Süddeutsche Zeitung

Essen & Trinken:Immer der Nase nach

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Als Koch war er von der Industrieware enttäuscht. So begann Ingo Holland, sich mit Gewürzen zu befassen und eigene Mischungen zu kreieren. 20 Jahre später ist der Franke der gefragteste Gewürzmüller der Sterneküche.

Von Patricia Bröhm

Wenn Chili nach exotischen Früchten duftet, dann wird's gefährlich", sagt Ingo Holland und reicht eine Dose der Sorte Bird's Eye an. Der Duft ist verführerisch, komplex und wirkt harmlos, ist aber eben auch ein Hinweis auf Schärfe. Die kleinen roten Schoten aus Malawi verwendet Holland gerne im Ganzen, weil sie zum Beispiel geschmortem Fleisch eine volle, aber auch für europäische Gaumen gut verträgliche Schärfe verleihen. Erst zu Pulver gemahlen entwickelt Bird's Eye sein höllisches Feuer, doch selbst da ist noch Luft nach oben. "Vorsicht beim Riechen, das geht sofort auf die Schleimhäute" - mit dieser neuerlichen Warnung nimmt der Gewürzmüller mexikanischen Chili Habanero aus dem Regal. Und schließlich: Chili Bhut Jolokia aus Indien - einfach nur zum Heulen. "Der zweitschärfste Chili, den es derzeit auf dem Markt gibt", erklärt er fast stolz.

Viel wird heute in Deutschland angebaut: Schwarzkümmel, Safran, Senfsaat, Bockshornklee

Im Regal hinter Ingo Holland lagern 15 Chilisorten, und das ist nur ein Bruchteil des Angebots seiner Manufaktur, die man schon angesichts ihrer schieren Auswahl auch im indischen Kerala verorten könnte. Doch das "Alte Gewürzamt" liegt im fränkischen Klingenberg und ist eine Art Außenministerium der gehobenen Küchen zwischen Sylt und Tegernsee, zuständig für anspruchsvolle Fernbeziehungen und komplexe fremde Geschmacksbilder.

Denn durch Corona mögen Grenzen geschlossen und Flüge gestrichen worden sein; daran, dass die Globalisierung in deutschen Profiküchen so fest verankert ist wie nie zuvor, ändert es nichts. Besonders zeigt sich das beim Thema Gewürze: Ob seltene Chilisorten, koreanisches Gochujang oder die japanische Lakritzalge Matsubadaki - auf den Speisekarten wimmelt es von Exotika, mit deren Aromenwucht sich jedes Gericht aufwerten lässt. Die Köche sind mit jedem Jahr weltoffener, neugieriger, experimentierfreudiger geworden, was sich nur zu gut an der Nachfrage in Klingenberg ablesen lässt.

Herrn Hollands Gespür für Gewürze nahm seinen Anfang vor etwa 20 Jahren in der Kolonialwarenhandlung "Izrael" im Pariser Marais-Viertel, wo der Duft von Gewürznelken, Zimtblüten und Berglorbeer, angeboten in offenen Säcken, den Raum füllte. Ingo Holland arbeitete damals noch als Koch. Unzufrieden mit der Industrieware, die in Deutschland den Markt bestimmte, war er an die Seine gefahren, um für sein Sternerestaurant "Altes Rentamt" einzukaufen. "Es war wie eine Reise in eine neue Welt", erzählt er. "Ich ruinierte mich gleich und kaufte zentnerweise ein."

Wieder zu Hause begann er in der Küche mit den neuen Schätzen zu experimentieren und bald eigene Gewürzmischungen zu kreieren. "Ich war schon immer ein Nasenmensch", sagt der 62-Jährige, der in Klingenberg zwischen den Weinbergen des Vaters und der Küche der Mutter aufwuchs. Dazu kam seine Expertise als Koch, die er sich auch in den "Schweizer Stuben" in Wertheim unter dem späteren Drei-Sterne-Koch Dieter Müller erworben hatte.

Hollands Gewürzmischungen waren bei Kollegen und Privatkunden bald so gefragt, dass er 2007 die eigene Kochkarriere aufgab, um sich ganz der neuen Passion zu widmen. Zu seinen berühmtesten Kreationen zählt Purple Curry auf Basis von Hibiskusblüte, Bockshornklee, Macis, Ingwer, Gewürznelken, Kardamom und vielem mehr. Der Hibiskus verleiht dieser ungewöhnlichen Currymischung erdigen Geschmack und feinsäuerliche Frische, der harmonisch-runde Spannungsbogen macht sie vielseitig einsetzbar. Zum Renner aber wurde sie in Deutschlands Gourmetküchen dank ihrer dekorativ violetten Farbe - in etwas Öl angerührt, ließen sich damit herrliche Soßenschnörkel auf die Teller malen. Berühmt wurde Juan Amadors Brust von der Bresse-Taube mit ihrer pikanten Kruste aus Gewürzbrot und Purple Curry, kombiniert mit Mango, Kokos und Rote-Bete-Tauben-Jus. Bis heute ist die oft kopierte Gewürzkomposition aus der Spitzenküche nicht wegzudenken, in der "Ostseelounge" in Dierhagen verleiht sie als Creme einem Mecklenburger Rehrücken Weltläufigkeit, im Münchner "Les Deux" umspielt feinste Purple-Curry-Sauce eine zur Perfektion gebratene Bresse-Taubenbrust auf Topinambur-Confit.

Aber nicht nur für Profiköche, auch für Privatkunden (sie machen 90 Prozent der Klientel aus), wirkt ein Besuch in Hollands Gewürzladen in der malerischen Altstadt von Klingenberg mit ihren kopfsteingepflasterten Gassen höchst inspirierend. Ist der Meister selbst anwesend, gibt er gern Tipps mit auf den Weg, wie man mit exotischen Kondimenten auch klassischen deutschen Gerichten neuen Pfiff verleihen kann. Etwa mit der indischen Würzmischung Vadouvan, deren äußerst komplexe, durch Fermentation entstandene Aromatik immer wieder anders duftet, mal nach Brot, mal nach Zwiebel, mal nach Kardamom: "Eine Messerspitze davon in die Brühe, das peppt jeden Kartoffelsalat auf."

In der eigenen Küche setzt der Gewürzmüller gern Kala-Namak-Salz aus Indien zur Frankfurter Grünen Sauce ein: "Immer wieder ein Verblüffer, das Salz duftet und schmeckt intensiv nach hart gekochten Eiern." Auch eine Prise Garam Masala zum geräucherten Lachs wirkt Wunder: "Ihre Schärfe hebt den Geschmack." Zimtrinde aus Vietnam lässt der erfahrene Koch zur Kalbsleber in der Pfanne mitbraten oder, gemeinsam mit Sternanis, in einer Tomatensoße simmern, allerdings subtil dosiert, "es soll nicht nach Lebkuchen schmecken." Dosierung ist eine anspruchsvolle Disziplin. Die meisten nutzten eher zu viel als zu wenig, weiß Holland. Generell sollten Gewürze einfühlsam eingesetzt werden, denn: "Ein halbes Gramm zu viel kann ein Gericht kaputtmachen."

Was Köche an Holland-Gewürzen schätzen, ist nicht zuletzt die exzellente Qualität der Rohstoffe - damit setzt er sich von den Industrieprodukten namhafter Wettbewerber ab. Von seinen 45 Mitarbeitern sind zwei ausschließlich fürs Qualitätsmanagement zuständig. Ist ein Gewürz auf dem Weltmarkt nicht in der gewünschten Qualität aufzutreiben, nehmen sie es lieber aus dem Angebot, als minderwertige Ware zu verkaufen. Jasmin etwa ist derzeit zu pestizidbelastet, Szechuan-Pfeffer war aus dem gleichen Grund einige Jahre ausgesetzt, jetzt sind wieder drei verschiedene Sorten im Programm.

Der Chef selbst investiert viel Zeit in die Recherche, denn auch für ihn als Experten ist es nicht einfach, zuverlässige Quellen aufzutun. Zum Beispiel seine "Paprika-Odyssee": Vier Jahre war er auf der Suche nach einem Paprikabauern, auf den er sich verlassen kann und fand ihn schließlich im ungarischen Szegedin. Die Schoten sind empfindlich in der Lagerung, entwickeln leicht ölig-ranzige Aromen. Beste Qualität aber, wie Holland sie bezieht, hat eine tiefe, lange Fruchtigkeit. "Unser Paprika-Kernöl stammt aus erster mechanischer kalter Pressung, es ist tief dunkelrot, das gebe ich zu Hause über Pasta, ein Genuss!"

Holland ist überzeugt, dass deutsche Köche in Zukunft weniger in die Ferne schweifen müssen, wenn sie ihren Gerichten einen besonderen Kick verleihen wollen: "Das Thema Regionalität kommt auch bei Gewürzen." Denn "warum soll ich Kümmel aus der Türkei kaufen oder Bockshornklee aus Indien, wenn man ihn auch in Franken anbauen kann?" Ob Korianderkörner, Fenchel- oder Senfsaat - schon heute arbeitet er eng mit heimischen Bauern zusammen und bezieht rund 20 Prozent seiner Basisgewürze aus der Region: "Schwarzkümmel aus Churfranken schmeckt herrlich komplex. Und das Beste daran: Ich weiß genau, wo und unter welchen Bedingungen er wächst, ich habe mitten im Feld gestanden." Selbst mit Safran haben er und ein befreundeter Bauer schon experimentiert, doch sie mussten sich (zumindest vorerst) eingestehen, dass er in puncto Farbwert und Geschmackstiefe nicht an iranischen heranreichte: "Das ist einfach der Beste."

Das Aroma von Timut-Pfeffer erinnert an Grapefruit, nur "mit einem Hauch Achselschweiß".

Besonders beim Thema Pfeffergewächse hat der Franke derzeit die Nase ganz vorn. Ihre Vielfalt fasziniert ihn, vom fermentierten schwarzen Pfeffer aus dem indischen Hochland mit seinen tiefgründigen Noten bis zum Chiloé-Pfeffer von einer chilenischen Pazifikinsel, der das Feuer von Chili in sich trägt. Sein derzeitiger Liebling ist Kubeben-Pfeffer aus dem indischen Kerala mit seiner ätherischen Frische, Fruchtigkeit und feinen Bittertönen. Gemeinsam mit der Schärfe von schwarzem Pfeffer und den rauchigen Noten von langem Pfeffer prägt er die "Mélange Noir", eine weitere Erfolgsmischung aus Klingenberg. Fasziniert ist Holland auch vom Timut-Pfeffer: "Er wächst wild in Nepal und erinnert an Szechuan-Pfeffer, ist aber viel klarer und aromatischer." Seine Aromatik? "In Richtung Grapefruit, mit einem Hauch Achselschweiß".

Über 30 verschiedene Pfeffer und pfefferähnliche Sorten bietet das Alte Gewürzamt an, nach Herkunft gekennzeichnet, denn: "Beim Pfeffer spielt das Terroir eine entscheidende Rolle." Noch wichtiger als die Anbauregion aber sei, dass der Bauer sorgfältig arbeitet. So legt man etwa für die Herstellung von weißem Pfeffer die Schoten in Wasser ein, um das Fruchtfleisch aufzuweichen, sodass am Ende nur das weiße Pfefferkorn übrig bleibt. Wichtig dabei ist viel frisches Wasser: "Sonst riecht es schnell nach Pferdestall."

Die besten Produkte kommen für den Profi aus Kerala, wo auch sprichwörtlich der Pfeffer wächst, weil er dort im feuchtwarmen Dschungel beste klimatische Bedingungen findet. Indien ist für Holland ohnehin "das gelobte Land der Gewürze". 90 Prozent des weltweiten Verbrauchs stammen von dort - doch die machen nur zehn Prozent der gesamten indischen Produktion aus. Der Deutsche konsumiert pro Tag im Schnitt nur zwei bis vier Gramm Gewürze, in Indien sind es 10 bis 15 Gramm pro Person. Hollands Fazit: "Wir wissen in Europa gar nichts von Gewürzen."

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SZ vom 20.06.2020
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