwohl viele Hinweise.

Haya Molcho hat die israelische Küche in Österreich etabliert, nicht in der Nische, sondern als hippes Großstadtding. Vor fast zehn Jahren hat sie mit ihren Söhnen das "Neni" eröffnet, am Wiener Naschmarkt. In dem Lokal wird seither nicht mehr Tafelspitz und Palatschinken kredenzt wie zuvor, sondern Tomaten-Makrelen-Salat mit Granatapfel, Curry-Mango-Hummus, karamellisierte Auberginen - alles zum Teilen. "Niemand hielt es für möglich, dass die Wiener gemeinsam mit den Fingern von einer Etagere essen", sagt Haya Molcho und lacht. Sie tun es, das Lokal ist immer voll.

Inzwischen gibt es Restaurants in Berlin, Hamburg, Köln und München, in Zürich und Port de Sóller auf Mallorca, bald in Paris und Amsterdam, meist in den zeitgeistigen Hotels der 25-Hours-Kette. Dazu produzieren die Molchos in Wien für Supermärkte Klassiker wie Falafel und Babaganusch, in Deutschland gibt es sie bei Edeka. Allein bis zu 15 000 Packungen Hummus verlassen die Fabrik täglich. Im nahen Gumpoldskirchen ist eine neue Produktion nebst Zentrale geplant, im kühn geschwungenen Stil des israelischen Bauhauses, wie in der "Weißen Stadt" in Tel Aviv. Und es gibt eine Kochschule und fünf Kochbücher.

Alles läuft übereinander und untereinander und nebeneinander, und die Patriarchin orchestriert alles wie ihren Garten. Wenn man sie zu Hause besucht, verwundert es nicht, dass es auch in ihrer Familie lebhaft zugeht. An diesem Morgen sitzen sie am Holztisch in der Villa voller Kunst, Bücher und Ikea-Gläser mit fermentierenden Gurken und frühstücken. Avocadomus gibt es, Hummus, Sauerteigbrot, Käse und Carrot Cake, der vom israelischen Neujahrsfest Rosch Haschana übrig geblieben ist.

Essen und Trinken: Nuriel Malchos erstes Restaurant war das "Neni" am Naschmarkt.

Nuriel Malchos erstes Restaurant war das "Neni" am Naschmarkt.

(Foto: Nuriel Molcho/Brandstätter Verlag)

Loslegen, auch wenn alles wie ein großes Durcheinander wirkt

Nuriel, 34, Elior, 31, und Ilan, 30, die sich um Marketing, Personal, Finanzen und die Supermärkte kümmern, sind da. Der vierte Sohn, Nadiv, 28, fehlt, er ist Schauspieler und lebt in Los Angeles. Ihre Anfangsbuchstaben ergeben: Neni. Sie reden Hebräisch und Deutsch mit Wiener Schlag mit den Eltern und Englisch untereinander, alle haben in den USA oder England gelebt. Sie sagen: "We are doers, not thinkers." Loslegen, auch wenn alles wie ein großes Durcheinander wirkt, das ist ihre Maxime. "In Israel schämt man sich nicht, wenn man Fehler macht, sondern dass man es nicht probiert hat", sagt Nuriel Molcho. Am Naschmarkt war es erst hart, auch weil sie nie ein Lokal geführt hatten, es dauerte, bis jeder seine Rolle fand. Sie schufteten weiter, weil ihr Bauch sagte: Haltet durch, das wird.

Der Kopf ist Samy Molcho. Der Ehemann und Vater sitzt am Ende des Tisches, und wenn Haya gestikulierend die israelische Küche oder die Politik erklärt und die Wellensittiche namens Vogel 1 und Vogel 2 im Käfig wild dazu zwitschern, lächelt er fein. In Wohnzimmern in aller Welt stehen die Bücher des berühmten Pantomimen, der die Wirkung der Körpersprache schon erklärt hat, als viele das noch für esoterischen Quatsch hielten. Neni sei fremdes Territorium, sagt er. "Damit habe ich null zu tun", hebt er abwehrend seine Hände. Seine Frau lacht, in den Anfangszeiten hat er bis in die Nacht am Naschmarkt Hummus gerührt, aber Anteilseigner ist er nicht. Lange war Haya immer die Frau von Samy, der Neni-Mitarbeiter bisweilen in Körpersprache schult. In Österreich ist nun fast Gleichstand. Und wer Haya noch nicht kennen sollte, dem ruft sie von Schildern am Kühlregal im Supermarkt entgegen: "Was du gerne machst, machst du gut!"

Haya Molcho ist das Aushängeschild, ihre Söhne sind das Rückgrat, ihr Mann ist die moralische Stütze. Neue Köche arbeiten erst einmal einen Monat lang mit Haya Molcho. Sie müssen schmecken, wann Tahina, die Sesampaste, nicht mehr gut, wann ein Gericht überwürzt ist, sagt sie. "Die Zunge muss stimmen", alles andere könne man lernen. Einfach sei die Suche nach Köchen nicht, weil es für viele noch eine fremde Küche sei. Darum wirbt sie auch in Tel Aviv Personal an. Die Gerichte aber erfindet sie. Gerade tüftelt sie an Burrata mit karamellisierten Orangen und Olivenöl als Dessert.

Sie fragte überall nach, ob sie in der Küche helfen kann

Haya Molcho ist erst ein paar Tage zurück aus Tel Aviv, ihrer Geburtsstadt und auch der ihres Mannes. In der Nähe des Carmel-Marktes haben sie eine Wohnung. Durch einen Zufall lernten sie sich kennen. Samy Molcho saß auf einem Flug von Wien nach Bremen 1973 neben ihrem Vater, einem Zahnarzt, der von Tel Aviv nach Deutschland gezogen war. Er zeigte Fotos von seinem Haus, seinem Auto - und seiner Tochter. "Das ist eine Frau zum Heiraten", habe er sich gedacht, sagt Samy Molcho, während er sein Brot ins Avocadomus tunkt.

Fünf Jahre warb der 19 Jahre ältere Mann um die Studentin der Psychologie und Philosophie, es wurde Liebe daraus, sie heirateten, zogen sieben Jahre lang um die Welt, immer dahin, wo Samy Molcho Engagements hatte. Haya Molcho ist kein Mensch, der untätig sein kann, also folgte sie ihrer Leidenschaft und fragte in Restaurants, ob sie in der Küche mithelfen kann - in Indien, Marokko, Thailand, China. "Die Zeit hat mich sehr beeinflusst", sagt sie. Menschlich, wie kulinarisch. Die Kinder kamen, vier in fünf Jahren, als sie groß waren, startete sie in Wien durch. Anfangs mit Catering, dann mit einem Stand auf dem Naschmarkt, dann mit dem Lokal.

Doch Tel Aviv blieb der Anker, diese Stadt, die für Haya Molcho nach salzigem Meer riecht und Sabich, dem Pitabrot mit Auberginen, Eiern und Hummus, die alte Sabbatspeise der irakischen Juden. Mit ihren Söhnen hat sie ein neues Kochbuch geschrieben, das "Tel Aviv" heißt, bei Brandstätter erschienen ist und eine kulinarische und gesellschaftliche Würdigung der Stadt ist. Darin gibt es Porträts erstaunlicher Menschen. Einen Food-Blogger, der Taxi fährt und die besten Restaurants der Stadt kennt, Sommeliers, die zweifeln, ob man Wein von den besetzten Golanhöhen empfehlen darf - und den Holocaust-Überlebenden Mati Landstein, 89, dessen Familie von den Nazis ermordet wurde und der seit 1974 eine Kneipe in Tel Aviv betreibt. "Unbedingt musste er in das Buch", ruft Haya Molcho. "Seine Geschichte gehört zum Leben der Stadt." Sie habe ein Buch machen wollen, das mehr liefert als nur Rezepte.

"Im Nahen Osten ist jeder Bissen politisch"

Viele Porträtierte haben ihr Rezepte geschenkt, Haya Molcho hat sie in Tel Aviv nachgekocht und auch eigene Gerichte entwickelt. Sie spricht selten von "israelischer Küche", nie von "levantinischer Küche", wie Trendforscher sie seit einiger Zeit feiern, weil man die Mezze nicht nur zeitgemäß am Tisch teilen kann, sondern die Speisen vor allem vegetarisch sind und voll aromatischer Kräuter. Haya Molcho kombiniert klassische Gerichte mit Aromen aus Asien, Afrika, Europa. Sie nennt das "orientalische Weltküche", und in der finden sich Tamarinden, Sake, Sojasoße genauso wie Popcornmais in der Falafel und Burrata im Dessert. "Meine Küche ist eine Frechheit", sagt sie. "Ich kombiniere alles mit jedem."

Das entspreche sowieso dem Geist ihrer Heimat. "Israelische Küche gibt es nicht", sagt sie, natürlich hängt das mit der Geschichte des Staates zusammen. Es sei immer eine Küche der alten arabischen Traditionen gewesen, die sich ständig durch Einflüsse aus "all den jüdischen Gemeinden in der Diaspora" verändert habe, die nach Israel kamen. In den Vierzigern aus Deutschland und dem übrigen Europa, später aus dem Jemen, Irak und anderen arabischen Ländern, dann aus Osteuropa und Äthiopien. "Jede Mutter hat ihre Gerichte mitgebracht, irgendwann vermischten sie sich", sagt Haya Molcho. Ihre Eltern sind in Bukarest geboren, die Kunst des Fermentierens kennt sie von ihrer rumänischen Familie.

Erst in den vergangenen Jahren trugen junge israelische Köche die Klassiker ihrer Heimat modern interpretiert in die Welt. Yotam Ottolenghi, in Jerusalem geboren, ist einer von ihnen. Der Starkoch aus London sagte einmal: "Im Nahen Osten ist jeder Bissen politisch." Ist er das? In schöner Regelmäßigkeit streiten sich Araber und Israelis darum, wer Hummus oder Falafel erfunden hat. Und? Haya Molcho ruft: "Die Araber!" Samy Molcho ruft: "Die Israelis!" Es ist immer auch eine Frage, welche Rezeptur man zugrunde legt. Kichererbsen, die Grundlage beider Gerichte, werden seit Jahrtausenden im Nahen Osten angebaut.

Die Molchos sind immer in Bewegung. Sitzen sie alle zusammen am Tisch, wird leidenschaftlich Geschäftliches diskutiert, etwa die Suche nach neuen Lieferanten. Einer für Dattelsirup soll gefunden werden, ein weiterer für Tahina, eine maßgebliche Zutat für Hummus. Weil Neni ständig expandiert, stößt der Stammlieferant in Har Bracha, dem israelischen Siedlergebiet im Westjordanland, an seine Grenzen. Mehr als 100 Tonnen Tahina aus der Steinmühle kommen jährlich im Hafen von Wien an und machen den Hummus der Molchos zu einer besonders samtigen Angelegenheit.

Wann eröffnen sie das erste Restaurant in Tel Aviv? Samy Molcho hebt abwehrend die Hände. Vogel 1 und Vogel 2 drehen auf. "Niemals!", ruft Haya Molcho. "Da machen wir Urlaub, da wollen wir nicht arbeiten." In Tel Aviv gebe es eine so gute Küche, da brauche sie keiner. Allerhöchstens würde sie da Wiener Schnitzel braten, sagt Haya Molcho. Das wäre noch eine Marktlücke.

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