Süddeutsche Zeitung

Essen & Trinken:Schwein gehabt

Wer auf Weingütern Tiere hält, erntet bessere Trauben. Die Winzer in Österreichs Weinviertel wussten das schon immer. Lange wurden sie dafür verlacht. Nun sind sie ein Vorbild.

Von Patrick Hemminger, Bad Pirawarth

Post vom Weingut Holzmann, es ist Schlachttag. Zwei bis drei Mal im Jahr bekommen die Kunden eine Mail. Wer schnell ist, ergattert eine Reservierung für eines der Fünf-Kilo-Pakete zu 80 Euro. Darin sind Rinderknochen, Fleisch zum Kochen, Braten, Schmoren sowie ein paar Edelteile. Viele Kunden reisen dafür extra aus Wien ins Dörfchen Bad Pirawarth. Österreichs Hauptstadt ist nur eine Dreiviertelstunde entfernt. Und wer dann schon mal da ist, nimmt gerne noch die eine oder andere Kiste Wein mit. "Für die Kundenbindung ist das eine tolle Sache", sagt Nina Holzmann, und ihr Mann Karl, mit dem sie gemeinsam das Weingut führt, ergänzt: "Außerdem können wir den Mist der Tiere gut für die Düngung in den Weingärten gebrauchen."

Die Tiere, das sind acht Schottische Hochlandrinder, die auf einer Wiese außerhalb des Dorfes stehen - ein Hobby von Karl Holzmann senior. Als er hier noch an der Spitze stand, war das ein gemischtlandwirtschaftlicher Betrieb. Vier Hektar Wein, zehn Hektar Acker und eine Intensivmast für Kühe. So sahen Höfe früher überall aus. Doch das Weinviertel ist die einzige Region Westeuropas, in der sich diese Tradition erhalten hat.

Das Weinviertel liegt im Osten Österreichs an der Grenze zur Tschechischen Republik und zur Slowakei. Seit jeher war es eine arme, landwirtschaftlich geprägte Gegend. Die Dörfer ducken sich in die Senken zwischen den Hügeln. So sind sie geschützt vor dem Wind, so waren sie verborgen vor den Heeren, die in der Vergangenheit häufig hier durchzogen, auf ihrem Feldzug nach Wien. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Österreich in Viertel aufgeteilt, und die Namen benannten, was damals prägend für die Gegenden war - Waldviertel, Mostviertel, Industrieviertel und eben das Weinviertel, das immer als etwas rückständig galt. Vor dem Zerfall der Sowjetunion war die Grenze zum Ostblock nicht weit, und das, so sagen die Menschen hier, ist immer noch zu spüren. Erst in der jüngeren Vergangenheit ändert sich das.

"Wenn der Boden nichts kann, dann kann die Rebe auch nichts."

Die Region ist Österreichs größte Weinbaugegend, und lange hatte sie keinen guten Ruf. Der Wein war auf den Höfen immer nur ein Produkt von mehreren, manches wurde nur für den Eigenbedarf produziert. Das liegt auch an den vielen Hügeln, die das Weinviertel prägen. Auf ihren sonnigen Südseiten wächst der Wein, dem es auf den Nordseiten zu kühl ist. Getreide etwa fühlt sich aber auch dort wohl. Im Weinviertel sind die Böden fruchtbar, fast alles wächst gut. So waren die Landwirte nie gezwungen, nur auf den Wein zu setzen. Anders als in der schon lange für ihren Wein berühmten Wachau - dort lassen sich nur Reben anbauen. Erst in den 80er-Jahren begannen manche Landwirte auch im Weinviertel damit, sich auf den Weinbau zu spezialisieren und ihre Äcker zu verpachten. Damit stieg einerseits nach und nach die Qualität. Die wichtigste Rebsorte ist der Grüne Veltliner, der hier oft frischer und leichter ausfällt als in anderen Gegenden Österreichs. Andererseits stellten die Winzer fest, dass die Qualität auch davon profitiert, wenn sie zumindest einige Traditionen aus der gemischten Landwirtschaft beibehalten.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Weingärten von Maria Faber-Köchl aus Eibesthal, auch hier steht hauptsächlich Grüner Veltliner. Die Winzerin heiratete in die Familie eines Landwirtes, der klassisch zwölf gemischte Hektar bewirtschaftete. "Auf Landwirtschaft hatte ich damals keine Lust, ich wollte nur Weinbau machen", sagt die 53-Jährige. Sie begann mit fünf Hektar Weingärten, deren Trauben sie aufwendig in einem alten, unpraktischen Kelterhaus verarbeitete. Zehn Jahre ging das so, dann sagte sie sich: ganz oder gar nicht.

Also investierten sie, bauten eine neue, moderne Kellerei. Aber bald merkte die Winzerin, dass all die Technik ihren Weinen nicht immer guttat. "Als ich noch die alte Einrichtung hatte, dachte ich mir oft, wie toll es sein müsste, die Weine bei kontrollierten Temperaturen vergären zu können. Als ich das dann konnte, dachte ich mir: und jetzt?" Faber-Köchl stellte fest, dass ihre Weine langweiliger und austauschbar geworden waren, die Individualität war weg. Wer den Gärverlauf steuert, nimmt den Weinen einiges von ihrer Komplexität, hat aber ein vorhersehbares Ergebnis.

Also begann sie zu experimentieren. Als Erstes verwendete sie im Keller weniger Technik. Dann ließ sie in den Weingärten den Mineraldünger weg, brachte stattdessen Kompost aus, säte Blumen und Kräuter zwischen den Rebstöcken. 2015 stieg ihre Tochter Anna mit ein, und gemeinsam stellten sie auf Bio um. Seitdem sind ihre Grünen Veltliner, Zweigelts und Cuvées anders geworden: komplexer, vielschichtiger und sehr individuell. Ihr Mann war mit allem einverstanden, hatte aber einen Wunsch: Schweine. "Er hat gesagt, er ist Bauer und er bleibt Bauer", sagt Faber-Köchl.

Deshalb leben heute, hinter der neuen Kellerei, Jahr für Jahr bis zu sechs Schweine. Sie sind das ganze Jahr über im Freien, haben viel Platz. Ihr Mist landet in den Weingärten, der ist besonders gut für die Wurzeln, sagt Faber-Köchl: "Das ist nicht fein, aber so ist das Leben: ein Kreislauf. Wir arbeiten mit der Erde. Wenn der Boden nichts kann, dann kann die Rebe auch nichts. Aber wenn es den kleinen Lebewesen im Boden gut geht, dann geht es auch der Rebe gut."

Ein gewöhnliches Mastschwein lebt vier Monate, die Tiere der Faber-Köchls werden bis zu eineinhalb Jahre alt. Dann werden sie mit einer Futterkiste zum örtlichen Schlachter gelockt, das sind gerade mal 200 Meter. Die Schweinehälften werden zu Speck verarbeitet, "wie man halt früher Speck gemacht hat: mit Zeit. Der reift ein paar Monate", sagt Faber-Köchl. Jetzt im Sommer, wenn sie den Buschenschank des Weinguts öffnet, wird die Köstlichkeit hauchdünn aufgeschnitten zum Glaserl Veltliner serviert. "Kundenbindung", sagt die Winzerin. Wer vorbeikommt, um Wein zu kaufen, nimmt gerne einen Speck mit und umgekehrt.

Noch einen Schritt weiter gehen sie auf dem Weingut Zuschmann-Schöfmann in Martinsdorf. Das Winzerpaar Else Zuschmann und Peter Schöfmann lässt seit einigen Jahren eine kleine Schafherde in den Weingärten weiden. Das klingt zunächst nach einer romantischen Art der Unkrautbekämpfung, ist aber deutlich mehr. Vor gut 15 Jahren übernahmen die beiden den Betrieb von Zuschmanns Eltern. 90 Prozent waren Landwirtschaft, nur zehn Prozent Wein. "Ein ganzheitlicher Betrieb, so wie es immer war", sagt Peter Schöfmann. Aber auch ein konventioneller Betrieb. "Man hat also keine klassischen Fruchtfolgen mehr eingehalten, sondern jedes Jahr Ertrag gemacht", sagt der Winzer.

Dafür aber braucht es Kunstdünger, Pestizide und Herbizide. All das setzen sie auf dem Weingut inzwischen nicht mehr ein. Um zu verstehen, warum, und was das mit den Schafen zu tun hat, muss man ein paar Jahrzehnte zurückblicken. "Die Problematik begann in den 50er-Jahren. Damals fing man damit an, den Landwirten Stickstoff zu verkaufen. Im Krieg hatte man den für Schießpulver gebraucht, nun suchte man eine neue Verwendung", erzählt Peter Schöfmann. Zu viel Stickstoff im Boden führt zu übermäßigem Wachstum, die Pflanze wirkt gesund. "Ist sie aber nicht", sagt Schöfmann, denn die Versorgung sei einseitig. Stickstoff und die zwei anderen wichtigen Mineralstoffdünger, Phosphor und Kali, bringen die Böden aus dem Gleichgewicht.

So richtig harmonisch wurden Zweigelt und Grüner Veltliner erst durch die Schafscheiße

Während man früher auf Wechselbepflanzung setzte, um die Böden nicht auszulaugen, entstanden nun große Monokulturen, die gespritzt werden mussten, unter anderem mit dem Totalherbizid Glyphosat - was übrigens mal als Kanalreiniger erfunden wurde. Böden, auf denen so Landwirtschaft betrieben wird, sind nach einigen Jahrzehnten am Ende. Sie bringen nur noch Ertrag, wenn die Düngerdosis erhöht wird. Wo Glyphosat versprüht wird, wächst irgendwann nur noch Moos. All das wollten Else Zuschmann und Peter Schöfmann nicht. Sie begannen also, ihre Böden langsam wieder aufzubauen. "Mit schwefelbasierter Düngung", sagt Schöfmann. "Mit sogenanntem Halbmist, das ist Mist mit viel Stroh aus den Ställen, oder Mist durch Beweidung." Im Klartext: Die Schafe mussten in den Weinberg. Ihr Mist belebt den Boden durch Kleinstlebewesen wie Bakterien, Würmer und Mikroben. Diese setzen tote organische Substanzen im Boden so um, dass die Pflanzen sie verwerten können.

Normalerweise dauere es sechs bis sieben Jahre, um den Boden wieder aufzubauen", sagt Schöfmann. "Aber wenn die Tiere im Weinberg sind, geht es schneller, nach zwei bis drei Jahren sieht man die ersten Erfolge." Das stellten die Winzer fest, als in einem Weingarten für ein paar Wochen die Schafe grasten und im anderen nicht. "Der Weingarten mit den Schafen hatte im Folgejahr deutlich besseren Ertrag, der Wein eine bessere Säure, und die Gärung verlief konstanter", sagt Schöfmann. Heraus kam ein runderer, harmonischerer Wein. Der Grüne Veltliner, der Zweigelt und die Burgundersorten von Zuschmann und Schöfmann zählen mit zum Besten, was man im Weinviertel trinken kann. Und im Frühherbst werden immer die jungen Böcke geschlachtet, die schmecken übrigens auch.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2018/ick
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